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       # taz.de -- Steuervorschläge der SPD: Umverteilung ist das Gebot der Stunde
       
       > Weil die linken Parteien gegeneinander arbeiten anstatt miteinander,
       > fällt der Verteilungswahlkampf wohl auch diesmal wieder aus. Nötig wäre
       > er.
       
   IMG Bild: Wie wäre es mal mit „Klassenkampf“?
       
       Wie schön, dass in einer Welt im Wandel wenigstens alte Reflexe zuverlässig
       funktionieren. Die SPD stellt ein Strategiepapier vor, in dem sie nebulös
       ankündigt, Normalverdienende zu entlasten und dafür Topverdiener:innen
       „etwas“ stärker zu belasten – und Friedrich Merz reagiert „entsetzt“. Dabei
       hat der [1][CDU-Chef exakt die gleiche Idee vor einem Jahr] selbst in den
       Raum geworfen, aber mittlerweile ist er ja Kanzlerkandidat und fordert
       „mehr Respekt für Besserverdienende“. Abgesehen davon kann man Merz nur
       begütigend auf die Schulter klopfen: „Reg dich wieder ab, es kommt alles
       nicht so wild.“
       
       Die SPD hatte nämlich [2][schon im Bundestagswahlkampf 2021] und in den
       Jahren zuvor angekündigt, Spitzenverdiener:innen stärker zu belasten
       und droht ab und an damit, Vermögen von gestorbenen oder lebenden
       Millionär:innen ein ganz klein bisschen mehr zu besteuern. Nur
       umgesetzt hat sie bislang nie etwas davon. Und leider spricht einiges
       dafür, dass es diesmal ähnlich läuft: Also fällt der Verteilungswahlkampf
       diesmal wieder aus? Nötig wäre er.
       
       Denn da ist zum einen die Schwäche des im weitesten Sinne linken Lagers.
       Parteien, die Umverteilung von reich zu arm für geboten halten – das sind
       SPD, Grüne, Linke und BSW –, kämen laut Umfragen derzeit zusammen auf
       magere 39 Prozent. Dagegen sind jene, welche Topverdienende und
       Millionär:innen zu Leistungsträger:innen und für schutzbedürftig
       erklären, nämlich Union, FDP und AfD, mit 52 Prozent derzeit in der
       Mehrheit. Das liegt vor allem an anderen Themen, wie der
       ressentimentgeladenen Migrationsdebatte.
       
       Aber hinzu kommt: Die steuerpolitisch linken Parteien finden derzeit nicht
       zusammen. Die SPD will die Grünen auf Abstand halten, damit sie sich als
       dominante Kraft im linken Lager profilieren kann und ihre Wahlkampftaktik
       „Wir gegen die Merz-Union“ aufgeht. Linke und BSW sind Sinnbild einer
       gescheiterten Beziehung. Also fällt der Verteilungswahlkampf diesmal wieder
       aus? Nötig wäre er. Zum einen, um dem gesellschaftlichen Trend des
       Nach-unten-Tretens endlich wieder einen Kampf für Gerechtigkeit und
       Fairness entgegenzusetzen.
       
       Wie wäre es mit ein bisschen Klassenkampf, anstatt permanent
       Geringerverdiener:innen gegen Bürgergeldempfänger:innen und
       Rentner:innen gegen Geflüchtete auszuspielen? Zum anderen, weil es
       objektiv eine riesige Vermögensungerechtigkeit in Deutschland gibt,
       gleichzeitig aber einen wachsenden Bedarf an öffentlicher Daseinsvorsorge.
       Bund, Länder und Kommunen ächzen unter steigenden Ausgaben für Pflege,
       Gesundheit und Rente und müssten viel mehr in Bildung, Nahverkehr und den
       Erhalt der Infrastruktur stecken.
       
       Doch das Geld fehlt. Wirklich? Die 4.300 reichsten Haushalte besitzen
       [3][laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung mindestens 1,4 Billionen
       Euro an Vermögen]. Das entspricht dem Dreifachen dessen, was der
       Bundesfinanzminister jährlich zur Verfügung hat – von A wie Arbeitsmarkt
       bis Z wie Zivilschutz. Hinzu kommt: Der Reichtum der Superreichen ist
       zuletzt Jahr für Jahr gewachsen, gleichzeitig müssen sie weniger davon
       abgeben. [4][Wie das Netzwerk Steuergerechtigkeit erhoben hat,] konnten
       Multimillionär:innen ihre Steuer- und Abgabenbelastung seit 1996 mehr
       als halbieren und zahlen durchschnittlich 24 Prozent in die
       Gemeinwohlkasse.
       
       ## Faire Besteuerung von Vermögen
       
       Was unter anderem daran liegt, dass die Vermögensteuer ausgesetzt ist, es
       zahlreiche Schlupflöcher für Unternehmen gibt und die Erbschaftsteuer
       Ausnahmen für Betriebsvermögen im Millionenbereich erlaubt. [5][Laut Oxfam
       hat die ausgesetzte Vermögensteuer Deutschland] bislang über 380 Milliarden
       Euro gekostet.
       
       Aktuell muss [6][Deutschlands größter Immobilienkonzern Vonovia beim Kauf
       von 150.000 Wohnungen dank eines legalen Steuertricks] keinen einzigen Cent
       Grunderwerbsteuer bezahlen. Schön für die Aktionäre, blöd für das Land
       Berlin, dem bis zu 1 Milliarde Euro entgehen und das gerade alle Zuschüsse
       zu Klassenfahrten streicht. Es kämen also hübsche Summen zusammen, mit
       denen man nicht nur Klassenfahrten, Kitas und Unis finanzieren, sondern
       auch die Sozialkassen entlasten könnte.
       
       Umverteilung ist das Gebot der Stunde, um dem Staat zu ermöglichen, seinen
       konsumtiven Aufgaben – für investive wären Kredite und damit eine Lockerung
       der Schuldenbremse sinnvoll – nachzukommen. Folglich müsste die SPD im
       Kampf für mehr Gerechtigkeit nicht nur eine Einkommensteuerreform fordern,
       sondern mutig für die Schließung von Steuerschlupflöchern sowie eine faire
       Besteuerung von Vermögen und Erbschaften streiten. Traut sie sich das? Oder
       heißt es am Ende wieder: Gut gebrüllt, SPD?
       
       19 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/was-friedrich-merz-vom-hoeheren-spitzensteuersatz-haelt-19146248.html
   DIR [2] https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/spd-kanzlerkandidat-scholz-reiche-wie-ich-sollten-mehr-steuern-zahlen-76892138.bild.html
   DIR [3] https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-deutsche-milliardenvermogen-superreiche-54381.htm
   DIR [4] https://www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/jahrbuch2024/
   DIR [5] https://www.oxfam.de/presse/pressemitteilungen/2024-07-02-ausgesetzte-vermoegensteuer-kostet-deutschland-bislang-380
   DIR [6] /Vonovias-trickst-mit-Sharedeal/!6038570
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Lehmann
       
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