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       # taz.de -- Die Zukunft der SPD: Der mit dem Plan
       
       > Kronprinz und Kanzlermacher: Lars Klingbeil ist jetzt der mächtigste
       > Sozialdemokrat hinter Olaf Scholz. Kann er die SPD wieder stark machen?
       
   IMG Bild: Berlin, 7. November 2023: Bundeskanzler Olaf Scholz und Lars Klingbeil, SPD-Bundesvorsitzender, bei der SPD- Fraktionssitzung
       
       Am Abend vor dem Tag der Deutschen Einheit sitzt Lars Klingbeil am Gate F4b
       des Flughafen Istanbul. Er hat gerade die türkischen Schwesterparteien
       besucht, die taz begleitete ihn. Und fragt den SPD-Vorsitzenden kurz vor
       dem Rückflug auch nach [1][Kevin Kühnert.] War es vielleicht ein Fehler,
       ihn zum Generalsekretär zu machen? Hätte Kühnert nicht an anderer Stelle
       mehr für die SPD erreichen können?
       
       Klingbeil holt Luft. „Ich bin froh, dass Kevin unser Generalsekretär ist.“
       Gemeinsam werde man jetzt den Wahlkampf organisieren. Ahnt Klingbeil
       bereits, dass es anders kommen wird? Er hat in den letzten Wochen viel mit
       seinem Freund Kevin Kühnert gesprochen. Dass es ihm nicht gut geht, weiß
       Klingbeil.
       
       Wenige Tage später steigt Kühnert aus. Er informiert am Wochenende die
       Parteiführung, am Montag verschickt er einen Brief an Freunde und
       Genossinnen: [2][Rücktritt von allen Ämtern]. Er brauche seine Energie, um
       wieder gesund zu werden. Am Tag darauf präsentieren die Parteivorsitzenden
       bereits den Nachfolger: Matthias Miersch, Fraktionsvize im Bundestag, wird
       neuer Generalsekretär. Dass Kühnert abtritt, hat viele schockiert.
       Klingbeil, der ihn drei Jahre zuvor als Generalsekretär vorgeschlagen
       hatte, ist sichtlich getroffen. Aber unvorbereitet ist er nicht.
       
       Schon nach der für die SPD missglückten Europawahl im Juni, für die Kevin
       Kühnert den Wahlkampf orchestrierte, wurde die Machtbalance im
       Willy-Brandt-Haus verschoben. Klingbeil schaltete sich stärker in die
       Planung der Kampagne für die Bundestagswahl ein, eigentlich eine klassische
       Generalsekretärsaufgabe.
       
       ## Nach dem Rückzug von Kevin Kühnert
       
       Auch nach dem Wechsel auf dem Posten bleibt es dabei – Klingbeil gibt die
       Marschrichtung vor, Miersch setzt sie um. An diesem Wochenende fällt der
       Startschuss, dann trifft sich der Parteivorstand zur Klausur, schwört sich
       ein auf die Mission 2025: Alles auf Kanzler. Damit ist Lars Klingbeil nun
       der mächtigste Sozialdemokrat hinter dem Kanzler, derjenige, in dessen Hand
       es liegt, die Macht für die SPD zu sichern.
       
       Saskia Esken ist als gleichberechtigte Parteichefin gewählt, aber sie ist
       angezählt, die Zahl ihrer Unterstützer schwindet. Im Wahlkampf soll sie
       sich vor allem um Kontakte zu gesellschaftlichen Akteuren kümmern.
       Klingbeil spricht weiterhin stets von gleichberechtigter Arbeitsteilung.
       Man kann es aber auch Degradierung nennen.
       
       Klingbeil ist 17 Jahre jünger als Esken, doch breiter in der Partei
       vernetzt und anerkannter. Erst Mitte 40, aber schon ein SPD-Urgestein. Seit
       2009 sitzt er im Bundestag, sein Förderer war Frank-Walter Steinmeier, sein
       Mentor Franz Müntefering, mit dem er sich bis heute regelmäßig austauscht.
       Martin Schulz schlug ihn 2017 als Generalsekretär vor, kaum im Amt
       verhandelte Klingbeil die Große Koalition mit der Merkel-Union.
       
       Sein Gegenspieler war Juso-Chef Kevin Kühnert, der die „No-GroKo“-Kampagne
       lostrat und für den Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag fast
       25.000 neue Genoss:innen für die SPD anwarb. Klingbeil bedankte sich bei
       Kühnert mit einem Toaster aus dem Parteishop.
       
       ## Versöhnen und die Partei vereinen
       
       Versöhnen und die Partei hinter einer gemeinsamen Strategie versammeln, das
       kann Klingbeil. Der Erfolg von 2021 geht maßgeblich auf sein Konto. Der SPD
       gelang es mit 25,7 Prozent stärkste Partei bei der Bundestagswahl zu werden
       und für Olaf Scholz das Kanzleramt zu sichern. Obwohl die Ausgangslage ein
       Jahr vor der Wahl ähnlich schlecht wie derzeit war. Die SPD dümpelte in
       Umfragen, das Rennen um Platz eins spielte sich zwischen Union und Grünen
       ab. Der Trend drehte sich erst kurz vorm Wahltermin.
       
       Die scheinbar ähnliche Ausgangslage gibt manchem im Kanzleramt die
       Gewissheit: Genauso wird es wieder klappen, von hinten anschleichen und im
       Schlussspurt die Spitze übernehmen.
       
       Doch dass sich das Szenario 2021 wiederholt ist zweifelhaft, der
       Bundestagswahlkampf wird für die SPD wohl zum mühsamen Dauerlauf. Die von
       Scholz geführte Ampel ist unbeliebter, als es die GroKo unter Merkel je
       war, seine persönlichen Beliebtheitswerte in einem Keller, den Merkel nie
       betrat. Die wirtschaftliche Lage ist schlecht, die Menschen
       ukrainekriegsmüde und migrationsüberfordert, [3][die AfD feiert Höhenflüge]
       und mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht gibt es einen weiteren Akteur, der
       das Bewerberfeld populistisch aufmischt.
       
       Nee, glücklich sei er derzeit nicht, sagt Klingbeil. „Wie auch, wenn meine
       Partei bei 16 Prozent liegt.“ Er glaubt dennoch: „Erfolg kann man
       organisieren.“ Als er diesen Satz auf dem Rücksitz seines Dienstwagens
       sagt, der nach Werder in Brandenburg braust, ist eine Bedingung seines
       Wir-bleiben-Kanzler-Plans gerade erfüllt worden.
       
       Einen Tag zuvor, am 17. September durfte Markus Söder verkünden, wer
       Kanzlerkandidat der Union wird: „Friedrich Merz macht’s.“ Klingbeil wirkt
       bei allem SPD-Blues fast vergnügt, hätte er sich jemanden aussuchen dürfen,
       dann Merz. „Er ist 30 Jahre zu spät dran und hat keine Impulskontrolle.“
       
       Das Gegenteil von Olaf Scholz also, bei dem die Impulskontrolle oft eher zu
       gut funktioniert.
       
       ## Ein ungleiches Duo
       
       Auch der Kanzler und Klingbeil sind ein ungleiches Duo – Klingbeil liebt
       Musik, Sport und Bayern München, Scholz Bücher, Bücher und Britta Ernst.
       Man könne gut und kontrovers miteinander reden und habe ein offenes
       Verhältnis, „in dem Wissen, dass wir unterschiedliche Typen sind“.
       
       Scholz profilieren, ihn vom Ampel-Negativtrend lösen, die SPD und ihre
       Themen platzieren, das sind die nächsten Etappen, die Klingbeil nehmen
       will. In der SPD gibt es Zweifel, ob Klingbeil dazu die nötige Autorität
       besitzt. Der sei zwar ein netter Kerl – ein echtes Gegengewicht zu Scholz
       sei er noch nicht. Die Partei agiere viel zu brav, schwimme zu sehr im
       Regierungsfahrwasser, hört man.
       
       Öffentlich verschärft Klingbeil nun den Ton und erhöht den Druck auf
       Scholz. „Auch der Bundeskanzler muss seinen Teil dazu leisten, dass wir
       erfolgreich sind bei der nächsten Bundestagswahl“, legt er sich in einem
       Gartenlokal in Werder vor gut 100 Zuhörer:innen ins Zeug. Er erwarte,
       dass das Rentenpaket durchkomme, das Tariftreuegesetz verabschiedet und
       Industriearbeitsplätze gesichert werden. Eine klare Ansage: Olaf, Schluss
       mit dem Moderieren, rein in die Boxhandschuhe.
       
       Vor drei Jahren gewann die SPD die Menschen mit einer Erzählung von Respekt
       für sich – Respekt für Menschen, die im Niedriglohnsektor schuften –
       Mindestlohn auf 12 Euro! Respekt für jene, die nach 45 Jahren nicht mehr
       können – Rente mit 63! Wie könnte eine sozialdemokratische Erzählung heute
       lauten? Geht es nach Klingbeil, wird sie um die arbeitende Mitte kreisen,
       „die Anständigen und die Fleißigen“. Und darum, wer die besten Konzepte
       hat, um Industrie und Arbeitsplätze zu sichern. Nicht gerade
       nobelpreisverdächtig, aber solide SPD-Kost.
       
       ## Der neue SPD-Generalsekretär
       
       Die [4][Ernennung des Parteilinken Matthias Miersch] zum Generalsekretär
       passt da gut hinein. Miersch will die SPD deutlicher von der Merz-Union
       abgrenzen, setzt auf einen starken Staat und hat sich immer wieder für eine
       Reform der Schuldenbremse und eine Besteuerung von Vermögen ausgesprochen.
       
       Der profilierte Klima- und Energiepolitiker kann auch die Grünen auf
       Abstand halten. Die SPD sei die Kraft, „die sagt, dass Ökologie,
       wirtschaftliche Vernunft und sozialer Zusammenhalt zusammen gedacht werden
       müssen“, lief er sich vergangene Woche schon warm. Dass die Grünen und
       Robert Habeck aus dem Rennen sind, ist essenziell für den Klingbeil-Plan,
       in dem alles auf ein Duell Merz gegen Scholz hinausläuft. Aber was, wenn
       Habeck am Ende den Scholz macht?
       
       Und was, wenn die FDP, die Ampel verlässt und die Union auf vorgezogene
       Neuwahlen beharrt? Stand heute würde dann Merz Kanzler.
       
       Zudem sind wichtige Themen, wie Frieden und Migration, derzeit von BSW und
       AfD besetzt. Beide Parteien landeten bei den Wahlen in Sachsen und
       Thüringen deutlich vor der SPD. Die Lehre daraus sei, „dass wir bei diesen
       Themen mehr machen müssen“, meint [5][Ralf Stegner]. Als einziger
       prominenter SPD-Politiker sprach er auf der „Friedensdemo“ am 3. Oktober in
       Berlin. Sein Beweggrund: Die SPD zwischen denen, die nur über Waffen reden,
       und denen, die lediglich Zugeständnisse an Putin machen wollen, zu
       positionieren. „Da ist meilenweit Platz für eine linke Volkspartei wie die
       SPD.“
       
       ## Die SPD und der Pazifismus
       
       Militärische Unterstützung und Diplomatie gehörten zusammen, hält Klingbeil
       in Werder einem Mann entgegen, der beklagt, die SPD sei doch mal eine
       pazifistische Partei gewesen sei. „Und im Übrigen, die SPD war nie eine
       pazifistische Partei.“ Von jüngeren Gästen erhält Klingbeil Beifall, ältere
       wiegen skeptisch die Köpfe.
       
       Elf Monate sind es noch bis zur Bundestagswahl. Scholz soll erst im Juni
       offiziell als Kanzlerkandidat nominiert werden. Aber manchmal überschlagen
       sich die Ereignisse ja. Sollte sich die SPD entscheiden, den
       Führungsspieler auszuwechseln – stünde er, Lars Klingbeil, bereit? „Nein“,
       sagt Klingbeil. „Wir haben einen Bundeskanzler, und ich tue alles, damit er
       es bleibt.“ Außerdem denke er überhaupt nicht darüber nach, den
       Parteivorsitz aufzugeben.
       
       „Dass ich als Junge vom Dorf, der Erste in der Familie, der Abi gemacht und
       studiert hat, Vorsitzender der ältesten Partei Europas sein darf, ist schon
       eine große Ehre.“ Klar, könne er sich vorstellen noch mal eine andere
       Verantwortung zu übernehmen. Aber nicht jetzt. „Das Rennen wird hart genug,
       dafür muss ich 100 Prozent geben.“
       
       Gewinnt Scholz die Wahl, kann Klingbeil abheben. Wird Scholz gestürzt, dann
       stürzt wohl auch der Kronprinz.
       
       12 Oct 2024
       
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