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       # taz.de -- kritisch gesehen: Mit der ganzen Gruppe in Therapie
       
       > Gernot Wieland verwandelt das Bremer Künstler*innenhaus in eine
       > Höhle
       
       Die Galerie ähnelt einer Höhle: Vor die Fenster ist eine schiefe, unebene
       Wand gebaut. Es ist dunkel, die ästhetische Erfahrung wird zu einer Art
       externalisiertem Traum, der das eigene Innere erreicht. Die psychische
       Instanz des Ich wird schwächer, je länger man bleibt, und die ins
       Unbewusste verdrängten Bilder werden sichtbar. 
       
       Andere Bilder gibt Gernot Wieland in seinem Film vor, eine Ästhetik
       erinnerter Kindheit, mit Super-8, Knetgummi und Aquarell. Die Kontexte, in
       die er diese Bilder setzt, haben zu tun mit adoleszenten Konzepten einer
       eigenen Identität, mit sexuellem Begehren, all das gleicht einem
       Fiebertraum. Die Ausstellung ist karg, in der vorgebauten Wand sind kleine
       Öffnungen, durch die etwas Tageslicht in das Dunkel der Galerie strömt.
       Dahinter erblickt man gemalte und gebaute Szenen, die von den
       Künstler*innen Carla Åhlander, Jeroen Jacobs und Maxwell Stephans
       geschaffen wurden. 
       
       Es sind kleine Panoramen, ein surreales Bild ist darunter, darauf
       Baumstämme, aus denen weißlackierte Stangen wachsen, die sich weiter oben
       zu einer Struktur verbinden. Man muss sich anstrengen, um diese Bilder mit
       einem Auge zu erfassen, die Aufmerksamkeit wandert mit der Pupille von der
       Bildmitte an ihre Ränder. Der Film erzählt von einer vergangenen Kindheit,
       von einem ersten, selbstgewählten Bezugskreis, der die ganze Welt bedeutet
       hatte – für ihn waren es drei junge Menschen, Maria, Daniel und Jackpot.
       Die Stimme im Film erinnert an die Suche nach einem Raum, in dem sein
       adoleszente Ich existieren konnte. Solche Räume seien die vier füreinander
       gewesen. Das erste gemeinsame Kaffeetrinken gerät zu einem sexuellen Traum.
       
       ## Urzelle der Gesellschaft
       
       Der Erzähler beobachtet, wie Marias Lippen die Kaffeetasse berührten, er
       berichtet, es sei einem Kuss gleichgekommen und er habe später zu diesem
       Bild masturbiert. Jede Erinnerung mischt sich mit Phantasie. Was einmal
       alles bedeutete, bedeutet gegenwärtig gar nichts mehr. Wir erfahren, dass
       Maria von ihrem Ehemann ermordet wurde, erstickt mit einem Kissen,
       aufgefunden mit zerschlagenem Gesicht. Wir erfahren, dass der Erzähler
       Daniel später einmal auf der Straße begegnete, bettelnd als Heroinjunkie.
       Ihn habe er nicht erkannt, gab ihm etwas Geld, empfand Ekel, wo früher noch
       sexuelles Begehren war.
       
       Am Ende stellt sich die Gruppe wie eine Urzelle der Gesellschaft dar. Im
       Film erscheinen aus Knetgummi die vier Gestalten in einer therapeutischen
       Sitzung, dann kommt die Schulklasse hinzu, die ganze Kleinstadt,
       schließlich das Land, alle geplagt von intergenerationellen Traumata, alle
       in Gruppentherapie: „Du machst die Tür auf und da sind 9 Millionen heulende
       Menschen.“ Radek Krolczyk
       
       8 Oct 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Radek Krolczyk
       
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