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       # taz.de -- Legale Schwangerschaftsabbrüche: Alles muss man selber machen
       
       > Die Ampel kann sich nicht darauf einigen, Abtreibungen zu legalisieren.
       > Nun haben zivilgesellschaftliche Organisationen einen Gesetzentwurf
       > erarbeitet.
       
   IMG Bild: Wurde symbolisch schon mal gestrichen: Paragraf 218 StGB, nach dem Schwangerschaftabbrüche bislang verboten sind
       
       Berlin taz | „Wir machen heute Geschichte“, sagt Stephanie Schlitt. Mit
       diesen Worten leitet die Vize-Vorsitzende von Pro Familia über zum Anlass
       der digitalen Pressekonferenz an diesem Donnerstagmorgen: Der Vorstellung
       eines von Expertinnen erarbeiteten Gesetzentwurf, um die Kriminalisierung
       von Schwangerschaftsabbrüchen zu beenden.
       
       Der Vorschlag sieht vor, Schwangerschaftsabbrüche bis zur 22. Woche nach
       Empfängnis nicht mehr als Straftat, sondern als rechtmäßige medizinische
       Gesundheitsleistung zu regeln. Spätere Abbrüche sollen weiterhin bei
       medizinischer Indikation rechtmäßig bleiben. Die Kosten für Abbrüche sollen
       die Krankenkassen tragen.
       
       Zudem sollen die bisherige Beratungspflicht so wie die verpflichtende
       Wartefrist von drei Tagen wegfallen. Stattdessen sollen Schwangere
       grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf psychosoziale Beratung haben – samt
       Anrecht auf Sprachmittlung. Der Entwurf sei eine „vollständige Neuregelung
       des Schwangerschaftsabbruchs“, sagt bei der Vorstellung die Strafrechtlerin
       und Mitverfasserin Liane Wörner.
       
       ## Gesetzentwurf von unten
       
       [1][Wörner war eine von neun Expertinnen], die im Auftrag der
       Bundesregierung ein Jahr lang überprüft hatten, ob und wie
       Schwangerschaftsabbrüche auch außerhalb des Strafrechts geregelt werden
       könnten. Im April hatte die Kommission in ihrem Bericht deutlich gemacht:
       Die in Deutschland geltende grundsätzliche Rechtswidrigkeit von Abbrüchen
       sei zumindest in der Frühphase der Schwangerschaft „nicht haltbar“. Die
       Ampel-Regierung hat diesem Bericht allerdings bislang keine Taten folgen
       lassen. Etwas rühriger sind die [2][Fraktionen von SPD und Grünen]. Deren
       Abgeordnete werben derzeit für eine fraktionsübergreifende Initiative.
       Erfolgschancen: ungewiss.
       
       Ob es dazu kommt, das wollte das Bündnis aus 26 Verbänden, das nun zur
       Pressekonferenz geladen hat, nicht abwarten. „Üblicherweise kommen
       Gesetzentwürfe von Ministerien oder Parlamentarier*innen“, sagt Schlitt. An
       diesem Tag sei das anders: „Wir [3][fordern den Kanzler, die
       Minister*innen und die Abgeordneten aller demokratischen Parteien auf],
       den Schwangerschaftsabbruch noch in dieser Legislatur neu zu regeln.“
       
       Erarbeitet wurde der Entwurf von drei Professorinnen, die allesamt auch
       Teil der im Regierungsauftrag arbeitenden [4][Kommission für reproduktive
       Selbstbestimmung und Reproduktionsmedizin] waren. Neben Liane Wörner sind
       das die Sozialrechtlerin Maria Wersig und die Verfassungsrechtlerin
       Friederike Wapler. Zu den 26 Verbänden, die dafür den Auftrag gegeben
       hatten, zählen neben Pro Familia unter anderem Amnesty International, das
       Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, die Doctors for Choice, der
       Juristinnenbund, die AWO, Verdi, UN Women Deutschland und der Deutsche
       Frauenrat.
       
       Das Strafrecht sei lange das „Kernstück“ der Regelung von
       Schwangerschaftsabbrüchen gewesen, erklärt Wörner. Das soll nun anders
       werden. Bis zur eigenständigen Lebensfähigkeit des Fötus sollen Abbrüche
       laut Entwurf „rechtmäßige medizinische Gesundheitsleistung“ sein, geregelt
       im Schwangerschaftskonfliktgesetz.
       
       ## Keine Strafe für die Schwangere
       
       Nach der 22. Woche sollen sie rechtswidrig bleiben – aber auch hier soll es
       ohne Strafrecht gehen: Wer diese Abbrüche durchführe, solle über das
       Ordnungswidrigkeitenrecht und über die Berufsordnungen der Ärzt*innen
       oder sonstigen Heilberufe belangt werden, sagt Wapler. Er müsse
       „empfindliche Konsequenzen tragen“, etwa den Verlust der Approbation.
       
       Die Schwangere selbst soll nicht bestraft werden. Es seien Fälle von
       „großer Tragik“, bei denen eine Bestrafung der Frauen „nicht angemessen und
       nicht verhältnismäßig“ sei. Des Strafrechts bedürfe es nur zum Schutz der
       Frau, so Wörner. Im Entwurf geht es dabei sowohl um Nötigung zum Abbruch
       wie auch um Nötigung, einen gewollten Abbruch zu unterlassen.
       
       Unberührt bleiben soll das Recht von Ärzt*innen, sich dem Mitwirken an
       einem Schwangerschaftsabbruch zu verweigern. Diese Entscheidung sei aber
       „höchst persönlich“, betont Wersig. Öffentliche Einrichtungen könnten sich
       darauf nicht im Ganzen berufen. Bislang führen etwa viele konfessionelle
       Krankenhäuser mit Verweis auf Religion keine Abbrüche durch.
       
       Die aktuelle Rechtslage in Deutschland beruht auf Urteilen des
       Bundesverfassungsgerichts. Dieses hatte zuletzt vor rund 30 Jahren
       entschieden, dass schon ein Embryo ein Lebensrecht habe und Abbrüche
       grundsätzlich rechtswidrig seien. Unter bestimmten Bedingungen werden sie
       aber nicht bestraft.
       
       ## Mehrheit für Legalisierung
       
       Diese Rechtsprechung trage den Grundrechten der Schwangeren „nicht
       hinreichend Rechnung“ und zeichne sich durch einen „lebensfremden, mit
       empirischen Erkenntnissen nicht belegbaren Zugang zu der Lebenssituation
       ‚Schwangerschaft‘ aus“, heißt es dazu im Gesetzentwurf. Eine Neubewertung
       sei angezeigt, auch, weil sich das internationale Recht auf dem Gebiet
       weiterentwickelt habe.
       
       Der Entwurf baue auf den Empfehlungen der Expert*innenkommission
       auf, betont Wapler. In den ersten 12 Wochen sei der Abbruch ganz klar
       rechtmäßig und straffrei zu stellen. In der Phase bis zur 22. Woche habe
       der Gesetzgeber Gestaltungsspielräume. „Wir haben uns entschieden, diese
       Spielräume im Sinne der Empfehlungen internationaler Menschenrechtsgremien
       und den Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation auszunutzen“, so Wapler.
       
       Ob sich der Bundestag in dieser Legislatur noch mit
       Schwangerschaftsabbrüchen befassen wird, ist ungewiss. [5][Die
       Bundesregierung scheut die Debatte aus Angst vor Polarisierung], unter den
       Ampel-Fraktionen [6][bremst die FDP]. Umfragen zeigen allerdings, dass eine
       [7][deutliche Mehrheit der Bevölkerung] für ein liberaleres
       Abtreibunsgsrecht ist. Kurz nach der Vorstellung des Gesetzentwurfs übergab
       am Donnerstag zudem das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung der
       Bundesregierung und den Ampel-Fraktionen eine entsprechende [8][Petition
       mit mehr als 50.000 Unterschriften].
       
       Die Grünen-Abgeordneten Maria Klein-Schmeink und Ulle Schauws bekräftigten,
       Ziel ihrer Fraktion sei eine Neuregelung in dieser Legislatur. Deutlich
       machten sie aber auch, dass sie nicht auf die Regelung aus dem
       Expertinnenentwurf beharren würden: Man führe derzeit [9][„intensive
       Gespräche“, um „mehrheitsfähige Lösungen auszuloten“]. Wichtig sei ihnen
       die Rechtssicherheit „in der Frühphase“ der Schwangerschaft – also im
       Zweifel nicht in den ersten 22 Wochen, sondern in den ersten zwölf.
       
       17 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Empfehlungen-zu--218-Reform/!6001743
   DIR [2] /SPD-Vorstoss-zu-Schwangerschaftsabbruechen/!6019917
   DIR [3] https://www.profamilia.de/ueber-pro-familia/presse#c104328
   DIR [4] /Schwangerschaftsabbrueche-in-Deutschland/!6000620
   DIR [5] /Abtreibungen-in-Deutschland/!6001744
   DIR [6] /Kampagne-fuer-legale-Abtreibungen/!6034139
   DIR [7] /Umfrage-zu-Abtreibungen-in-Deutschland/!6004352
   DIR [8] https://innn.it/wegmit218
   DIR [9] /Menopausenstrategie-der-Union/!6040083
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dinah Riese
       
       ## TAGS
       
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