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       # taz.de -- Chappell Roan live in Berlin: Herzdame mit Zuckerwatte
       
       > US-Sängerin Chappell Roan gab ihr Deutschlandkonzertdebüt im Berliner
       > Velodrom – und schaffte eine ekstatische Sommernacht.
       
   IMG Bild: Chappell Roan bei einem ihrer Konzerte im September 2024
       
       Wie in einen Hexenkessel schlängeln sich bunt geschmückte Leute ins
       Berliner Velodrom. Am Montagabend gastiert dort der US-Popstar der Stunde:
       Chappell Roan. Schon von draußen hört man es raunen, kreischen und
       klatschen, noch bevor die 26-Jährige aus Missouri, die eigentlich Kayleigh
       Rose Amstutz heißt, die Bühne betritt. Den Reigen eröffnen drei Dragqueens,
       erotisieren die Menge und bereiten sie auf das Kommende vor.
       
       Chappell Roan, [1][die neue Lady Gaga], die [2][Madonna der Gen Z] – vor
       kaum einem Vergleich schreckt die Presse zurück. Innerhalb kürzester Zeit
       gelang es ihr, Kleinstadtpublikum gegen Weltbühnen einzutauschen. Heute ist
       sie LGBTQ-Ikone: Wallendes, lockiges Haar wie Zuckerwatte, tiefrot im
       Kontrast zum weißgeschminkten Gesicht, das fast wie eine Maske wirkt. Ihr
       Look, auch inspiriert von den Dragqueens, ähnelt dem einer Herzdame:
       sinnlich, charismatisch, erotisch, bildschön.
       
       Mit drei Pophymnen beginnt Chappell Roan, begleitet von ihrer dreiköpfigen
       Band – natürlich Musikerinnen –, die Show. Mit Fischnetzstrümpfen und
       eingeschnürt in ein blutrotes, strassbesetztes Korsett hüpft und stampft
       sie im Beat von [3][„Femininomenon“] über die Bühne. In [4][„Naked in
       Manhattan“] besingt sie dann die erste Liebe zu einer Frau und spätestens
       nach [5][„Super Graphic Ultra Modern Girl“] sieht man auf den Stirnen die
       ersten Schweißperlen glitzern, während sie den Männern endgültig abschwört:
       „We’re leaving the planet / And you can’t come“.
       
       ## Fischnetzstrümpfe und Korsett
       
       Genug gestampft, es braucht neue Schuhe, „sonst hebe ich noch ab“, kichert
       Roan und schlüpft in gemütlichere Stiefel. Die Herzdame bezeichnet sich
       selbst als Prinzessin. Ihr 2023 erschienenes Debütalbum und die Tour tragen
       den Titel „The Rise and Fall of a Midwest Princess“. Darin verabschiedet
       sie sich von der Provinzialität, von der Engstirnigkeit, von der Scheu vor
       der eigenen Queerness, von Maskeraden.
       
       „Das ist mein größtes Konzert bisher“, sagt Roan irgendwann ungläubig.
       Dabei hätte sie locker noch größere Hallen füllen können. [6][Ein Ticket
       für das Konzert zu bekommen, war fast unmöglich.] „25.000 Leute warten in
       der Schlange vor dir“, musste lesen, wer versuchte, eins zu ergattern.
       Nachdem ihr Auftritt beim Berliner Festival Lollapalooza und ein früheres
       Konzert abgesagt wurden, hat es nun geklappt: „Can you believe it? We’re in
       Berlin!“ Das Terminchaos haben ihr die Fans verziehen.
       
       In der Menge sieht man Prinzessinnenkronen, pinke Cowboyhüte und
       Teufelshörner, aufwendige Kostüme, mit Perlen und Federn geschmückt. In der
       ersten Reihe dreht sich eine Frau um und hält ihren Handybildschirm hoch:
       „Where are my lesbians?“, steht darauf, der Block dahinter winkt ihr zu.
       Der Geruch schwerer, süßer Parfums hängt in der Luft. Wo man hinsieht,
       glitzert, blitzt und funkelt es.
       
       ## Eine „YMCA“ für Lesben
       
       Dann setzt [7][„Hot to Go!“] ein, Roans viraler Mittanzsong:
       „H-O-T-T-O-G-O“ gestikulieren alle während des Refrains mit, eine Art
       „YMCA“ für Lesben. Schwächelnden in der ersten Reihe, die sich gegen die
       Absperrung stemmen, werden Wasser gereicht, mit pinken Fächern wedelt man
       sich Luft zu. „Ich bin so dankbar, dass ich Menschen hinter mir habe, die
       mich verstehen, die Queerness verstehen.“
       
       Dann kommen einige Balladen. Der Saal verstummt, in die Stille singt Roan
       [8][„Kaleidoscope“], ein Lied über gescheiterte Liebe, und begleitet sich
       am Keyboard. „Liebe ist wie ein Kaleidoskop / Wie sie funktioniert, werden
       wir nie verstehen“, sinniert sie mit kristallklarer Stimme. Es hat was
       Engelhaftes, wie ihre Haare wie in Burgunder getränkte Wolken um ihr
       blasses Gesicht spielen. Die Scheinwerfer spiegeln sich in tränengefüllten
       Augen.
       
       Aber nicht für lange. War es Sekunden zuvor still im Saal, tobt die Meute
       jetzt und grölt die Songtexte mit, als habe es immer nur sie gegeben; als
       habe Chappell Roan nicht erst vor Kurzem ihr Debüt veröffentlicht, das den
       12.000 im „Velodrom“ schon die Welt zu bedeuten scheint. Wie aus einer
       Ekstase strömen die Leute aus dem Konzert in die Sommernacht. Grinsend,
       verschwitzt und mit geröteten Wangen, berauscht von diesem Kraftakt, dem
       Zauber, den Roan verbreitet hat.
       
       24 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Das-360-Grad-Modell-Gaga/!5119784
   DIR [2] https://nypost.com/2024/07/06/entertainment/meet-gen-zs-madonna-pops-new-superstar-chappell-roan-speaks-out-about-overtly-sexual-songs/
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=xdaKBAuO8zg
   DIR [4] https://www.youtube.com/watch?v=nXZuv1T8bfg
   DIR [5] https://www.youtube.com/watch?v=kWLai0XoZmg
   DIR [6] /Taylor-Swift-als-Business-Phaenomen/!6003300
   DIR [7] https://www.youtube.com/watch?v=xaPNR-_Cfn0
   DIR [8] https://www.youtube.com/watch?v=6fdP0GqiMdM
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Valérie Catil
       
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