URI: 
       # taz.de -- Musikproduktion: Wie TikTok die Konzipierung meiner Musik verändert
       
       > TikTok ermöglicht die virale Verbreitung von Songs. Und beeinflusst auch,
       > wie Musik konzipiert wird. Immer im Blick: die Klicks.
       
   IMG Bild: TikTok verändert Musik
       
       Wie wird man gehört? Also, so richtig? Spotify-Zahlen, Instagram-Follower
       und Tiktok-Views sind mittlerweile die zentrale Metrik in der
       Musikindustrie. Du musst Tiktok machen, wenn du Musik machen willst, sagen
       sie. Sonst nimmt dich niemand ernst.
       
       Ich will Musik machen. Deshalb versuche ich es mit [1][Tiktok]. Und ich
       merke, dass das etwas mit mir macht. Wenn es gut läuft, bin ich im
       Dopaminrausch. Aber so schnell wie das Video auf Tiktok viral geht, gehen
       die Streaming-Zahlen auch wieder nach unten. Und mein High auch.
       
       Ich merke, wie das mein Leben beeinflusst. Wie es meine Stimmung
       kontrolliert. Manchmal verbringe ich Stunden damit, Metriken auf diesen
       Plattformen auszurechnen, Schlüsse zu ziehen. Ständig lade ich Statistiken
       neu, um am Ende – ja, was eigentlich zu tun? Nichts.
       
       Ich mache deshalb nicht mehr oder bessere Musik. Wenn es gut läuft, wird
       man angefragt für Konzerte und allerhand Blödsinn wie Werbedeals. Wenn
       nicht, ist man alleine mit den Erwartungen und der Selbstkritik. Ist das,
       was ich tue, relevant? Will das jemand sehen? Manchmal habe ich Angst,
       etwas zu teilen, weil es schlecht ankommen könnte. Oft poste ich etwas und
       lösche dann erst mal die App.
       
       Und dann sehe ich andere, denen es scheinbar leichter fällt. Da wäre Yu. Er
       macht nicht nur großartige Musik, sondern postet auch mehrmals am Tag. Und
       das, von außen betrachtet, mit Leichtigkeit, aus dem Affekt heraus. Ich
       hingegen muss mich zwingen und hinterfrage meine Posts. Habe ich nicht
       genug Commitment? Hab ich es nicht verdient, gehört zu werden?
       
       Tiktok verändert die Art, wie ich [2][Musik] mache. Wenn ich einen Song
       schreibe, denke ich: Kann ich diesen Teil in Content übersetzen? Musik wird
       schon beim Entstehen auf das mögliche Engagement im [3][Tiktok-Algorithmus]
       optimiert. Ich überlege mir, wie die Videos aussehen könnten, die ich dazu
       drehe. Ich frage mich, ob der Song schnell genug interessant wird, damit er
       nicht weggeklickt wird. Eigentlich entwerfe ich keinen Song, der für sich
       steht, sondern ein Medienkonzept mit einem Song.
       
       Ich weiß nicht mal, ob ich das schlimm finde. Ich will keinen auf „früher
       war alles besser“ machen. Noch nie war es so einfach, Musik zu produzieren
       und zu promoten. In gewisser Weise ist die heutige Musikindustrie so
       unabhängig wie nie zuvor. Man kann ohne Major-Label, ohne viel Geld sehr
       erfolgreich sein. Gleichzeitig sind Musiker*innen heute noch abhängiger
       von großen Unternehmen. Wer Musiker*in werden will, muss eigentlich
       Influencer*in werden.
       
       Es ist das Paradox des Internetkapitalismus, der einerseits alles
       dezentralisiert und Macht vermeintlich demokratisiert, aber im selben
       Atemzug neue Monopole und Abhängigkeiten schafft, die oft undurchsichtiger
       sind als das, was zuvor herrschte. Was, wenn Tiktok plötzlich deinen
       Account sperrt? Oder plötzlich nicht mehr so funktioniert wie erwartet?
       Oder wenn das, was du tust, zwar genial ist, aber nicht der Logik aus
       Engagement und Interaktion im Feed entspricht?
       
       Aktuell erreiche ich mehr Menschen als je zuvor mit meiner Musik. Von außen
       sieht wahrscheinlich alles rosig aus. Aber in mir drin kurvt eine
       Achterbahn. Dagegen spaziere ich mittlerweile ein, zwei Stunden am Tag an.
       
       Wie muss es erst Menschen gehen, die wirklich nur Künstler*innen sind,
       deren Leben noch mehr von Algorithmen abhängt? Man kann ja nicht den ganzen
       Tag durch die Gegend laufen, oder?
       
       15 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /TikTok/!t5647139
   DIR [2] /Universal-Inhalte-auf-TikTok-entfernt/!5987512
   DIR [3] /Social-Media-gegen-rechts/!6003033
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Maurice Conrad
       
       ## TAGS
       
   DIR Kolumne Änder Studies
   DIR wochentaz
   DIR Zukunft
   DIR TikTok
   DIR Soziale Medien
   DIR Autoverkehr
   DIR Kolumne Field Trip
   DIR 70er
   DIR Jugendliche
   DIR TikTok
   DIR TikTok
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Navigations-Apps: Sie haben Ihr Ziel verfehlt
       
       Unser Autor verzweifelt beim Autofahren regelmäßig an Navigations-Apps. Ein
       Klagelied über eine irreführende Entwicklung.
       
   DIR Umweltbewusstsein in den USA: Wandel, wo man ihn nicht erwartet
       
       Ausgerechnet im mittleren Westen der USA findet unsere Kolumnistin ein
       umweltbewusstes Amerika. Die Stadt Duluth wirkt politisch zerrissen.
       
   DIR Gutgemeinter Rat an Thomas Gottschalk: Ach, Tommy!
       
       Unser Autor ist mit Thomas Gottschalk als Radiomoderator aufgewachsen.
       Jetzt wünscht er ihm, einen besseren Umgang mit dem Altern zu finden.
       
   DIR Viraler Song auf Tiktok „The Spark“: Den Funken wiederfinden
       
       Irische Kids haben einen Song über Empowerment aufgenommen und feiern dazu
       ab. Nun steigen auch Erwachsene darauf ein.
       
   DIR Universal-Inhalte auf TikTok entfernt: Leise zirpen die Grillen
       
       Universal Music hat TikTok Millionen von Songs entzogen und fordert mehr
       Geld für Künstler*innen. Viele von ihnen sind auf die Plattform angewiesen.
       
   DIR Wie TikTok das Musikverhalten ändert: Die Challenge der Demenz
       
       Durch Tiktok wird ein Postbote zum Popstar und die Aufmerksamkeitsspanne
       auf 15 Sekunden verkürzt. Auch ein Ambient-Werk wurde dort gehypt.