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       # taz.de -- Die Wahrheit: Busenwunder gibt es immer wieder
       
       > Die Italo-Woche der Wahrheit: Der große Italo-Pop-Schwindel und die
       > Verstrickungen des Vatikans in den mysteriösen Skandal.
       
       Unsere Spur führt in eine Bar, denn in Italien führen alle Spuren früher
       oder später in eine Bar. Der Kontaktmann will uns in einer Spelunke nahe
       Roms Bahnhof Termini treffen.
       
       Aus der Musikbox dröhnt „Felicitá“, jener unverwüstliche Gassenhauer, der
       das Traumpaar Al Bano und Romina Power 1982 beim Sanremo-Festival auf den
       Gipfel ihres Ruhms katapultierte. Doch heute klingen die überzuckerten
       Synthie-Streicher des Italo-Klassikers verschattet, Romina haucht weniger
       verheißungsvoll als verzweifelt und der schmierkäsige Belcanto ihres Mannes
       Al Bano versinkt in Trauer. Trübt das Wissen um das längst zerbrochene
       Eheglück der Powers den rosaroten Kitsch oder atmet „Felicitá“ doch nicht
       so viel Glückseligkeit, wie sein Titel behauptet?
       
       „Da hatte er eine tiefe Glaubenskrise. Oder Blähungen, die hatte seine
       Heiligkeit oft“, hören wir eine Stimme die Musik durchdringen. Als wir uns
       umdrehen, entdecken wir einen zierlichen, aber beleibten Herrn in Soutane.
       Könnte das unser Kontaktmann sein?
       
       „Der Nachmittag ist viel zu blau“, sagen wir unseren Erkennungssatz auf.
       „Nicht einmal ein Priester zum Plaudern da“, antwortet der Priester
       konspirativ. Beide Zeilen stammen aus Adriano Celentanos „Azzurro“ von
       1968, dessen Komposition bislang Altmeister Michele Virano und dem
       Grummelbarden Paolo Conte zugeschrieben wurde.
       
       ## Vaffanculo
       
       „Paolo Conte heißt eigentlich Fra Favonio und ist Trappistenmönch im
       Piemont, und Michele Virano ist der Heilige Geist“, klärt uns der Kleriker
       auf und ordert einen Magenbitter.
       
       „Aber Conte tritt doch immer noch auf?“, fragen wir nach. „Auf der Bühne
       steht der wortkarge Bruder des Trappisten“, belehrt uns der Informant. „Der
       ist Anwalt und kann in Wirklichkeit gar nicht singen.“
       
       Doch der Reihe nach. Seit Reinigungskräfte bei Feudelarbeiten in den
       Geheimarchiven des Vatikans versehentlich eine mittelalterliche
       Notenhandschrift mit dem Titel „Volare oh, oh, Cantare oh, oh“ abstaubten,
       muss die italienische Musikgeschichte umgeschrieben werden. Galt bisher
       Domenico Modugno als Autor jenes Superhits „Nel blu, dipinto di blu“, der
       1958 den Siegeszug des Italo-Pop einläutete, beweist der Schmierzettel mit
       gregorianischer Quadratnotation, dass Benediktiner der berühmten
       Montecassino-Abtei die Urversion des Liedes bereits tausend Jahre früher
       nach einem Strandausflug dichteten.
       
       Auch ein Italo-Sommerhit aus dem Jahr 1987 soll auf einem zotigen Choral
       beruhen, in dem die Vorzüge blutjunger Chorknaben gerühmt werden. „Boys,
       boys, boys / I’m looking for a good time“, bekennt der Liedtexter im
       fragmentarischen Libretto, das hinter einem lockeren Paneel in der
       Engelsburg gefunden wurde. Als mutmaßlicher Urheber gilt ein englischer
       Austauschdiakon im Gefolge des Borgia-Papstes Alexander VI. und nicht mehr
       die ligurische Sexbombe Sabrina, die von der Kurie damals
       bezeichnenderweise nicht als Busenwunder anerkannt wurde.
       
       Bis heute leugnet der Heilige Stuhl die Archivfunde und jede Beteiligung am
       großen Italo-Pop-Schwindel. „Stattdessen lenkt man die
       Verschwörungsgemeinde mit Kinkerlitzchen wie dem Gral oder dem Vermächtnis
       der Templer ab“, beschwert sich unser Whistleblower. Doch welchen Einfluss
       hat der Vatikan heute auf die Populärkultur des Landes? Ist die gesamte
       italienische Popmusik ein Opus Dei, wie schon Musiksoziologe Adorno in
       seiner weithin ungelesenen Schrift „Quasi una fantasia“ zwischen den Zeilen
       insinuierte.
       
       „Ich heiße Don Spumantino, aber Sie kennen mich unter meinem Künstlernamen
       Eros Ramazotti“, stellt sich der Informant vor und bestellt noch einen
       Bitter. Spumantino erzählt, dass die meisten Italo-Hits noch immer aus der
       Feder unterbeschäftigter katholischer Geistlicher stammen.
       
       „Man braucht nur einen einzigen Papst, aber im Vatikan tummeln sich eine
       halbe Million Kirchenleute“, meint der Insider. „Was sollen die denn den
       ganzen Tag machen?“ Da fallen uns vom Zigarettenschmuggel bis zu mafiösen
       Devisenschiebereien einige Nebenbeschäftigungen ein, die regelmäßig ans
       Licht der Öffentlichkeit dringen.
       
       ## Stronzo
       
       „Das sind lancierte Fakes, um die Medien abzulenken“, raunt der Pfaffe. „Im
       Grunde ist der Vatikan eine einzige große Hitmaschine. Doch niemand war so
       genial wie er!“
       
       „Er?“, fragen wir und zeigen gen Himmel, doch unser Gesprächspartner
       lauscht gerade dem Tonartwechsel im Schmachtfetzen von Al Bano und Romina.
       „Hören Sie das? Diese subtile Melancholie, diese expressive und doch
       zurückgenommene Romantik. Das ist Chopin, das kann nur ein Pole.“
       
       „Sie meinen doch nicht etwa Wojtyla?“ Don Spumantino lächelt wie selig
       gesprochen. „In sein Pontifikat fielen die Glanzzeiten der Cantautori und
       die Italo-Disco-Manie. Denken Sie, das ist Zufall? Seine Heiligkeit war die
       Dreifaltigkeit des Italo-Pop: Lucio Dalla, Umberto Tozzi und Rino Gaetano
       in Wesenseinheit. Bloß sein Italienisch war ziemlich dürftig.“
       
       Die altertümliche Wurlitzer legt scheppernd die nächste Single auf. „I like
       Chopin“ radebrecht One-Hit-Wonder Gazebo, hinter dem man bislang den
       Musiker Paul Mazzolini wähnte. „Na gut, sein Englisch war auch nicht so
       doll“, gibt der Priester zu.
       
       ## Cazzo di ferro
       
       „Das klingt ja alles ganz schön, ist aber völlig unmöglich“, erheben wir
       Einspruch.
       
       „Bello e impossibile?“, zitiert Spumantino den Hit von Gianna Nannini,
       deren bekannteste Platte eine Freiheitsstatue mit in die Höhe gerecktem
       Vibrator ziert. Heute lebt die lesbische Sängerin mit Frau und Kind in
       Mailand. „Eine Ordensschwester aus Siena“, behauptet Spumantino. „Aber der
       Rest stimmt. Mit so einer Stimme kommen sie im Vatikan mit allem durch.“
       
       Nun bestellen wir uns selbst einen Doppelten. Wenn das Erzählte stimmt,
       haben wir gerade eine Riesengeschichte an Land gezogen. „Würden Sie sich
       mit all dem zitieren lassen?“
       
       „Um Celentanos Willen“, klärt Spumantino auch die Identität dieses
       Musikgiganten auf. „Ich will doch nicht enden wie Luigi Tenco.“ Der
       Liedermacher soll sich 1967 aus Enttäuschung über seine Platzierung beim
       Musikfestival Sanremo erschossen haben, doch Zweifel an dieser Version gab
       es schon immer.
       
       Hastig nimmt der kleine Don Spumantino seinen schwarzen Mantel und
       verschwindet in der römischen Dämmerung. In Italien führen nicht nur
       sämtliche Spuren in eine Bar, sie pflegen auch dort zu enden.
       
       19 Oct 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Bartel
       
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