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       # taz.de -- Rechtsextremes Zentrum: Wo die AfD den III. Weg trifft
       
       > In der Fassfabrik im rheinland-pfälzischen Hachenburg übt die
       > Neonazi-Partei III. Weg für ihren Kampf. Die AfD war lange Untermieter in
       > dem Gebäude.
       
   IMG Bild: Das Gebäude der sogenannten Fassfabrik im rheinland-pfälzischen Hachenburg
       
       HACHENBURG taz | Wer ein rechtsextremes Zentrum von überregionaler
       Bedeutung sucht, denkt vermutlich nicht sofort an Hachenburg im Westerwald.
       Doch die Kleinstadt bietet sich für ungestörte Treffen an. Nur wenige Züge
       fahren täglich in die nächstgelegenen größeren Städte Limburg (Lahn) und
       Siegen. Mit rund 6.000 Einwohnern schlummert der Ort abgeschieden in der
       ländlichen Region.
       
       Anfang Oktober geriet Hachenburg bundesweit in die Schlagzeilen. [1][Die
       neonazistische Kleinstpartei „III. Weg“ veranstaltete in der sogenannten
       Fassfabrik ein Kampfsportevent.] Rund 130 Personen, darunter Minderjährige,
       reisten aus Deutschland und den Niederlanden an. Die Koblenzer Polizei
       führte eine großangelegte Razzia durch und leitete Ermittlungsverfahren
       unter anderem wegen des Verdachts der Verwendung von Kennzeichen
       verfassungswidriger Organisationen ein.
       
       Die Kampfsportveranstaltung in der Fassfabrik war nicht die einzige
       rechtsextreme Veranstaltung in jüngster Zeit. Laut dem
       rheinland-pfälzischen Landesamt für Verfassungsschutz hat sich der Ort, an
       dem 1943 etwa 50 Menschen Zwangsarbeit leisten mussten, zu einer festen
       Anlaufstelle für die rechtsextreme Szene in Rheinland-Pfalz entwickelt. Die
       Szene wolle sich mit Hilfe des Zentrums regional, aber auch überregional
       „verwurzeln und lokale rechtsextremistische Kräfte gewinnen“, erklärt die
       Behörde auf Anfrage der taz.
       
       Während der vordere Teil des Gebäudekomplexes heute Geschäfte beherbergt,
       befindet sich im hinteren Teil ein versteckter Treffpunkt für
       Rechtsextreme. Mit seinem „Stützpunkt Westerwald/Taunus“ führte der „III.
       Weg“ hier vielfältige Veranstaltungen durch, darunter regelmäßige
       „Stützpunktabende“ und „Selbstverteidigungstrainings“. Das Bundesamt für
       Verfassungsschutz bescheinigte der Partei in seinem Jahresbericht 2023 den
       Versuch, im neonazistischen Spektrum eine Vorreiterrolle einzunehmen, und
       über Parteigrenzen hinweg nach Einfluss zu streben.
       
       Recherchen der taz zeigen: Neben dem [2][III. Weg] war auch die AfD in der
       Fassfabrik aktiv, organisierte Veranstaltungen und Parteitage. Dokumente
       belegen Mietzahlungen des Kreisverbandes Westerwald in vierstelliger Höhe.
       Es besteht somit der Verdacht, dass die Partei das rechtsextreme Zentrum
       mitfinanziert hat.
       
       ## 3.000 Euro Miete im Monat
       
       Politische Gegner werfen der AfD im Westerwald vor, die rechtsextreme Szene
       in Rheinland-Pfalz stärken und für Einheit sorgen zu wollen. Die Fassfabrik
       sei sowohl für den III. Weg als auch für die AfD ein wichtiger Anlaufpunkt
       zur Mitgliedergewinnung und Organisation, besonders von Jugendlichen aus
       Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Hessen.
       
       Ein Sprecher des Landesverbandes der AfD erklärt auf Anfrage der taz: Der
       Kreisverband Westerwald habe in der Fassfabrik „vorübergehend ein Büro
       angemietet“. In den anderen Räumlichkeiten des Gebäudes hätten wiederholt
       Veranstaltungen stattgefunden, „mit denen wir nichts zu tun haben wollen
       und auch nichts zu tun haben“. Daher sei beschlossen worden, andere
       Räumlichkeiten zu suchen. Dies habe sich lange jedoch als schwierig
       gestaltet, weswegen „ein unmittelbarer Auszug nicht möglich“ gewesen sei.
       
       Die taz-Recherchen zeigen jedoch: Das Mietverhältnis war nicht so
       „vorübergehend“, wie der Landesverband behauptet. Das Büro wurde bereits
       2019 als Zentrum für die AfD Westerwald eröffnet. Im Oktober 2019 lud der
       Kreisverband zur Einweihung und verwies auf den Einsatz des damaligen
       AfD-Politikers Andreas Schäfer. Wörtlich heißt es in der Einladung: „Durch
       unvergleichliches Engagement von Andreas Schäfer öffnen wir am 3. Oktober
       die Pforten einer 200 Quadratmeter großen Räumlichkeit für Vorträge,
       Sitzungen, Versammlungen, gesellige Abende, Lagermöglichkeiten, Büronutzung
       und vieles mehr.“ Schäfer, damals stellvertretender AfD-Kreisvorsitzender,
       habe damit der AfD „einen Leuchtturm des Widerstandes im Westerwald“
       geschaffen, „ein Zentrum der Aufrechten und der Vernünftigen“.
       
       Ein rechtes Zentrum auf ganzen 200 Quadratmetern – das hat seinen Preis.
       Der taz liegen interne Protokolle einer Vorstandssitzung der AfD Westerwald
       aus dem Februar 2020 vor. Daraus geht hervor, dass die „Miete für die
       Fassfabrik“ damals rund 3.000 Euro betrug – über welchen Zeitraum diese
       gezahlt wurde, ist nicht bekannt. Gilbert Kalb, Kreisschatzmeister der AfD
       Westerwald, erklärt der taz, dass ein Untermietverhältnis mit der Firma des
       ehemaligen AfD-Politikers Andreas Schäfer bestanden habe. Vorwürfe, die AfD
       würde die Fassfabrik oder rechtsextreme Veranstaltungen dort mitfinanzieren
       oder stehe mit ihnen in Verbindung, weist er zurück.
       
       ## Mittwochs war der Stammtischtag
       
       Man habe dort ein Büro angemietet, weil man „eine ladungsfähige Adresse“
       gebraucht habe. Kalb berichtet, dass in der Fassfabrik nicht viel passiert
       sei. Man könne an ein oder zwei Händen abzählen, was dort an
       AfD-Veranstaltungen stattfand. Schäfer habe das Büro dort eingerichtet und
       „die eine oder andere Veranstaltung“ organisiert. „Wir haben die Adresse
       dort angegeben und einmal im Monat oder ab und zu in den Briefkasten
       geguckt, das war alles“, so Kalb. Der taz vorliegende interne Dokumente
       zeigen jedoch: Jeden zweiten Mittwoch im Monat fand ein AfD-Stammtisch
       statt, darüber hinaus strebte man an, jeden Monat eine öffentlich beworbene
       Vortragsveranstaltung durchzuführen.
       
       Dem AfD-Politiker Schäfer wird vorgeworfen, auch „den III. Weg“ und andere
       rechtsextreme Gruppen in die Fassfabrik gebracht zu haben. Auf Anfrage der
       taz äußerte er sich bis Redaktionsschluss nicht. Er wurde 2019 für die AfD
       in den Stadtrat von Hachenburg sowie in den Kreistag des Westerwaldkreises
       gewählt. [3][Die antifaschistische Zeitschrift „Lotta“] berichtete damals,
       dass Schäfer mutmaßlich in seinem Hörgerätegeschäft „treudeutschen“ Kunden
       „nationale Rabatte“ einräume. Der rheinland-pfälzische Landesverband der
       AfD erklärt auf Anfrage der taz, Andreas Schäfer sei schon lange nicht mehr
       Mitglied der Partei.
       
       In den vergangenen Jahren fanden mehrfach Veranstaltungen der AfD in der
       Fassfabrik statt, etwa mit den Bundestagsabgeordneten Martin Renner und
       Harald Weyel sowie dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Hansjörg Müller.
       Auch Kreisparteitage wurden dort organisiert. Ein Wahlkampfflyer, der der
       taz vorliegt, nennt noch im März 2024 im Impressum die Adresse der
       Fassfabrik „Zur Tiefenbach 6“. Bis September 2024 war diese auch online als
       Geschäftsadresse der AfD Westerwald eingetragen. Laut Kreisschatzmeister
       Kalb habe es sich um ein Versehen gehandelt, das Mietverhältnis sei da
       längst beendet gewesen. Wann genau der Vertrag gekündigt worden sei, ließ
       er offen.
       
       Von 2019 bis 2024 störte sich die AfD offenbar nicht an den neonazistischen
       Mitnutzern: Der „III. Weg“ organisierte in der Fassfabrik Treffen, Vorträge
       und Liederabende und führte dort Kampfsporttrainings durch. Auch in den
       Verfassungsschutzberichten für Rheinland-Pfalz 2022 und 2023 wird die
       Fassfabrik als Anlaufstelle für Rechtsextremisten genannt. Ein großer Raum
       sei zur Professionalisierung des Trainings mit Matten ausgelegt und mit
       einem Boxring ausgestattet. Der III. Weg biete kampfsportaffinen,
       rechtsorientierten Jugendlichen ein attraktives Angebot. Personen aus dem
       Umfeld der „Neuen Rechten“ und der „Jungen Alternative“ nutzten die
       Fassfabrik ebenfalls für Veranstaltungen.
       
       ## Demokratischer Widerstand nimmt zu
       
       Laut dem Verfassungsschutz in Rheinland-Pfalz spielt eine Abgrenzung zum
       offenen Rechtsextremismus innerhalb der AfD kaum noch eine Rolle. So fanden
       zuletzt im Abgeordnetenbüro des Landtagsabgeordneten Joachim Paul in
       Koblenz Veranstaltungen statt, bei denen im Juli 2023 auch der
       Rechtsextremist Martin Sellner auftrat, Führungsfigur der „Identitären
       Bewegung“ aus Österreich. Sellner hielt dort einen Vortrag zum Thema
       „Remigration“.
       
       Der rheinland-pfälzische Innenminister Michael Ebling (SPD) sagt der taz
       zur Polizeirazzia in der Fassfabrik: „Der Einsatz in Hachenburg
       verdeutlicht das konsequente Vorgehen unserer Sicherheitsbehörden und
       zeigt, dass wir alle nötigen Mittel einsetzen werden, um unsere Werte und
       unsere Demokratie zu verteidigen.“ Man wolle nicht zulassen, dass sich
       „Extremisten in unserem Land versammeln und ihre menschenfeindlichen
       Ideologien und ihre Gewaltkultur ungehindert ausleben. Unsere
       Null-Toleranz-Politik gegenüber Verfassungsfeinden ist nicht verhandelbar.“
       
       Anfang 2024 hatte auch die Stadt Mainz die Nutzung des AfD-nahen Zentrums
       Rheinhessen im Stadtteil Hechtsheim untersagt. Der Mainzer
       Verfassungsschutz hatte zuvor mitgeteilt, dass sich das „Zentrum
       Rheinhessen“ zu einem Veranstaltungsort für die Rechtsextremen entwickelt
       habe.
       
       Seit Jahren regt sich gegen rechte Strukturen im Westerwald Widerstand. Der
       Verein Demos engagiert sich seit 2016 und wurde auch gegen die Fassfabrik
       aktiv. Demos unternahm Recherchen, organisierte Demonstrationen und
       Informationsveranstaltungen. An einer der Veranstaltungen nahm Anfang
       Oktober 2024 auch der rheinland-pfälzische Landtagspräsident Hendrik Hering
       (SPD) teil. Hering erklärte, er sei guter Dinge, dass es bald gelingen
       werde, die Fassfabrik als neonazistisches Zentrum aus der Stadt zu
       bekommen.
       
       24 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Polizeieinsatz-in-Rheinland-Pfalz/!6040845
   DIR [2] /Neonazi-Partei-III-Weg/!5850506
   DIR [3] https://www.lotta-magazin.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Yağmur Ekim Çay
       
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