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       # taz.de -- Frank Schulz „Amor gegen Goliath“: Mit Liebe gegen die fossilen Riesen
       
       > Der „Belami von Eimsbüttel“ trifft auf Kreta mit Aktivisten und
       > Verschwörungstheoretikern zusammen: Frank Schulz hat einen
       > Klimawandelroman geschrieben.
       
   IMG Bild: In den Süden fliegen macht Spaß – auch Klimaaktivist*innen
       
       Ein Zausel, dessen wirre Videos auf Youtube schon mal mehr als 10.000
       Klicks erreichen, liefert die Botschaft dieses Romans. Er turnt in
       [1][Hamburg] vor der Stadtkulisse herum und predigt über den
       [2][Klimawandel], die Klimakrise, die Klimakatastrophe – wie auch immer.
       Wie der Kampf gegen die fossilen Riesen gewonnen werden kann? Mit der
       Liebe. Amor gegen Goliath. Mit dieser Botschaft können die Aktiven im Kampf
       für das Weltklima weitermachen, auch wenn sich immer weniger Leute für ihr
       Engagement interessieren.
       
       Echt jetzt? Das soll die Botschaft sein dieses großen deutschen
       Klimaromans, den [3][Frank Schulz] da komponiert hat? Oder ist es gar kein
       Klimaroman? Und ist er wirklich groß? Ja, was will den Lesenden wohl ein
       Autor sagen, der über seine Figuren bisweilen so schreibt, als wolle er
       sich über sie lustig machen?
       
       Nun ja, erst einmal will er sie vielleicht bei der Stange halten über die
       satten 750 Seiten. Mit seinem Spaß an wohl gepflegten Unsinnsformulierungen
       gelingt ihm das. Da ist dann mal von der „prototypischen Charaktermaske
       eines Eliteangehörigen des mental-autoritär-kulturkapitalistischen
       Komplexes“ die Rede. Aber es geht auch einfacher. Der in die Jahre kommende
       Aufreißer Dr. phil. Philipp Büttner, dessen „Tiger Move“, mit dem er die
       Frauen zu umschwänzeln weiß, mit der Zeit nicht mehr ganz so geschmeidig
       ist wie ehedem, wird als der „Belami von Eimsbüttel“ vorgestellt.
       
       ## Im Bett auf Kreta
       
       Am Ende landet der arbeitslos gewordene Journalist, dessen größte
       Qualifikation die Freundschaft zu einem stellvertretenden
       Redaktionsleiter einer Zeitschrift ist, der in Talkshows seine
       Allwissenheit zur Schau trägt, während eines Aufenthalts auf Kreta im Bett
       mit der viel älteren pensionierten Lehrerin.
       
       Die hatte eigentlich nur noch zwei Ziele, einmal einen Aufsatz in der
       Zeitschrift Merkur unterzubringen – über die Klimakrise, versteht sich –
       und endlich den Schatten ihres Ex-Mannes loszuwerden, [4][der sich zu einem
       rechten Influencer entwickelt hat]. Das hatte Büttner zwar nicht vor, macht
       aber auch nichts, denn er hatte ja schon Erfahrung mit einer älteren Frau,
       seiner Doktormutter, was er nie vergessen wird, hat er die Beziehung doch
       wie alle darauf folgenden in eine Excel-Tabelle eingepflegt.
       
       Eigentlich wollte jener Belami auf Kreta mit den zwei Frauen, seiner
       Verlobten und deren bester Freundin, mit denen er unterwegs war, endlich
       seine Fantasie von einer „Triole, einem flotten Dreier, wie Tante Gisela
       sagt, einem Threesome FFM HD, wie die Menüleiste über dem Pornoportal
       sagt“, ausleben. Das endet im Desaster und ist so wenig erfolgreich wie
       seine Annäherungsversuche an Cathi, die ihren depressiven Mann, den Musiker
       Ricky Kottenpeter (!) an alter Urlaubsstätte auf der Mittelmeerinsel
       wieder zu jenem Geschöpf machen möchte, in das sie sich nach einem Auftritt
       der Band Kottenpeters Knötterpötten (!) einst verliebt hatte.
       
       ## Greta Thunberg und Klimaschwänzen
       
       Cathi ist Aktivistin bei den Everydays for Future in Osnabrück und hängt
       deshalb immer am Handy. Ihr Leben hat sich grundlegend verändert, seit
       Greta Thunberg das erste Mal die Schule für das Klima geschwänzt hat. Das
       mag anderen auch so gehen, die sich wie Cathi im Urlaub auf Kreta vor
       Freunden mit dem Systemargument dafür rechtfertigen, dass sie dann eben
       doch mit dem Flugzeug in den Süden geflogen sind, wo sich die ganz heißen
       Tage mit über 40 Grad dank Klimaanlage bisweilen sogar kalt anfühlen.
       
       Das ist es, was einen durch den Roman treibt. Immer wieder wird man mit
       Sätzen ertappt, die man vielleicht selbst sogar schon mal gesagt hat. Und
       von den Nebenfiguren, die durch das Buch tapern, ist einem der eine oder
       die andere gewiss auch schon mal begegnet: Der Nachbar, der zum
       „Covidioten“ – wie schön, dass Schulz dieses Wort dem Vergessen entrissen
       hat! – mutiert ist, oder der alte, sehr weiße Mann, der einen mit
       Newslettern in gewollt witzigem Ton mit den handelsüblichen
       Verschwörungstheorien belästigt. Schulz spielt die Lesenden auf diese Weise
       gezielt an und wird so manchen Treffer landen. Ein durchaus geschmeidiger
       literarischer Tiger Move ist das.
       
       17 Oct 2024
       
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