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       # taz.de -- Landesamt für Einwanderung in der Kritik: Abschiebungen haben Vorrang
       
       > Im Rahmen der Aktionswoche „Abolish Ausländerbehörde“ gibt es auch
       > Proteste vor dem Berliner Landesamt für Einwanderung. Viele Stellen nicht
       > besetzt.
       
   IMG Bild: Das Landesamt für Einwanderung am Friedrich-Krause-Ufer in Berlin
       
       Berlin taz | Morgens um 9 Uhr ist vor der Berliner Ausländerbehörde viel
       los. Wer einen frühen Termin ergattert hat, steht nun in der Schlange vor
       dem großen Eisentor des [1][Landesamts für Einwanderung, kurz LEA]. Die
       Security-Mitarbeitenden lassen sich die Terminbestätigungen zeigen. Ohne
       diesen Wisch kommt niemand rein.
       
       Was an diesem Donnerstag anders ist: Es gibt Kaffee und Kekse für die
       Wartenden. Das [2][No Border Assembly], eine Berliner Gruppe, die sich für
       die Rechte Geflüchteter und gegen Abschiebungen engagiert, hat eine der
       Wartebänke zum Infostand gemacht. Neben der Kaffeekanne liegen Flyer in
       verschiedenen Sprachen aus, darauf steht in großen Buchstaben
       „Ausländerbehörde abschaffen“ auf Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch
       oder Arabisch. Berlin macht mit bei einer bundesweiten Aktionswoche gegen
       Ausländerbehörden. Die soll auf die konkreten bürokratischen Probleme
       aufmerksam machen, mit denen Ausländer in Deutschland regelmäßig
       konfrontiert sind – und auf das System dahinter.
       
       Die spezifische Kritik am LEA ist nicht neu: Seit Jahren prangern
       Geflüchtetenorganisationen die Überlastung der Behörde an. „Wir sind voll
       angekommen in der Dysfunktionalität“, sagt Emily Barnickel vom
       Flüchtlingsrat der taz. Gerade für Geflüchtete mit unsicherem
       Aufenthaltsstatus sei es so gut wie unmöglich, einen Termin zu buchen.
       „Beratungsstellen brechen dadurch zusammen, dass ihr einziger Auftrag darin
       besteht, für Klient*innen den Kontakt zum LEA herzustellen.“
       
       Fände dann ein Termin statt, müssten sie danach lange auf die Bearbeitung
       ihrer Anträge warten. „Gerade Anträge von Menschen, die ausreisepflichtig
       sind, werden überhaupt nicht mehr bearbeitet“, sagt Barnickel. Ein
       typischer Fall seien etwa Jugendliche mit Duldung, die eine
       Willkommensklasse abgeschlossen hätten und nun weiter die Regelschule
       besuchen wollten. „Vor zwei Jahren gab es dafür sehr standardmäßig eine
       Ermessensduldung für den Schulbesuch, jetzt wird das durch die Bank
       abgelehnt“, kritisiert sie.
       
       Diese Kritik teilen die Menschen, die am Donnerstagmorgen für einen Kaffee
       zum Infostand kommen, nicht unbedingt. „Ich habe kein Problem mit der
       Behörde“, heißt es auf Nachfrage, oder „Ich musste nicht lange warten.“
       Erfahrungen allerdings von Menschen, die offensichtlich einen Termin
       bekommen haben.
       
       ## Viele Stellen nicht besetzt
       
       Auch unterscheiden sich die Erfahrungen in den unterschiedlichen
       Aufenthaltsbereichen stark. Wer etwa über die Blue Card, den EU-weiten
       Aufenthaltstitel für akademische Fachkräfte, in Deutschland lebt, könne mit
       der Antragsbearbeitung in wenigen Tagen rechnen, sagt Engelhard Mazanke.
       Der Leiter des LEA kommt um 10 Uhr auf den Vorplatz seiner Behörde, um sich
       ein Bild vom Protest zu machen. Die Kritik der Geflüchtetenorganisationen
       kann er nicht nachvollziehen. „Wir haben ein Notfallterminsystem, für drei
       Notfälle: eine anstehende Reise, drohende Arbeitslosigkeit und die drohende
       Einstellung von Sozialleistungen.“ Wer solch eine Situation belegen könne,
       dem stelle die Behörde einen Fiktionsbescheid aus oder gebe kurzfristig
       einen Termin.
       
       Dennoch bleibt seine Behörde unterbesetzt. Von den über 200 neuen Stellen,
       die für die Einbürgerungszentrale und das Einwanderungsamt im aktuellen
       Haushalt geschaffen wurden, konnte Mazanke über 50 Prozent besetzen. Für
       ihn ein Erfolg, doch offensichtlich besteht weiterhin eine Lücke. Eine
       Lücke, die sich auch darin äußert, dass es seit Anfang des Jahres keine
       interne Beschwerde- und Beratungsstelle mehr gibt. Acht
       Mitarbeiter*innen des verstorbenen Ombudsmannes Wolfgang Wieland
       arbeiteten laut Mazanke mittlerweile in der Einbürgerungsabteilung.
       „Natürlich ist Beratung wichtig, aber wir müssen erst mal den Rückstau
       abarbeiten“, sagt er. Um Beschwerden kümmere er sich selbst.
       
       Barnickel vom Flüchtlingsrat erkennt eine Arbeitsüberlastung, doch sie
       vermutet auch eine „krasse Priorisierung von Abschiebungen“. Denn Anträge
       von Menschen aus Moldau, Georgien und der Türkei, also aus den Ländern,
       wohin Berlin hauptsächlich abschiebt, würden schnell bearbeitet – und
       enthielten meist eine Ablehnung. Dass die Berliner Ausländerbehörde in
       dieser Hinsicht unter politischem Druck steht, wurde im Sommer deutlich. Da
       veröffentlichte die Innenverwaltung die Abschiebezahlen für das erste
       Halbjahr 2024. 515 Menschen hatte das Land Berlin zu dem Zeitpunkt
       abgeschoben, 195 Menschen nach Moldau und 88 Menschen nach Georgien – und
       19 Prozent weniger Menschen als im ersten Halbjahr 2023. Schnell wurde
       deutlich, dass das LEA damit Erwartungen enttäuschte. Dirk Stettner,
       Fraktionsvorsitzender der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, machte Druck:
       Berlin könne sich kein „zu geringes Engagement bei Abschiebungen leisten“,
       sagte er dem RBB.
       
       ## In Brandenburg noch schlimmer
       
       Arbeitet die Berliner Ausländerbehörde am Ende mit mehr Wohlwollen als
       andere? Gegen 11 Uhr kommt ein Mann an den Infostand, schaut sich die Flyer
       an, nickt und sagt: „Ihr seid hier falsch, ihr müsstet in Brandenburg
       demonstrieren.“ Er sei Anwalt für Migrationsrecht, möchte aber seinen Namen
       nicht nennen. „Wenn alle Ausländerbehörden so wären wie die Berliner, dann
       wäre schon vieles gewonnen.“
       
       Marie Bousso (Name geändert) lebt seit dreieinhalb Jahren in Deutschland,
       sie ist aus Kamerun. Gemeldet ist sie in einem brandenburgischen Landkreis.
       Von der dortigen Ausländerbehörde erzählt sie nur schlechtes:
       unfreundliche, respektlose Mitarbeitende, keine Übersetzung, ständiges
       Drohen mit Abschiebung. „Ich gehe nur zusammen mit einer weißen Begleitung
       hin, die Leute dort mögen keine Schwarzen Menschen“, erzählt sie der taz.
       Mittlerweile macht sie eine Ausbildungsduldung zur Köchin. Doch das sei ein
       harter Kampf gewesen: „Meine Sachbearbeiterin kennt alle Regeln, die, die
       gut für mich sind und die, die schlecht sind. Aber sie nutzt nur die
       schlechten“, sagt sie. Nur mithilfe ihres Anwaltes habe sie schließlich die
       Erlaubnis zur Ausbildung erhalten.
       
       Dennoch will Bousso nicht die Berliner Ausländerbehörde verteidigen – die
       sei schließlich Teil desselben Systems. „Wir sind wirklich frustriert, mit
       allem, was in Deutschland passiert“, sagt sie. Als Mitglied der No Border
       Assembly fordert sie sichere Aufenthaltstitel für sich und ihre
       Mitstreiter*innen. „Man lässt uns nicht arbeiten, obwohl Deutschland
       Arbeitskräfte braucht. Wir wollen frei sein, aber wir müssen nur warten.“
       
       Ohnehin klingen die Beschwerden gegen die Ausländerbehörden oft ähnlich.
       Eine Aktivistin der Seebrücke Tübingen erzählt der taz am Telefon, wie die
       dortige Ausländerbehörde Anträge auf Familiennachzug nur sehr schleppend
       bearbeite, Duldungen und Aufenthaltstitel nur für kurze Zeiträume
       verlängere. Ein Mitglied von No Lager Osnabrück berichtet von rigiden
       Sachbearbeiter*innen. Insgesamt nehmen Gruppen aus zehn deutschen Städten
       an der Aktionswoche teil, die das Bündnis Netzwerk Abolish Ausländerbehörde
       zum zweiten Mal ausgerufen hat. „Wir haben uns irgendwann gedacht: Es ist
       wichtig, sich zu vernetzen und die Kritik bundesweit zu formulieren“, sagt
       Liz Winter vom Bündnis der taz.
       
       Es geht dem Bündnis nicht nur darum, die Arbeitsweise der Behörden
       anzuprangern. „Wir kritisieren in einem größeren Rahmen das ganze System,
       das dahintersteht – dass überhaupt eine Unterteilung stattfindet zwischen
       Menschen, die zur Ausländerbehörde gehen müssen und davon abhängig sind,
       und den anderen, die nicht dorthin müssen.“ Winter glaubt nicht an eine
       reformierbare Ausländerbehörde, die irgendwann fair und gerecht
       funktionieren könnte.
       
       Nicht ohne Grund trägt das Bündnis die Forderung „Abolish“, also
       „Abschaffen“ im Namen. „Klar kann man nicht von heute auf morgen die
       Ausländerbehörden abschaffen, weil ja momentan ganz viel dranhängt für
       Menschen. Es ist eine langfristige Forderung und setzt gesellschaftlichen
       Wandel voraus“, sagt Winter.
       
       25 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.berlin.de/einwanderung/
   DIR [2] https://noborderassembly.blackblogs.org/de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nora Noll
       
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