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       # taz.de -- Weltbiodiversitätskonferenz: Die Vielfalt der Welt retten
       
       > Im kolumbianischen Cali verhandeln 196 Staaten konkrete Maßnahmen zum
       > Schutz der Natur – und wer dafür wie viel bezahlt.
       
   IMG Bild: Gefährdete Tierwelt: Ein Buckelwal strandet am 15. Oktober Oktober in Kapstadt und erfährt weltweite Aufmerksamkeit
       
       Naturschützer fast aller Länder der Welt vereinigen sich dieser Tage und
       reisen nach Kolumbien. Das Land im Norden Südamerikas, umspült sowohl vom
       Atlantik als auch vom Pazifik, ist eines der artenreichsten der Erde. Mehr
       als die Hälfte des Staatsgebiets bedecken Wälder, darunter Amazonaswald,
       der noch nie industriell genutzt wurde.
       
       Der biologische Reichtum Kolumbiens ist riesig, doch er ist bedroht.
       Illegaler Holzeinschlag zerstört die Wälder und die Lebensmodelle indigener
       Gemeinschaften, die seit Jahrtausenden im Einklang mit ihnen leben.
       Intensive Landwirtschaft wie im Zuckerrohranbau verschmutzt Böden, Luft und
       Wasser – und bedroht damit [1][die Vielfalt des Lebens]. Wie kann sie
       gerettet werden?
       
       Antworten auf diese Frage sucht die COP 16, die große Weltnaturkonferenz
       der Vereinten Nationen. Am Montag beginnen die zweiwöchigen Verhandlungen
       des 16. Treffens der Vertragsstaaten des UN-Abkommens über die biologische
       Vielfalt (CBD) in der Millionenstadt Cali. Es geht um viel: Wie finden
       Pflanzen und Tiere in Schutzgebieten gute Lebensbedingungen? Wie beenden
       wir die Überfischung der Meere, wie die [2][Überdüngung der Böden]? Wie
       halten wir Moore feucht und Flüsse sauber – und wie misst und kontrolliert
       man all das?
       
       „Das wichtigste ist, dass auf dieser COP eindeutige und gut messbare
       Indikatoren beschlossen werden“, sagt Axel Paulsch vom Institut für
       Biodiversität, einem Forschungsnetzwerk zur biologischen Vielfalt, „denn
       die Ziele, die uns sagen, wo wir hinmüssen, die haben wir ja schon.“
       
       An Zielen mangelt es dem Naturschutz tatsächlich nicht. Auf der COP 15 vor
       zwei Jahren in Montreal hatten die Vertragsstaaten plakativ das 30x30-Ziel
       beschlossen. Demnach sollen bis zum Jahr 2030 insgesamt 30 Prozent der Erde
       unter Schutz gestellt werden. Die Belastungen durch Pestizide sollen sich
       bis 2030 halbieren. Außerdem sollen Länder des Globalen Südens ab 2025
       jährlich mit 20 Milliarden Dollar darin unterstützt werden, diese Ziele zu
       erreichen; bis 2030 sollen sogar insgesamt 200 Milliarden US-Dollar aus
       öffentlichen und privaten, nationalen und internationalen Mitteln
       zusammenkommen. Das klang und klingt gut, weshalb die COP von Montreal
       unter chinesischer Präsidentschaft als großer Erfolg für den Naturschutz
       gewertet wurde. Noch heute schwärmen viele Beteiligte vom „Geist von
       Montreal“.
       
       Nur hatten sich die 196 Vertragsstaaten der CBD zwar darauf einigen können,
       wo sie hinwollen – aber nicht, wie. Und erst recht nicht hatten sie
       Mechanismen beschlossen, mit denen sie sich gegenseitig auf ihrem Weg
       kontrollieren und diejenigen Länder ermahnen und bestrafen könnten, die auf
       halber Strecke stehen bleiben oder gar nicht erst loslaufen würden. Auch wo
       genau das Geld herkommen sollte, um die Pläne im besonders artenreichen
       Süden zu finanzieren, legten sie nicht fest. Das wollten sie später
       erledigen – [3][in Cali].
       
       ## Deutschland ist ein Beispiel dafür, wo es hakt
       
       „Ökologische Prozesse dauern lange“, sagt der Geoökologe Paulsch,
       „natürlich werden wir nicht bis 2030 weltweit funktionierende Schutzgebiete
       haben.“ Aber die Staaten müssten sich jetzt auf den Weg machen mit klaren
       Regeln, Messinstrumenten und genügend Geld, damit sie überhaupt in die Nähe
       dieses Ziels kommen.
       
       „Das wird eine Umsetzungs-COP“, sagt folgerichtig Bundesumweltministerin
       Steffi Lemke (Grüne). Sie ist Mitglied der großen deutschen Delegation, die
       als Teil der EU-Delegation nach Kolumbien reist mit Vertreter:innen aus
       dem Auswärtigen Amt und den Ministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit,
       Landwirtschaft und Forschung. Die Bundesregierung scheint der CBD offenbar
       Bedeutung beizumessen, ist aber selbst ein Beispiel dafür, wo es hakt.
       
       So hatten sich die Staaten in Montreal verpflichtet, innerhalb von zwei
       Jahren konkrete Pläne zum [4][Schutz der Natur in der Heimat] vorzulegen.
       Lemke wollte entsprechend mit einer starken [5][Biodiversitätssstrategie]
       nach Kolumbien reisen, mit konkreten Maßnahmen plus Finanzierung. Doch der
       Entwurf der Strategie fand wenig Gnade bei Umweltverbänden und steckt nun
       auch noch in der Abstimmung zwischen den Ministerien fest. Wie bei so
       vielen Projekten ziehen auch hier die von der FDP geführten Ressorts nicht
       mit.
       
       ## Naturschützer sind skeptisch, aber auch trotzig-optimistisch
       
       Also kommt Lemke mit leeren Händen. Alleine ist sie damit allerdings nicht.
       Nur wenige Länder haben bislang Umsetzungsstrategien und Aktionspläne
       vorgelegt, darunter Australien, China, Kanada und Mexiko.
       
       Auch bei den Finanzen sieht es mager aus. Laut [6][dem „$20 Billion
       Tracker“ der Naturschutzorganisation WWF] sind bislang erst 8,2 Milliarden
       der 20 Milliarden Dollar zusammengekommen, die bis zum nächsten Jahr den
       [7][Ländern des Südens zur Verfügung] stehen sollten. Den kleinsten Anteil
       daran hat bislang der private Sektor, auf den die Staaten in Montreal große
       Hoffnungen gesetzt hatten und der bislang von naturschädlichen Subventionen
       profitiert. Laut dem Internationalen Institut für nachhaltige Entwicklung
       zahlen die Staaten jährlich Subventionen in Höhe von einer Billion Dollar,
       die dazu beitragen, biologische Vielfalt zu vernichten. In Deutschland
       wären das etwa Steuererleichterungen für Dienstwagen, die zu großen Autos
       und damit schmutziger Mobilität führen.
       
       Und so fahren viele Naturschützer skeptisch, aber auch irgendwie
       trotzig-optimistisch nach Cali. „Die Probleme, die wir haben, sind
       superkomplex“, sagt Heike Vesper, Vorständin beim WWF, „aber wir haben auch
       komplexe Lösungen.“ Politische Strategien, Technologien, Geld – alles sei
       da. Wäre also schön, wenn nach dem utopischen Geist von Montreal im Urwald
       vom Cali eine große Portion Pragmatismus lauerte.
       
       19 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /WWF-Report-zum-Artensterben/!6041972
   DIR [2] /EU-Gesetz-gegen-Abholzung/!6040572
   DIR [3] /Arten-sterben-weiter/!5978473
   DIR [4] /Klimaneutralitaet-in-Europa/!6036961
   DIR [5] /Neuer-Bericht-zur-Artenvielfalt/!6036889
   DIR [6] https://static1.squarespace.com/static/631b573c4657a65ab383fdcb/t/66eaca87424ffc2d238059a3/1726663311348/Finance+Tracker+$20bn+Oct+24.pdf
   DIR [7] /Geld-fuer-aermere-Staaten/!6039340
       
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