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       # taz.de -- Soul-Kitchen-Halle: Abwicklung eines Kulturorts
       
       > Fatih Akins Film „Soul Kitchen“ machte eine heruntergekommene Lagerhalle
       > berühmt. Jetzt soll sie abgerissen werden.
       
   IMG Bild: Im Film war die Soulkitchen-Halle sehr belebt, in der Realität eine Zeitlang auch
       
       Hamburg taz | Eine alte Lagerhalle, die auf einer Brache im Industriegebiet
       steht: Das ist die Soul-Kitchen-Halle aus [1][der Komödie von Fatih Akin],
       die 2009 bei den Filmfestspielen in Venedig den Spezialpreis der Jury
       abräumte. Ein Unort auf der Hamburger Elbinsel Wilhelmsburg, dessen
       Potenzial erst durch den Film sichtbar wurde. Nach langem Hin und Her steht
       jetzt fest, dass sie abgerissen werden soll. Die Brache drumherum hat die
       Stadt abgezäunt und damit der kulturellen Aneignung durch den Stadtteil ein
       Ende gemacht.
       
       Dass die Halle von einem Drehort zum Ort für Kultur wurde, sei der
       Internationalen Bauausstellung in Wilhelmsburg zu verdanken, sagt Mathias
       Lintl, der die Halle bis 2013 betrieben hat. Ein Leitmotiv der
       Bauausstellung waren Metrozonen, Übergangsbereiche innerhalb der Stadt, in
       denen neue stadtplanerische Möglichkeiten ausgelotet werden sollten.
       
       Lintl bekam 2010 den Auftrag, „Soul Kitchen“ im Rahmen des Filmprogramms
       der Bauausstellung am Drehort zu zeigen. Der Kultur- und
       Umweltwissenschaftler, stets auf der Suche nach Veranstaltungsorten,
       stellte in den nächsten drei Jahren ein Programm auf die Beine: In der
       Halle wurde getanzt, Live-Musik gespielt, das Craft-Bier schottischer Punks
       verkostet, psychedelisch Pingpong gespielt, Varieté zelebriert und 25 Jahre
       Tschernobyl gedacht.
       
       Das Programm war denkbar breit. Lintl hat es in einer langen Liste
       dokumentiert, inklusive Teilnehmerzahl. „Viele Ideen kamen automatisch aus
       der Situation aus dem Stadtteil“, erinnert er sich. Von der Halle schwärmt
       er noch heute. Ihre Maße von 15 mal 30 Metern böten eine ideale Akustik.
       „Bei 20 Hertz hast du eine stehende Welle“, sagt Lintl. „Du glaubst gar
       nicht, wie schnell ein Bierglas über den Tresen wandern kann.“
       
       ## Unter den Bässen gelitten
       
       Ein bisschen schuldbewusst wirkt er dabei auch. Denn Gutachtern zufolge
       habe die angegriffene Bausubstanz nicht nur unter dem Schwerlastverkehr im
       Industriegebiet gelitten, sondern auch unter den Bässen der Raves. „Nur
       Jazz ist auch doof“, sagt Lintl.
       
       Die Halle ist ein Eisenskelettbau, der mit einer einfachen Lage Ziegel
       ausgefacht wurde. In der Mitte wird er durch zwei Dachgauben geteilt, die
       Platz für einen Laufkran schufen. Die Filmemacher haben an der Längsseite
       noch eine Betonrampe mit Stahlkante angebaut – täuschend echt – und einen
       Teil Ziegelwand haben sie herausgenommen, um Gitterfenster einzubauen,
       schließlich sollten die Gäste der Soul Kitchen ja rausgucken können.
       
       Dass sie baufällig ist, legt schon ein Blick aufs Dach nahe, wo sich die
       Pappe und einige Bretter gelöst haben, sodass es reinregnet. Das Dach sei
       zum Teil eingestürzt, das Eisenfachwerk zum Teil durchgerostet und im
       Schnitt nur noch zu 25 bis 30 Prozent tragfähig, teilte der Hamburger Senat
       kürzlich der Bürgerschaft mit. Als letztes Gebäude auf dem eineinhalb
       Hektar großen Grundstück stehe es einer neuen Nutzung im Weg.
       
       In seiner Drucksache räumt der Senat ein, die [2][Halle habe durch Akins
       Film „in weiten Teilen der öffentlichen Wahrnehmung einen symbolischen
       Stellenwert erhalten]“. Daher werde der weitere Umgang mit dieser Immobilie
       „sensibel gehandhabt“. Unter den erwogenen Optionen kommt für den Senat
       allerdings weder eine 1,6 Millionen Euro teure Versetzung der Halle
       infrage, noch – mangels Projekts – die Rettung eines Teils des Fachwerks
       und dessen Einbau in ein anderes Gebäude.
       
       Dazu kommt, dass das Grundstück wohl ein paar Blindgänger abbekommen hat
       und der Boden mit Schwermetallen und anderen Rückständen vergiftet ist.
       „Die Fläche kann daher in ihrem derzeitigen Zustand auch nicht für eine
       reine Zwischennutzung zur Verfügung gestellt werden“, teilt der Senat mit.
       Sie herzurichten sei zu teuer. Im Übrigen handele es sich um ein
       Industriegebiet und davon solle auch nicht abgerückt werden.
       
       ## Off-Kultur-Szene am Kanal
       
       [3][Im Stadtteil stößt das auf Unverständnis, denn das
       Soul-Kitchen-Grundstück grenzt an ein Gebiet], in dem sich in den
       vergangenen Jahren eine Off-Kultur-Szene gebildet hat. Hier gibt es das
       Jahrzehnte alte Stadtteilkulturzentrum Honigfabrik, das jüngere
       Kreativzentrum Zinnwerke, Gastronomie und Ateliers – all das an einem Kanal
       mit Steampunk-Romantik.
       
       Dass die Soul-Kitchen-Halle abgerissen, die Nutzung der Brache verboten und
       Gewerbe vertrieben werden soll, sei wie ein [4][Schlag ins Gesicht,
       schreibt die Stadtteilinitiative Kulturkanal]. Als die Halle 2023 aus einem
       funktionierenden Kulturbetrieb heraus geschlossen worden sei, hätte sie
       angesichts des Engagements vor Ort noch gerettet werden können. Stattdessen
       habe sie der Senat bis zur Abrissreife verfallen lassen: „Hamburg! Was ist
       los mit dir?“
       
       In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, Mathias Llintl hätte
       auch das Gelände um die Soul-Kitchen-Halle herum bis 2022 betrieben. Das
       war jedoch die Initiative Kulturkanal.
       
       21 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Gernot Knödler
       
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   DIR Kulturort in Hamburg-Wilhelmsburg: Neues Leben für die „Soul Kitchen“
       
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   DIR Roman über den Rassismus der Mitte: Während Deutschland entgleiste
       
       In „Hotel Jasmin“ lässt die Autorin von „Soul Kitchen“, Jasmin Ramadan, die
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