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       # taz.de -- Grusel in Berliner Volksbühne: Die Welt im Selbstzerstörungsmodus
       
       > Schauspielstars zwischen Method-Acting Parodie und Splatterfilmfarce:
       > „Method“, eine Inszenierung von Kornél Mundruczó an der Berliner
       > Volksbühne.
       
   IMG Bild: Horror: Zarah Kofler und der lange Arm von Benny Claessens in „Method“
       
       [1][Der ungarische Film- und Theaterregisseur Kornél Mundruczó] inszeniert
       an der Berliner Volksbühne mit „Method“ eine muntere Horrorfarce als Film-
       und Theater-Hybrid. Darin brillieren [2][Martin Wuttke] als Schauspielstar
       im Werwolf-werde-Modus und [3][Benny Claessens als kongenialer
       Schauspielcoach]. Viel Nonsens gibt es, noch mehr Blut wird verspritzt. Und
       als gedankliche Klammer darf man sich ausdenken, dass Mundruczó die Rolle
       von rohester Gewalt als Produktivkraft in der Entertainmentbranche und
       darüber hinaus untersuchen möchte.
       
       Mit so gesetzter Rahmung macht der wilde Schockerabend Sinn. Denn befindet
       sich die Welt nicht gerade mitten im Selbstzerstörungsmodus – Stichwort
       Israel/Gaza, Ukraine/Russland? Auch die FDP unter Lindner darf man
       dazurechnen sowie Retronationalisten der Marke Trump und Orbán, vom
       blinden Weitermarsch in den Klimawandel ganz zu schweigen.
       
       ## Hübsche Raumkapsel
       
       Da ist es nur konsequent, dass Mundruczó seinen Protagonisten Marvin
       (Martin Wuttke himself) im Astronautenanzug und mittels hübsch gestalteter
       Raumkapsel (Bühne und Kostüme Monika Pormale) ins All schickt. Beim
       Andockmanöver an die ISS geht manches schief. Das kann man über diverse
       Monitore mit Aufnahmen des echten ISS- und Sojus-Fuhrparks verfolgen.
       
       Per Hand gelingt das Andocken schließlich doch. Natürlich ist das alles nur
       Spiel im Spiel. Marvin, ein laut Spielanleitung (Text Kata Wéber) recht
       scheußliches Exemplar der Gattung #MeToo-Täter, hat in diesem
       Middle-Budget-Space-Thriller die allerletzte Chance, seine Filmkarriere
       doch noch fortzusetzen. Für Filmregisseur Stephen (Maximilian Brauer)
       spielt er aber zu lasch. Schuld daran ist aus Sicht der drehenden und
       produzierenden Herren klassischerweise die Partnerin. Und die soll
       folgerichtig ausgetauscht werden.
       
       Erster Höhepunkt ist, wie Claessens als Schauspielcoach Bob die vielfach
       gedemütigte Ex-Geliebte Marvins auf den Set zu locken versucht. Er und
       Johanna Wokalek ziehen dabei viele Register des Tricksens und Täuschens bei
       Vertragsverhandlungen. Jede Seite nutzt die Not der anderen schamlos aus.
       Und am Ende befinden sich alle in genau der toxischen Konstellation, die
       sie zuvor eigentlich auf ewig vermeiden wollten.
       
       Die Parodie aufs Showgeschäft nimmt allerdings erst jetzt so richtig Fahrt
       auf. Mundruczó hat es – aus Gründen, die nicht so recht ersichtlich
       werden – aufs Method Acting abgesehen. Das ist eine auf Naturalismus
       getrimmte Schauspielschule frei nach Stanislawski, die in Reinform im
       Theater eher schwer erträglich ist, für die großen Hollywoodstudios aber
       zur Basis globalen Erfolgs wurde.
       
       ## Eigene Erlebnisse als Katalysatoren
       
       Eines der Kernelemente ist es, eigene Erlebnisse und Erfahrungen als
       Katalysatoren für emotionale Zustände zu nutzen. Da Marvin als
       Schauspieler in extremste Gefühls- und Handlungsregionen vordringen soll,
       darf er sich dann auch privat mächtig austoben. Das gipfelt in einer
       Mordserie auf dem Set, die alle Beteiligten aus Eigeninteresse so lange zu
       vertuschen versuchen, bis sie selbst an der Reihe sind. Splatterhöhepunkt
       ist das Ausweiden von Bob.
       
       Wuttke beißt hier zunächst kräftig in Claessens Unterarm – gut, beide
       spielen das hoffentlich nur – und verteilt nach ordentlicher
       Kunstblutspritzorgie diverse dunkelrot getönte Plastikobjekte, die an
       Gedärme, Nieren, Leber und andere Innereien erinnern. Schlussendlich hält
       er ein Herz in seinen Händen. Die eigenen Fingerbewegungen deuten das
       Pochen des Zentralorgans an. Selten hatten so kleine Bewegungen so große
       Wirkung. Dann lässt er das Herz des getreuen Coachs und Wegbegleiters in
       einer Aldi-Tüte verschwinden.
       
       „Method“ treibt die Lust an Untergang und Zerstörung auf die Spitze. Die
       Splatter-Farce nimmt dabei aber auch sehr konsequent Witterung auf, wenn es
       um Unterdrückungspraktiken in der Theater- und Filmbranche geht. Das sind
       einerseits die Erniedrigungsszenarien, um an größere Rollen zu kommen, und
       andererseits die Seelenpornos, zu denen manche getrieben werden, um
       glaubhaft Extremzustände darstellen zu können.
       
       ## Die Schumpeter-Schule
       
       Aber auch die wirtschaftswissenschaftliche Schule, die sich um den Begriff
       der schöpferischen Zerstörung von Joseph Schumpeter organisiert hat und mit
       der vor allem die disruptiven Momente der digitalen Ökonomie gefeiert
       werden, kommt in den Sinn. Und nicht zuletzt die Axt, die
       Retronationalisten allerlei brauner Couleur gegenwärtig an Gemeinwesen
       weltweit anlegen.
       
       Zerstörung allenthalben – und schiere Lust daran, um etwas Neues zu
       erreichen. Bei „Method“ ist das Neue Wuttke als haariger Werwolf. An diesem
       eher possierlichen Beispiel dekliniert Mundruczó durch, welche Kräfte
       freigesetzt werden können, wenn zivilisatorische Fesselungen abgestreift
       werden. Das kann man als globale Komponente dieses schrillen Bühnenwerks
       lesen.
       
       8 Oct 2024
       
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