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       # taz.de -- Safe Abortion Day: Sicher nur in der Theorie
       
       > Der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen ist in Deutschland mit
       > erheblichen Hürden verbunden. Initiativen rufen zur Legalisierung auf.
       
   IMG Bild: Mein Körper, meine Entscheidung: Abtreibungen könnten leichter gestaltet werden
       
       Berlin taz | Mund auf, Pille rein, Abtreibung erledigt? So leicht ist der
       Zugang zu sicheren [1][Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland]
       keineswegs: Feststellung der Schwangerschaft, Pflichtberatung, Versuch der
       Beantragung einer Kostenübernahme, dreitägige Wartefrist und das Auffinden
       eine*r Ärzt*in, die den Abbruch durchführt – so sieht der Hürdenlauf für
       ungewollt schwangere Personen derzeit aus. Um darauf aufmerksam zu machen
       und die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs zu fordern, rufen am 28.
       September berlin- und bundesweit Initiativen und Bündnisse zum „Safe
       Abortion Day“ auf.
       
       „Es ist die am häufigsten durchgeführte gynäkologische Operation. Es sollte
       eine ganz normale medizinische Behandlung sein“, fordert Gosia von der
       Initiative Ciocia Basia. Die polnische Initiative, übersetzt „Tante
       Barbara“, bringt Frauen aus Polen nach Berlin, um ihnen hier eine sichere
       Abtreibung zu ermöglichen. In Polen ist der Schwangerschaftsabbruch seit
       Mitte der 1990er Jahre verboten, auch in Deutschland ist Abtreibung
       grundsätzlich rechtswidrig, unter bestimmten Bedingungen jedoch straffrei.
       „Doch es gibt viele Hürden. Sie variieren je nach Praxis und Fall“, erzählt
       Gosia, die aus Sorge vor strafrechtlichen Konsequenzen in Polen, ihren
       Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte.
       
       „Viele Praxen weigern sich nach der 12. Woche Schwangerschaftsabbrüche
       durchzuführen. Andere bieten nur entweder medikamentöse oder operative
       Abbrüche an, nicht beides“, erzählt sie. [2][Für einen operativen Abbruch
       ist zudem eine Voruntersuchung beim Frauenarzt erforderlich]. Zwischen
       dieser Untersuchung und dem Operationstermin müssen mindestens 3 Tage
       „Bedenkzeit“ eingehalten werden; einige forderten sogar 4 Tage oder
       verlangten eine Bestätigung von einem weiteren Arzt.
       
       „Ein weiteres großes Hindernis ist die Pflichtberatung“, sagt Gosia. Diese
       erfordert immer die Einbeziehung eine*r Sozialarbeiter*in, die manchmal
       aus nicht nachvollziehbaren Gründen keinen
       Schwangerschaftskonfliktberatungsschein ausstellten oder Geld verlangten,
       obwohl die Leistung kostenlos sein müsste.
       
       ## Schwangerschaftsabbrüche ist eine Selbstzahlerleistung
       
       Die Abschaffung der Beratungspflicht fordert auch ein Bündnis
       gesundheitspolitischer und feministischer Initiativen, das Mitte September
       die Kampagne: „Abtreibung legalisieren – jetzt!“ ins Leben rief. „Wir
       fordern stattdessen ein freiwilliges Beratungsangebot“, sagt Jascha Anders
       vom Bündnis der taz. Außerdem brauche es eine Ausweitung der
       Beratungsstellen. „Im ländlichen Raum muss man bis zu eine Stunde fahren,
       um die Pflichtberatung durchführen zu können.“ Schließlich fordert das
       Bündnis die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenkasse. Bislang ist
       der [3][Schwangerschaftsabbruch eine Selbstzahlerleistung], weil
       Krankenkassen keine Kosten für illegale Behandlungen übernehmen dürfen.
       
       Auch Gosia betont: „Sicherer Schwangerschaftsabbruch bedeutet auch, dass er
       nicht teuer ist.“ In Deutschland kosten die Pillen für einen medikamentösen
       Abbruch mindestens 300 Euro. Die Ärzt*innen bestimmen die Preise, eine
       Obergrenze gibt es nicht. Die Kosten für einen operativen Eingriff liegen
       je nach Schwangerschaftswoche zwischen 400 und 600 Euro. Problematisch sei
       auch, dass Ärzt*innen in Deutschland häufig unzureichend informiert
       seien: „Sie verschreiben fehldosierte Pillen oder geben falsche Hinweise
       zur Einnahmemethode, sodass die Substanz vom Körper nicht aufgesaugt wird
       und der Abbruch scheitert“, erzählt Gosia. Zudem hätten einige wenig
       Vertrauen in ihre Patient*innen und forderten, dass sie für jede
       Pilleneinnnahme sowie anschließende Kontrolluntersuchungen in die Praxis
       kommen.
       
       Die Vielzahl der Hürden in Deutschland führe dazu, dass viele Frauen
       Abtreibungen in anderen Ländern durchführten, etwa in Österreich oder
       Tschechien, wo keine Beratungspflicht besteht. „Früher haben wir bis zu 8
       Personen die Woche nach Berlin gebracht, derzeit sind es nur noch 1 bis 2“,
       erzählt Gosia. „Denn unter manchen Umständen ist es in Polen sogar leichter
       abzutreiben als in Berlin, besonders bei medikamentösen Abbrüchen.“
       
       ## Die Politik soll sich aus dem Thema Abtreibung raushalten
       
       [4][Im veralteten polnischen Gesetz ist der medikamentöse Abbruch noch
       nicht enthalten], weshalb die Abtreibungspillen legal bestellt werden
       können, etwa aus den Niederlanden – und das für 75 Euro, weniger als einem
       Drittel des deutschen Preises. In Polen floriert derweil ein Schwarzmarkt
       mit zu niedrig dosierten oder gefälschten Abtreibungspillen, oft Placebos,
       wie Paracetamol, so Gosia. In Deutschland hingegen ist das Bestellen von
       Pillen verboten, da sie theoretisch vor Ort erhältlich sind. Allerdings
       dürfen sie hier nur bis zur 9. Schwangerschaftswoche verabreicht werden,
       obwohl die Pille laut Weltgesundheitsorganisation bis zum Ende der 12.
       Woche als sicherste Abtreibungsmethode gilt. Für Gosia zeigt dies, wie
       wenig politische Entscheidungen auf medizinischen Empfehlungen basieren.
       Ihr Appell: „Das Beste, was die Politik tun kann, ist sich aus dem Thema
       Abtreibung komplett rauszuhalten.“
       
       Das fordert auch das Bündnis der Kampagne „Abtreibung legalisieren –
       jetzt!“ sowie auch große Teile der Bevölkerung. Eine repräsentative
       Bevölkerungsumfrage im Auftrag des Bundesfrauenministeriums (BMFSFJ) im
       April ergab, dass 80 Prozent der deutschen Bevölkerung die Rechtswidrigkeit
       von Schwangerschaftsabbrüchen für falsch halten. Im April war ein
       Expertengremium, das von der Bundesregierung beauftragt wurde, zu dem
       Ergebnis gekommen, dass diese Regelung nicht mehr haltbar sei und forderten
       eine Reform des Abtreibungsrechts.
       
       Vertreter der Bundesregierung reagierten jedoch bislang zurückhaltend, mit
       der Begründung, die Legalisierung von Abtreibung treibe einen Spaltungskeil
       in die Gesellschaft. Jascha Anders vom Bündnis hält das für ein
       „Scheinargument“. Sie vermutet vielmehr, dass die Angst vor
       Wählerstimmenverlust die Regierung lähmt. „Die Regierung beugt sich einer
       kleinen konservativen Minderheit und lässt sich von dem Erstarken rechter
       Parteien, wie der AfD, die gegen Abtreibung sind, unter Druck setzen“,
       kritisiert sie.
       
       Das Bündnis ruft deshalb dazu auf, sich an der bundesweiten Aktionswoche
       zum „Safe Abortion Day“ vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung zu
       [5][beteiligen]. Am Samstag findet um 18 Uhr eine Kundgebung in der
       Zionskirchstraße, vor dem Büro der AfD-Bundestagsabgeordneten Beatrix von
       Storch, statt. Dort fordern sie die Legalisierung des
       Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland – noch in dieser Legislatur.
       
       28 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Umfrage-zu-Abtreibungen-in-Deutschland/!6004352
   DIR [2] /Kampagne-fuer-legale-Abtreibungen/!6034139
   DIR [3] /Marsch-fuer-das-Leben-und-Gegendemo/!6037939
   DIR [4] /Abtreibungen-in-Polen/!6034943
   DIR [5] https://www.gofundme.com/f/wrkv5-support-ciocia-basia?utm_campaign=p_cp+share-sheet&utm_medium=copy_link_all&utm_source=customer
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lilly Schröder
       
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