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       # taz.de -- Sauerstoffloch in der Elbe: Der Stör, der auf der Strecke blieb
       
       > In der Elbe gab es in diesem Sommer ein fast 30 Kilometer langes, tiefes
       > Sauerstoffloch. Das schafft eine Barriere für elbaufwärts wandernde
       > Fische.
       
   IMG Bild: Hoffnungsvoll: Ein Stör wird zur Wiederansiedlung in die Elbe eingesetzt
       
       Hamburg taz | Für den Umweltverband Rettet die Elbe ist der Fall klar: Er
       hat eine Postkarte gestaltet mit einem verendeten Stör, der Ende Juli vor
       Blankenese gefunden wurde. Darüber steht: „Gruß aus dem Sauerstofftal
       Elbe“, zu adressieren an die Umweltministerien der Anrainerländer.
       
       Ein sogenanntes Sauerstoffloch – also eine Phase mit für Fische
       lebensgefährlich geringem Sauerstoffgehalt im Wasser – gibt es fast jeden
       Sommer in der Elbe. In diesem Jahr ist dem Strom jedoch ungewöhnlich lange
       die Luft weggeblieben. „Dauer und räumliche Ausdehnung des Sauerstofflochs
       waren in diesem Jahr extrem“, stellt Rettet die Elbe fest.
       
       Ursache dieses Sauerstofflochs [1][ist nach Überzeugung des Umweltverbandes
       die Elbvertiefung]. Das belegten umfangreiche Daten aus öffentlich
       zugänglichen Quellen. Dem Hamburger Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) und
       seinen Kollegen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein wirft der Verband
       vor, sie seien genau und aktuell über die Messungen ihrer Experten
       informiert worden. Doch selbst als der tote Stör gefunden wurde, hätten sie
       nichts unternommen.
       
       Im Gegenteil: Umweltsenator Kerstan habe dem Hafenamt Hamburg Port
       Authority (HPA) Baggerungen gestattet – bei Sauerstoffkonzentrationen unter
       dem für Fische lebensbedrohlichen Wert von drei Milligramm pro Liter. „Der
       Tatbestand ist zwischen ‚unterlassene Hilfeleistung‘ und ‚grob fahrlässiger
       Ökozid‘ einzuordnen“, sagt Klaus Baumgardt von Rettet die Elbe.
       
       ## Fast zwei Monate Sauerstoffmangel
       
       Die zeitliche Ausdehnung des Sauerstofflochs lässt sich an den Daten des
       Wassergütemessnetzes Elbe ablesen. Demnach sank der Sauerstoffwert Ende
       Juli unter den kritischen Wert von drei Milligramm. Zu diesem Zeitpunkt
       wurde der tote Stör gefunden. Bis Mitte September war der Sauerstoffgehalt
       des Elbwassers bei Blankenese, wo der Fluss vertieft ist, nur an wenigen
       Tagen höher. Bei Bunthaus, vom Hafen flussaufwärts gelegen, wo die Elbe
       noch ihre natürliche Tiefe hat, zeigt sich das gegenteilige Bild: Hier
       blieb der Sauerstoffgehalt fast durchgehend über der Grenze.
       
       Die räumliche Ausdehnung des Sauerstofflochs lässt sich an den [2][Daten
       ablesen, die ein Hubschrauber gesammelt hat]. Anfang August ist er die Elbe
       von Geesthacht bis zur Mündung bei Scharhörn abgeflogen und hat an 36
       Stellen Proben genommen. Von den Elbbrücken, wo der Hafen beginnt, bis zur
       Lühe-Mündung enthielten die Wasserproben nur zwei Milligramm Sauerstoff.
       Solche Flüge bestätigen regelmäßig, dass es ein Sauerstofftal im Bereich
       des Hafens gibt.
       
       Dass es entsteht, liegt an einem Zusammenspiel verschiedener Ursachen: Im
       Hafen wird die Elbe für Seeschiffe ausgebaggert, sie wird also schlagartig
       tief. In tieferen Wasserschichten bekommen Algen nicht mehr genug Licht, um
       Photosynthese zu betreiben und damit Sauerstoff zu erzeugen. Stattdessen
       sterben die Algen und werden unter Verbrauch von Sauerstoff abgebaut.
       
       Dazu kommt, dass das Wasser trüber geworden ist: Die wiederholten
       Elbvertiefungen haben den Tidenhub vergrößert. Mit jedem Wechsel von Ebbe
       und Flut wird Sediment aufgewirbelt, mit der Folge, dass den Algen weniger
       Licht zur Verfügung steht. Besonders problematisch ist das alles im Sommer,
       weil sich in wärmerem Wasser ohnehin schon weniger Sauerstoff lösen kann
       und die Abbauprozesse schneller laufen. Mit weniger Sauerstoff, so
       Baumgardts Erklärung, verlangsame sich auch der Abbau der Schwebeteilchen:
       Sie bleiben länger erhalten und verteilen sich über weitere Strecken.
       
       Weil diese Zusammenhänge auch den Behörden bekannt sind, verzichtet die
       Port Authority darauf, im Sommerhalbjahr Baggergut [3][stromab in der Elbe
       zur verklappen], mit möglichen Ausnahmen im Oktober. Zudem soll die HPA bei
       Sauerstoffwerten von weniger als vier Milligramm auf das Planieren der
       Elbsohle und das Aufschwemmen von Schlick zwecks Verteilung verzichten.
       
       Ausnahmen, wie sie Rettet die Elbe jetzt so scharf kritisiert hat, seien
       möglich, wenn das Sauerstoffloch länger als vier Wochen bestehe und solche
       lokalen Arbeiten unvermeidbar seien, teilt die Umweltbehörde mit. Das werde
       im Einzelfall zwischen der Port Authority und der Umweltbehörde besprochen.
       „Dies war in diesem Jahr der Fall“, erläutert die Behörde.
       
       ## Verendeter Stör war gezielt ausgesetzt worden
       
       Bei dem toten Stör hält es auch die Behörde für plausibel, dass er an
       Sauerstoffmangel eingegangen ist. Das verendete Tier trug einen Chip; es
       ist im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz gezielt zur Wiederansiedlung
       dieser Art ausgesetzt worden. Es war gut genährt und hatte keine äußeren
       Verletzungen.
       
       Das 1,65 Meter lange Tier sei wohl auf dem Weg zu seinen Laichgründen in
       der Oberelbe gewesen, als es in die sauerstoffarme Zone geriet, vermutet
       die Behörde. Störe können über 100 Jahre alt und über fünf Meter groß
       werden. „Scheitert so dies großartige Artenschutzprojekt am Sauerstoffloch
       vor Hamburg?“, fragt Baumgardt.
       
       Ein auffälliges massenhaftes Fischsterben hat es in diesem Sommer
       allerdings nicht gegeben. Die Umweltbehörde hält es aber für
       „wahrscheinlich, dass es im Verborgenen durch die Sauerstoffsituation
       dennoch zu Schäden an Fischen und Fischbrut gekommen ist“. Um Klarheit zu
       bekommen, fordert Rettet die Elbe ein regelmäßiges Fischmonitoring. Mit der
       Analyse von Gen-Fragmenten in Wasserproben stehe dafür heute ein probates
       Mittel zur Verfügung.
       
       Der Weg, den Sauerstoffgehalt zu erhöhen, besteht darin, mehr
       lichtdurchflutete Flachwasserbereiche zu schaffen. Darüber sind sich die
       Umweltschützer mit den Wasserbauern einig – nicht zuletzt weil
       Flachwasserbereiche auch die eskalierte Tide dämpfen. Rettet die Elbe hat
       dafür einige Ideen und auch die HPA und die Umweltbehörde haben sich auf
       Flächen geeinigt, die sich für Flachwasserzonen besonders eignen würden.
       
       Bisher hat die Port Authority allerdings nur ein großes
       [4][Rückdeichungsprojekt auf Kreetsand fertiggestellt]. Weitere Projekte
       sind der Umweltbehörde zufolge nicht finanziert. Und gegen einige
       Vorschläge gibt es politischen Widerstand – sei es aus Sorge um den
       Hochwasserschutz, sei es aus Flächenkonkurrenz.
       
       8 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Die-Zukunft-des-Hamburger-Hafens/!5891833
   DIR [2] https://www.fgg-elbe.de/fgg-elbe.html
   DIR [3] /Einigung-ueber-Elbschlick/!5926832
   DIR [4] /Neuer-Flutraum-fuer-die-Elbe/!5938483
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gernot Knödler
       
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