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       # taz.de -- Kunstausstellung zum Essen: Völlerei und Verschwendung
       
       > Die Ausstellung „Schlaraffenland“ im Dortmunder Kunstverein dreht sich um
       > unser Essen. Woher kommt es? Wie entsteht und wo endet es?
       
   IMG Bild: Zumindest in dieser lukullischen Installation von Slavs-Tatars fehlt es an nichts
       
       Das vor rund 20 Jahren umgebaute ehemalige Gärgebäude der Dortmunder
       Union-Brauerei ist schon länger das Dortmunder U, ein Ort der Kultur.
       Kunstvereine, Museen, Kinosäle sind hier untergebracht, vor der Tür
       erstreckt sich eine Art Abenteuerspielplatz. Was man allerdings vergeblich
       sucht, ist ein gastronomisches Angebot, stattdessen: mehrspurige
       Autostraßen, Asphalt, betonierte Leere.
       
       Dabei ist Ernährung als kreatives Feld und kulturelle Praxis präsenter denn
       je. Fernsehköche, Youtube-Foodies, Restauranttests, Naturwein- und
       Craft-Beer-Hype, dazu Streetfood und internationale Küche von Vietnam über
       Georgien bis Kolumbien – überall wird gekocht, gegessen, geschmaust.
       
       Nur an diesem zentralen Dortmunder Platz muss man lange suchen, bis man auf
       Essen stößt: „Knusprige Hähnchen,“ prangt es an der Fensterscheibe eines
       Nachbargebäudes des Dortmunder U. Der UV-Druck des Kölner Fotokünstlers
       Alwin Lay sieht aus wie Werbung straight outta Kentucky, ist aber eine
       künstlerische Nebelkerze.
       
       ## Land der faulen Affen
       
       Statt Köstlichkeiten warten bloß Kunstwerke auf die Besucher*innen des
       Kunstvereins, der sich hinter dieser Werbemaßnahme verbirgt.
       „Schlaraffenland“ heißt die dazugehörige Ausstellung, zusammengestellt von
       der Kuratorin Linda Schröer. Das fiktive „Land der faulen Affen“ wurde
       erstmals im Hochmittelalter beschrieben und verbreitete sich als Trope über
       Jahrhunderte in Märchen von Frankreich, über Italien bis nach Deutschland.
       
       Im Schlaraffenland finden die Faulenzer ein paradiesähnliches Ideal vor.
       Arbeit erübrigt sich, Brathähnchen fliegen in den Mund, und der Wein
       sprudelt direkt aus den Reben. Der Dortmunder Kunstverein konzentriert sich
       in der gleichnamigen Schau auf die kulinarische Facette der Geschichte und
       [1][präsentiert Künstler*innen, die sich mit dem Thema Essen
       auseinandersetzen.]
       
       Mal ist es Alwin Lay, dessen Fotokunst stark von Werbeästhetik geprägt ist.
       Seit einiger Zeit findet man die hochauflösenden, farbsatten Abzüge des
       Schülers von Christopher Williams auf Ausstellungen und Messen. Durch
       digitale Bearbeitung schafft Lay Bilder, die unmögliche Situationen
       darstellen: In Dortmund ertrinkt eine Kaffeemaschine der Marke Gaggia
       Classic in ihrer selbst produzierten Brühe. Das Schlaraffenland ist eben
       ein Ort der Völlerei. Und ist es nicht auch dieser und jener Moment unseres
       wohlhabenden Alltags?
       
       ## Ikonen der Low-Brow-Kultur
       
       Im Erdgeschoss des Duplex hat sich der Düsseldorfer Postminimalist Pablo
       Schlumberger mit mehreren Assemblagen breitgemacht. In billigen Regalen,
       vermutlich vom Flohmarkt stammend, tummeln sich diverse Ikonen der
       Low-Brow-Kultur. Leere Smirnoff-Wodka-Flaschen, die sonst hinterm Tresen
       klebriger Bars hängen, sind ebenso zu sehen wie eine Dose Dirtea, ein
       Fruchtweingetränk von Rapperin Shirin David.
       
       Schlumbergers High-Trash-Ironie lässt kurz an der Ernsthaftigkeit der
       Ausstellung zweifeln. Glücklicherweise kommt die Korrektur vom
       Post-Ost-Kollektiv Slavs and Tartars. Schon sein Name zeugt von einer
       Auseinandersetzung mit transtraditionellem Kulturaustausch entlang der
       Seidenstraße und im postsowjetischen Raum.
       
       ## Skulpturen aus Glas und Stahl
       
       Im Kunstverein sind ihre Skulpturen aus Glas und Stahl versammelt:
       Pop-Art-Objekte, die an [2][Claes Oldenburg] erinnern, wie etwa jene
       Quitte, die als goldener Apfel durch die Jahrtausende (von der griechischen
       Antike bis in die Moderne) immer wieder in Mythen und Volkssagen auftaucht,
       ursprünglich aus Transkaukasien kommt, aber während der Jahrhunderte über
       jegliche Grenzen hinweg von Asien bis zu den Amerikas in die Küchen
       migrierte.
       
       Eine der interessantesten Arbeiten ist gar nicht Teil der Ausstellung. Die
       bereits länger stehende „Liquid Currency Bar“ der schottischen Künstlerin
       Zoe Williams. DIY-Ästhetik und postminimalistisches Design verbindet sie
       mit Glamour und Arbeitskritik, fügt sich so nahtlos ein, als wäre sie für
       das „Schlaraffenland“ gebaut worden. Was vielleicht zusammen mit den
       ausgestellten Werken vor Augen führt, wie (über-)präsent die sogenannte
       culinary art zuletzt geworden ist.
       
       Und so kann man sich zum Schluss fragen: Was wird von all dem Bestand
       haben, oder hat das nicht auch alles sein Verfallsdatum?
       
       11 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kochen-als-Kunstperformance/!5944692
   DIR [2] /Nachruf-auf-Claes-Oldenburg/!5865920
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lars Fleischmann
       
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