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       # taz.de -- Parteitag der britischen Tories: Schwarz, selbstsicher, konservativ
       
       > Die britischen Tories stellen sich neu auf. Mit Kemi Badenoch oder James
       > Cleverly würde erstmals eine afrikanischstämmige Person die Partei
       > führen.
       
   IMG Bild: Die nigerianischstämmige Kemi Badenoch gehört zu den Favoriten
       
       Birmingham taz | Die Schlangen sind lang, die Stimmung ist ruhig. Es ist
       der erste Parteitag der britischen Konservativen in Opposition seit 15
       Jahren, nach der schlimmsten Wahlniederlage ihrer Geschichte im Juli.
       
       „Review and Rebuild“ lautet das Parteitagsmotto – Überprüfen und
       Wiederaufbauen. Aber eigentlich geht es im Konferenzzentrum im
       mittelenglischen Birmingham nur um eines: Wer übernimmt die Parteiführung
       von [1][Expremierminister Rishi Sunak]?
       
       Das Rennen läuft seit Monaten, Nach mehreren Wahlgängen in der stark
       [2][geschrumpften Tory-Fraktion] im Unterhaus sind aktuell noch vier
       Kandidaten übrig. Sie treten in Birmingham täglich auf, stellen sich
       Fragen, überschütten die Parteitagsdelegierten mit Flugblättern, T-Shirts,
       Mützen, Bändern, Stickern, Taschen und Broschüren. Nicht selten laufen
       Mitglieder mit mehreren gut gefüllten Taschen herum, jede von einem der
       vier.
       
       Wer es zwischen den Ständen der Konservativen Christen, der Konservativen
       Frauen, der Konservativen Freunde Indiens, Pakistans und Israels bis in den
       Hauptsaal schafft, kann dort mehr über „Kemi“, „Tom“, „Jenrick“ und
       „Cleverly,“ erfahren. Moderator Christopher Hope, ein Journalist, stellt
       Kemi Badenoch, Tom Tugendhat, Robet Jenrick und James Cleverly zwei Tage
       lang nacheinander dieselben Fragen.
       
       ## Der Einzelkämpfer: Tom Tugendhat
       
       Tom Tugendhat, der ehemalige Sicherheitsminister und davor Soldat der
       Spezialkräfte und Nachrichtendienstler, spricht redegewandt im gestochenen
       Englisch von seiner Militärzeit. Er habe mit allen möglichen Leuten
       zusammen gedient, etwa ein Mann aus einer zerbrochenen Familien, dessen
       Mutter die Queen war, witzelt er – gemeint ist [3][Prinz Harry].
       
       Tugendhat gilt als Außenseiter, er entspricht vielleicht zu sehr dem
       Klischee, das andere über Tories haben: etablierte Familie, teure
       Privatschule, Soldat in Irak und Afghanistan, Vater war Richter, der Oinkel
       saß schon im Parlament. Er spricht von Charakter und Führung. Er wolle für
       die Tories die nächsten Wahlen gewinnen und bisher habe er noch nie ein
       Ziel verfehlt, protzt er im blauen Anzug mit blauer Krawatte, muss später
       aber rechtfertigen, wieso er 2022 die unglückliche Liz Truss unterstützte.
       Gewinnen – wie denn? „Wir müssen den Glauben wiederaufbauen“ sagt der
       bekennende Katholik. Ihm geht es um Freiheit, Wirtschaftswachstum, niedrige
       Steuern.
       
       ## Die Kantige: Kemi Badenoch
       
       [4][Kemi Badenoch gehört demgegenüber zu den Favoriten]. Die
       nigerianischstämmige ehemalige Handels- und Gleichberechtigungsministerin
       betritt den Saal im weinroten Hosenanzug, im Unterschied zu Tugendhat
       lächelt sie. Wieso bewirbt sie sich? „Ich bin die sichere Option,“
       antwortet sie. „Ich tue, was ich verspreche.“ Sie sage ehrlich, was ist,
       und komme schnell zum Punkt.
       
       Der Journalist Hope fragt sie, wieso sie dann am Sonntag im Radio etwas
       gesagt habe, das sich so anhörte, als sie sei gegen Lohnfortzahlung für
       Mütter in der Elternzeit. Man habe sie missverstanden, sagt Badenoch. Dann
       spricht sie von der Neudefiinition konservativer Grundwerte:
       Eigenverantwortung, Familiensinn. „Wir hatten oft Politik ohne Prinzipien,
       aber es sind unsere Werte, die Menschen anziehen.“
       
       Hope will nun mehr über eine andere Behauptung von Badenoch wissen, nämlich
       dass sie aus der Arbeiterklasse stamme, dabei gehörte ihre Familie in
       Nigeria zur gutsituierten Mittelschicht. Ja, bestätigt Badenoch, aber als
       sie als junges Mädchen nach London geschickt wurde und alleine lebte,
       musste sie sich durchkämpfen, sie jobbte bei McDonalds nach dem
       Schulunterricht. „Ich musste überall zu Fuß hingehen, hatte manchmal zu
       wenig zu essen, musste arbeiten und alles selber tun, um zu überleben. Wenn
       das nicht Arbeiterklasse bedeutet, dann weiß ich nicht was es bedeutet.“
       
       Und wie findet sie es, dass sie die erste schwarze konservative
       Parteiführerin afrikanischen Hintergrunds werden könnte? Da erntet Badenoch
       Applaus mit einem durch Bob Marley berühmt gewordenen Haile-Selassie-Zitat:
       „The colour of your skin has no more significance than the colour of your
       hair or eyes“ – Hautfarbe ist nicht wichtiger als Haar- oder Augenfarbe.
       Zur Migration gefragt, sagt sie, man müsse anders als früher heute die
       Einwanderung eindämmen. „Wir müssen an die nächste Generation denken und
       nicht nur daran, wer heute unsere Hintern abwischt.“
       
       ## Der Rechte: Robert Jenrick
       
       Am nächsten Tag stellen sich die beiden anderen Kandidaten. Robert Jenrick
       war als Einwanderungsminister unter Rishi Sunak zurückgetreten, nachdem er
       zur Durchsetzung des gescheiterten Ruanda-Plans zur Auslagerung von
       Asylverfahren vergeblich den Austritt Großbritanniens aus der Zuständigkeit
       des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs EGMR gefordert hatte. Heute
       vertritt er eindeutig den rechten Parteiflügel und haut in dieselbe Kerbe.
       In einem Kampagnenvideo behauptet er, die EGMR-Mitgliedschaft zwinge
       britische Soldaten im Antiterrorkampf dazu, Terroristen zu töten, denn wenn
       man sie bloß festhalte, würde der EGMR sie wieder auf freien Fuß setzen.
       
       Diesen Unsinn nehmen ihm jetzt viele in der Partei übel, gerade die mit
       Militärvergangenheit. Befragt, bleibt er dabei. „Wir können deswegen nicht
       das gleiche wie die USA machen“, sagt Jenrick – gemeint ist Internierung im
       Guantanamo-Stil – im blauen Anzug mit grüner Krawatte.
       
       Dann erfahren die Versammelten im vollen Saal, dass Jenrick einer seiner
       Töchter den zweiten Vornamen „Thatcher“ gab, da sie am Tag geboren wurde,
       als die verehrte Expremierministerin starb. Jenrick wirkt wie die Parodie
       eines Tory-Rechten. Wer ihm zuhört, hört Echos von Nigel Farage, aber
       blasser. Er greift vor allem andere Parteien an.
       
       ## Der Erfahrene: James Cleverly
       
       Dem letzten Kandidaten James Cleverly wurden zu Beginn geringe Chancen
       eingeräumt, aber inzwischen ist er das Schwergewicht im Rennen. Er war
       schon Tory-Geschäftsführer und kennt den Parteiapparat, er war Außen- und
       Innenminister, zwei der wichtigsten Regierungsämter. Mit beiläufigen
       Nebensätzen wie „Als ich Selenskyj besuchte“ oder „Ich warnte den
       chinesischen Außenminister in Beijing direkt“ kann er den Saal beeindrucken
       und spricht obendrauf von seiner Militärvergangenheit als Zeugnis
       gemeinsamer verantwortungsbewusster Arbeit.
       
       Der Saal erfährt von Cleverly Mutter aus Sierra Leone und davon, dass sein
       englischer Vater auch von Einwanderern abstammt, nämlich den Normannen vor
       fast tausend Jahren. Auch er trägt einen blauen Anzug mit grüner Krawatte
       und sagt: „Mit mir kriegt ihr, was ihr seht, ich bin ein offenes Buch.“ Er
       grenzt sich klar vom rehten Flügel ab: Die Tories müssten eine offene,
       tolerante und relevante Partei sein, denn sie verliere Wähler nicht nur
       nach rechts, sondern auch in die Mitte. Cleverly wirkt selbstsicher und
       charmant.
       
       ## Die Basis ist hin- und hergerissen
       
       Es gibt zwischen den vier viele Gemeinsamkeiten: Sie alle wollen nicht mit
       Reform UK und Nigel Farage arbeiten, sondern die Konservativen
       wiederbeleben und „unsere Wähler“ zurückgewinnen. Die Unterstützung Israels
       und der Ukraine ist Konsens, ebenso die Wiederaufnahme der Erdgasförderung
       in der Nordsee, und alle sind sich einig, dass die Partei in der Regierung
       ihre Versprechen nicht gehalten habe und zu Recht abgewählt worden sei.
       
       Am letzten Tag, als alle vier nochmal vor dem Plenum auftreten. ist der
       Jubel für zwei Kandidaten besonders groß: James Cleverly und Kemi Badenoch,
       die beiden Schwarzen. Cleverly spricht souverän wie ein Chef, preist die
       Vergangenheit und die Zukunft der Tories und fordert einen freundlichen
       Konservativsmus, optimistisch, ja „normal“.
       
       Badenoch kontrastiert mit einem kantigen Auftreten im Stil Margaret
       Thatchers, sie erinnert die Delegierten an die Vorzüge der britischen
       Gesellschaft gegenüber einem Aufwachsen in ständiger Angst wie in Nigeria,
       und sie entwirft ein komplettes Reformprogramm für die 2030er Jahre, in dem
       der Staat einer vereinten Gesellschaft dient und der Kapitalismus nicht nur
       für Großunternehmen da ist.
       
       So manche befragte Delegierten halten dennoch zu Jenrick und seinen klar
       rechten Kurs. „Wir müssen eine starke Opposition bilden und Labour
       bloßstellen“ sagt der pensionierte Polizeibeamte John Watts aus Newcastle.
       Jenricks sei das beste Bollwerk gegen Reform UK, findetn auch die
       Geschwister India und Amelia Tibbs, 26 und 21 Jahre alt.
       
       ## Beifall für Cleverly und Badenoch
       
       Dem Londoner Augustus Roberts, 20, ein junger Student mit schulterlangen
       Dreadlocks, gefällt James Cleverly am besten, da er die moderate Stimme
       darstelle. „Er kann Argumente gegen Keir Starner gewinnen“, glaubt er. Man
       müsse zeigen, dass die Partei kein elitärer Klub sei, sondern Leuten helfe,
       sich von unten hochzuarbeiten.
       
       Der 55jährige Armeeveteran Mark Dunkley ist für Kemi Badenoch. „Sie sieht
       das größere Bild. Sie ist nicht machtversessen, sondern will die Partei neu
       aufbauen“, sagt er. Ihm stimmt der 80jährige Londoner Rentner Robin zu, der
       seinen Nachnamen privat halten will: „Kemi ist sehr intelligent, denkt
       schnell und akzeptiert keinen Bullshit“.
       
       Glaubt man dem Beifall am Ende des Parteitages, müssten Cleverly und
       Badenoch das Rennen machen, wenn die Parlamentsfraktion am 9. und 10.
       Oktober unter den vier Kandidaten die zwei Spitzenreiter bestimmt, die den
       Mitgliedern bis Anfang November in einer Urwahl zur Wahl gestellt werden –
       zwei Bewerber mit afrikanischem Migrationshintergrund also. Das wäre ein
       Handstreich gegen die Labour-Partei, die bis heute immer nur von weißen
       englischen Männern geführt worden ist. Ob die Tory-Abgeordneten sich das
       trauen?
       
       3 Oct 2024
       
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