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       # taz.de -- Niederländer Rutte wird Nato-Chef: „Teflon-Mark“ übernimmt
       
       > Nach zehn Jahren an der Spitze der Nato gibt Jens Stoltenberg den Posten
       > an den Niederländer Mark Rutte ab. An der Agenda soll sich wenig ändern.
       
   IMG Bild: Hat noch gut lachen: Der neue Nato-Generalsekretär Mark Rutte am Dienstag in Brüssel
       
       Berlin taz | Zehn Jahre hatte er das Amt des Nato-Generalsekretärs inne,
       musste die Staaten des Militärbündnisses in Sachen Solidarität für die
       Ukraine im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg einen und das Bündnis
       auf höhere Verteidigungsausgaben einschwören. Nun tritt Jens Stoltenberg ab
       – Mark Rutte folgt.
       
       In einer feierlichen Zeremonie übertrug der Norweger den Staffelstab
       [1][für den Nato-Chefposten] an diesem Dienstag in Brüssel an den
       Niederländer. Betont harmonisch verlief die Übergabe. Rutte – wie gewohnt –
       mit einem markanten Lachen. Stoltenberg – ebenso wenig überraschend –
       betont nüchtern und distanziert.
       
       Die beiden überschütteten sich mit Lobeshymnen: „Mark hat den perfekten
       Hintergrund, um ein großartiger Generalsekretär zu werden“, bewertete
       Stoltenberg seinen Nachfolger. Der kann es kaum erwarten, „an die Arbeit zu
       gehen“ und dankte seinem Vorgänger für dessen ruhige Hand und seinen
       „großartigen Job“. Der Übergang vom versierten Langzeit-Chef des
       Militärbündnisses zu seinem Nachfolger soll reibungslos laufen.
       
       Die Prioritätenliste auf der Nato-Agenda hat sich nicht verändert. Rutte
       übernimmt keinen Scherbenhaufen von Stoltenberg, aber muss viel stärker
       kompromissbereit sein und mehr denn je auf einen Konsens innerhalb des
       Bündnisses einwirken. Die Erwartungen an ihn sind hoch. Schließlich
       katapultierte der Norweger das Militärbündnis aus dem Status des „Hirntods“
       – wie der französische Präsident Emmanuel Macron die Nato vor wenigen
       Jahren bezeichnete. Mit der russischen Invasion in der Ukraine im Februar
       2022 blieb dem Bündnis auch aus Glaubwürdigkeitsgründen keine andere Wahl.
       
       Rutte wird bescheinigt, mit dem nötigen Druck und Ausgeglichenheit
       unterschiedliche Haltungen innerhalb der Nato einzunorden. [2][Immerhin war
       er 14 Jahre niederländischer Ministerpräsident] und führte vier
       verschiedene Koalitionsregierungen an. Bei den zänkischen Nato-Partnern
       Ungarn und Türkei dürfte er trotzdem auf hartnäckigen Widerstand stoßen –
       insbesondere in Sachen Ukraine-Hilfen.
       
       ## Rutte ist geprägt von der MH-17-Katastrophe
       
       Rutte wird also Stoltenbergs Linie folgen. Er will die Kooperation mit
       Staaten des Indo-Pazifiks stärken, auch beim Thema Kampf gegen den
       Terrorismus sieht er die Nato als wichtigen Akteur. Aber international wird
       die Gemengelage schwieriger. Unterstützung für die Ukraine dauerhaft zu
       sichern, hängt vor allem von einem Faktor ab: Wer zieht nach den
       US-Präsidentschaftswahlen vom November im kommenden Jahr ins Weiße Haus
       ein?
       
       [3][In der vergangenen Woche warb der ukrainische Präsident Wolodymyr
       Selenskyj] in den USA bei Demokraten und Republikanern um konkrete Zusagen.
       Einerseits um Geld für Waffen, aber auch um die Genehmigung,
       Langstreckenraketen auf russischem Territorium einsetzen zu dürfen. Das
       erste Anliegen wurde erfüllt und die USA sagten weitere Hilfe von mehreren
       Milliarden US-Dollar zu. Beim zweiten Thema kann Selenskyj nicht auf
       Zusagen hoffen. Zu groß ist nach wie vor die Sorge vor einer weiteren
       Eskalationsstufe im Krieg mit Moskau.
       
       Rutte ist geprägt von der MH-17-Katastrophe im Sommer 2014. Eine russische
       Rakete brachte über der Ostukraine ein Passagierflugzeug zum Absturz. 298
       Menschen starben, darunter rund 200 Niederländer:innen. Den Einsatz
       westlicher Waffensysteme auf russischem Territorium sieht er wohl auch
       deshalb gelassener. Die Niederlande statteten die Ukraine als eine der
       wenigen Staaten mit F-16-Kampffliegern aus.
       
       Der Krieg in der Ukraine gegen den Aggressor Russland stockt – ein Ende der
       Angriffe von beiden Seiten ist nicht in Sicht. Erst in der Nacht zu
       Dienstag kamen mindestens sechs Menschen in der südukrainischen Großstadt
       Cherson durch russischen Beschuss ums Leben. Hinzu kommt, dass Moskau
       offenbar seinen Militärhaushalt massiv aufstocken will. Von rund 135
       Milliarden Euro ist die Rede, einem Drittel des russischen
       Staatshaushaltes.
       
       Verhandlungsoptionen werden zwar gefordert und ventiliert. Doch
       ernstzunehmende Anstrengungen werden derzeit nicht angegangen. Stattdessen
       Aufrüstung und die nachdrückliche Forderung an die Bündnisstaaten, ihre
       Waffenhilfen hochzufahren – und vor allem ihre Zusagen, die [4][beim
       Nato-Jubiläumsgipfel] in Washington im Juli gemacht wurden, in die Tat
       umzusetzen.
       
       ## Der „Trump-Flüsterer“ kommt
       
       Das Nato-Ziel, 2 Prozent des heimischen Bruttoinlandsproduktes für
       Verteidigung auszugeben, soll die Stärke des Bündnisses insgesamt sichern.
       Mit einer möglichen US-Administration unter Donald Trump dürften die
       europäischen Staaten in der Allianz stärker gefordert werden – aber auch
       unter Kamala Harris als US-Präsidentin dürfte zwar das Bekenntnis zur Nato
       bleiben, die Finanzfrage aber genauso auf dem Tisch liegen. Rutte gilt als
       „Trump-Flüsterer“, als einer, der es auch mit dem unberechenbaren
       Republikaner aufnehmen kann. Dieser nannte Rutte gar „einen Freund“ bei
       einem Treffen 2019. Ob er sich diese Freundschaft zunutze machen muss, wird
       sich im November zeigen.
       
       Stoltenberg wollte eigentlich schon früher abtreten. Für den Posten der
       norwegischen Zentralbank und andere hochrangige Posten war er im Spiel. Die
       Diskussion um seine Nachfolge wurde begleitet vom Anspruch der
       osteuropäischen Staaten, bei der Neubesetzung des Nato-Chefpostens Vorrang
       zu haben. Sie verwiesen auf den Aggressor Putin, der offen Drohgebärden
       gegen die Ostflanke der Allianz ausspricht. Den Zuschlag erhielt dann aber
       doch der robuste Rutte, von niederländischen Expert:innen auch
       Teflon-Mark genannt.
       
       Arbeitslos wird Stoltenberg aber nicht bleiben. Schon im kommenden Jahr
       soll er neuer Chef der Münchner Sicherheitskonferenz werden – und damit
       Christoph Heusgen auf diesem Posten ablösen. In diesem Format wird er
       weiterhin Sparrings-Partner für Rutte bleiben.
       
       1 Oct 2024
       
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   DIR Tanja Tricarico
       
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