# taz.de -- Zum Tod von Fredric Jameson: Alles kollabiert
> Der US-Literaturtheoretiker Fredric Jameson ist gestorben. Er schrieb
> über die Bedeutungsproduktion in unserer Kultur, vor allem in der
> Postmoderne.
IMG Bild: Fredric Jameson, 2004
Mehr als 50 Jahre ist Fredric Jameson einer der einflussreichsten
marxistischen Kritiker und Literaturtheoretiker gewesen – und womöglich
dennoch nur Eingeweihten ein Begriff. Jameson ist dieser Typus Theoretiker,
dessen Gedankenreichtum von weniger hermetisch schreibenden Autoren
popularisiert wird. Am Wochenende ist Jameson 90-jährig verstorben. Seine
Arbeiten beschäftigten sich mit Adorno und Wagner, mit Sartre und Benjamin,
mit [1][Architektur und Landschaft, mit Rem Koolhaas], Moderne und
Modernismus. Er war ein packender Lehrer, zuletzt an der Duke University in
Durham. Sein einflussreichstes Opus magnum war „Postmodernism. Or, The
Cultural Logic of Late Capitalism“ aus dem Jahr 1991.
Beklagt die linke Theorie bisweilen, dass die Kultur ökonomisiert wird,
zeigte Jameson schon vor bald 35 Jahren, dass das Gegenteil genauso wahr
ist: dass die Ökonomie vollständig kulturalisiert wird. „Das Kulturelle und
das Ökonomische kollabieren gleichsam ineinander und bedeuten dasselbe.“
Wirklich alles – wirtschaftliche Werte, die Natur, unsere Gefühle –
verwandeln sich in Bilder, Images, und werden „kulturell in einem noch
recht untheoretischen Sinn“.
Jameson: „Das Kulturelle wirkt heute auf die Realität in einem Maße
zurück“, dass eine reine, nicht vom Kulturellen geprägte Realität gar nicht
mehr vorgestellt werden kann. Architektur wird etwa zur Signal-Architektur,
die Menschen selbst werden nur mehr zur „Umwelt“ der Bedeutungsproduktion,
was etwa zu einem „Quantensprung der Entfremdung des täglichen Lebens in
der Stadt wird.“
## Kein Stil, sondern eine Logik
Insofern war die [2][Postmoderne für Jameson nicht bloß ein Stil] unter
möglichen anderen und schon gar keine Weltanschauung, „sondern die
kulturelle Logik des späten Kapitalismus“. Alles wird kolonisiert von
Werbung, von der Natur bis zum Bewusstsein. Jedes Ding hat seine „Sprache“,
der Strukturalismus war demnach für Jameson der Versuch „alles unter
linguistischen Gesichtspunkten noch einmal neu durchzudenken“.
Wenn Stil und Ausdrucksweise eine „Sprache“ ist, jede Aussage einen
doppelten Boden hat, [3][dann auch Theorieproduktion]: „Was
gesellschaftlich so kränkend an ‚theoretischen‘ Texten wie den meinen ist“,
bemerkte Jameson, „ist nicht allein deren Kompliziertheit, sondern dass sie
Signale der höheren Bildung mitsenden, also des Klassenprivilegs“.
23 Sep 2024
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## AUTOREN
DIR Robert Misik
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