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       # taz.de -- Demo für Maja T.: Briefe aus der Haft
       
       > In Jena demonstriert die Zivilgesellschaft gegen die Auslieferung von
       > Antifas. Der Vater von Maja T. berichtet, wie es T. in ungarischer Haft
       > geht.
       
   IMG Bild: Auch am 6. Juli gingen in Leipzig schon Menschen auf die Straße und forderten Maja T.s Rückholung nach Deutschland
       
       Jena taz | Erst sind es nur wenige Stimmen, die vorsichtig mitsummen, dann
       werden es immer mehr – und plötzlich singt die ganze Menschenmenge auf dem
       Jenaer Marktplatz. Aus den etwa 400 Kehlen tönt „Bella Ciao“, ein
       italienisches Partisanenlied, das längst inoffizielle Hymne der
       antifaschistischen Bewegung geworden ist. Bella Ciao sei eines der
       Lieblingslieder von Maja T., hatte eine Rednerin auf der Bühne zuvor
       erzählt. Als sich das Lied dem Ende neigt, geht die Melodie in kraftvollen
       „Free Maja“ Sprechchören unter.
       
       Zu der Demonstration, die hier am Samstagnachmittag stattfand, haben die
       Eltern der im sogenannten Budapest-Komplex verfolgten
       Antifaschist*innen aufgerufen. Mit dem Begriff werden die
       verschiedenen Verfahren gegen diejenigen bezeichnet, die in Budapest im
       Februar 2023 am sogenannten „Tag der Ehre“ – einem Großevent der
       europäischen Neonaziszene – mehrere Rechtsextreme attackiert haben sollen.
       Viele Beschuldigte sind seither untergetaucht.
       
       Im Juli war Maja T. in einem [1][höchst fragwürdigen Verfahren] nach Ungarn
       ausgeliefert worden. Nachdem das Berliner Kammergericht einem ungarischen
       Auslieferungsgesuch stattgegeben hatte, wurde dieses in einer
       Nacht-und-Nebel-Aktion so schnell umgesetzt, dass selbst das
       Bundesverfassungsgericht nicht mehr einschreiten konnte. Als dieses am
       Vormittag des Folgetages die Aussetzung der Auslieferung anwies, um die
       Entscheidung überprüfen zu können, war Maja T. bereits in Ungarn.
       
       ## Die Forderung: Rückkehr nach Deutschland
       
       Mit der Demonstration fordern die Eltern der Untergetauchten deshalb die
       Rückkehr von Maja T. nach Deutschland und einen Verzicht auf weitere
       Auslieferungen nach Ungarn. Menschenrechtsorganisationen kritisieren die
       Haftbedingungen in Ungarn. Die Europäische Union hat wegen der unter der
       Orbán-Regierung erodierenden Rechtsstaatlichkeit bereits Gelder in
       Milliardenhöhe eingefroren. In der Vergangenheit hatten untergetauchte
       Antifas signalisiert, sich stellen zu wollen, wenn ihnen Verfahren in
       Deutschland zugesichert werden.
       
       In mehreren emotionalen Redebeiträgen liest Wolfram Jarosch, der Vater von
       Maja T., Briefe von T. aus der ungarischen Haft vor. Darin berichtet Maja
       T. von einem Mangel an Licht, gesundem Essen und menschlichem Kontakt. Bis
       auf einen kurzen Hofgang sei T. allein in der Zelle. Über dem Waschbecken
       befinde sich eine Kamera. Regelmäßig werde die Zelle durchsucht und T.
       abgetastet, oft müsse sich T. dafür ausziehen, manchmal inklusive
       Unterwäsche.
       
       „Die Gedankenkreiserei macht mich wahnsinnig“, liest Jarosch aus einem
       Brief. Und weiter: „Ich werde lernen müssen, die Stimmen in meinem Kopf zu
       bändigen.“ Auch Jarosch kann nicht verbergen, dass ihn das Lesen dieser
       Worte schmerzt. „Es scheint so“, sagt er, „als würde hier bewusst Folter
       und Erniedrigung eingesetzt, um einen jungen Menschen zu brechen, zu
       zerstören, um Geständnisse zu erzwingen.“
       
       ## „Holen Sie Maja zurück!“
       
       Jarosch fordert deshalb Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und
       Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) auf: „Holen Sie Maja zurück nach
       Deutschland! Sorgen Sie dafür, dass nicht mehr nach Ungarn ausgeliefert
       wird! Sorgen Sie für Rechtsstaatlichkeit!“
       
       Am Samstag herrscht eine andere Stimmung als auf Antifa-Demos üblich. Vorne
       läuft zwar das übliche Publikum: Viele junge Aktivist:innen, die in
       Sprechchören Freiheit für alle Antifas fordern und „Liebe und Kraft“ in den
       Untergrund und Knast senden. Durchweg ist der Protest kämpferisch und laut.
       Auf den Transparenten stehen Sprüche wie „Deutsche Polizisten prügeln für
       Faschisten“ und „Freiheit für alle politischen Gefangenen“.
       
       In dieses aktivistische Publikum mischt sich jedoch die linksliberale
       Jenaer Stadtgesellschaft. Auf dem Marktplatz auf der Auftaktkundgebung
       stehen Eltern mit ihren Kindern, Senior:innen, Schüler:innen und
       Studierende. „Es könnte morgen meine Tochter sein“, sagt eine ältere Frau
       knapp auf die Frage, warum sie heute hier sei. Ihre Begleiterin pflichtet
       ihr bei. „Ich hätte das nie im Leben für möglich gehalten, dass der Staat
       so mutige und engagierte Menschen derart fertig macht“, sagt sie.
       
       ## Die Stimmung ist familiär
       
       Nicht wenige hier kennen Maja T. persönlich: aus der Schule, der
       Nachbarschaft, den politischen Kontexten Jenas. Es ist diese Gemeinschaft
       der Betroffenen, die dem Protest ihren Stempel gibt. Die Stimmung ist
       familiär, man begrüßt sich mit Wangenküsschen und Umarmungen. Am Ende
       sprechen mehrere Freund:innen von Maja T. „Maja ist eine herzliche
       Person, die uns zum Lachen bringt, die mutig und selbstständig ihr Ding
       macht.“
       
       Doch sie machen sich Sorgen: darüber, dass Maja T. zerbrechen könne, dass
       es T. in ungarischer Haft nicht mehr gelingen könnte, Maja T. zu bleiben.
       „Wir vermissen dich schrecklich, und egal, wie viele Jahre wir getrennt
       bleiben: Du bist in unserem Herzen immer mit dabei“, beenden sie ihre Rede.
       
       29 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Auslieferung-von-Maja-T-nach-Ungarn/!6018070
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Timm Kühn
       
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