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       # taz.de -- Die Wahrheit: Und dann kamen die Engländer
       
       > Vor über 1.500 Jahren war alles besser. Zumindest in Irland – da hatte es
       > eine fortschrittliche Rechtsform. Ein englischer Papst vermasselte es
       > dann.
       
       Die Iren an sich sind ein gastfreundliches Volk. Diese Gastfreundschaft hat
       man ihnen frühzeitig eingebläut – vor mehr als 1.500 Jahren. Damals galten
       die „Brehon Laws“, die erstaunlich fortschrittliche Rechtsform Irlands. Sie
       deckte alles ab, von Bienenzucht und Mord über Eigentumsrecht und Handel
       bis hin zu Familienrecht und Gleichberechtigung.
       
       Frauen waren Männern gleichgestellt, sie durften die gleichen Berufe wie
       Männer ergreifen, sie konnten Druidinnen, Dichterinnen, Ärztinnen,
       Gesetzgeberinnen, Kriegerinnen und Königinnen werden. Sie konnten sich
       scheiden lassen und behielten ihren eigenen Besitz und die Hälfte des
       gemeinsamen Besitzes. Männer und Frauen wechselten häufig Liebhaber und
       Ehepartner, was keineswegs mit einem Stigma behaftet war.
       
       Die Richter wurden in Gesetzesschulen ausgebildet. Wiedergutmachung statt
       Bestrafung stand im Mittelpunkt der Gesetze. Wenn zum Beispiel jemand von
       einer Biene gestochen wurde, musste der Imker dem Geschädigten einen Teil
       des Honigs abgeben. Die Urteile wurden über Jahrhunderte mündlich
       überliefert, bevor sie im 16. Jahrhundert in Cahermacnaughten, einem
       Ringfort im westirischen Burren, niedergeschrieben wurden.
       
       Was die Gastfreundschaft anbelangt, so waren die Brehon-Gesetze eindeutig:
       Jeder Haushalt, ob königlich oder arm, war verpflichtet, Reisenden
       „oigidecht“ – „oigi“ bedeutet „Fremder“ – zu gewähren. Zur Gastfreundschaft
       gehörten nicht nur Essen, Trinken und ein Bett, sondern auch Unterhaltung.
       Dem Gast durften keine neugierigen Fragen gestellt werden. Eine finanzielle
       Gegenleistung gab es nicht, aber der Besucher konnte ein Gedicht oder ein
       Lied vortragen.
       
       ## Schlechte Gastgeber wurden sozial geächtet
       
       Die Verweigerung von Gastfreundschaft war nicht nur ein sicherer Weg zu
       sozialer Ächtung, sie war auch illegal und konnte mit einer Geldstrafe
       belegt werden. König Bres zum Beispiel regierte sieben Jahre lang, aber er
       ließ an seinem Hof niemanden bewirten. Als er eines Tages den Dichter
       Cairbre schäbig behandelte, verfasste der eine so bissige Satire über Bres,
       dass der König gezwungen war, sein Königreich aufzugeben und zu fliehen.
       
       Dann kamen die Engländer. Als der englische Papst Adrian IV. im Jahr 1155
       die päpstliche Bulle Laudabiliter erließ, mit der die normannische Invasion
       Irlands sanktioniert wurde, begann der Niedergang des Brehon-Rechts in
       Irland. Trotz des Ausbruchs von Fremdenfeindlichkeit und einer
       einwanderungsfeindlichen Politik ist die Mehrheit der Iren aber immer noch
       für ihre Gastfreundschaft bekannt.
       
       Den Rechtsextremen, die mit ihrer „Irland-ist-voll-Mentaltität“ ihr Unwesen
       treiben, sollte man die Steintafeln mit den Brehon-Gesetzen um die Ohren
       hauen – oder besser: Man sollte ihnen die Texte ins Gesicht tätowieren. In
       Spiegelschrift, damit sie die Gesetze morgens beim Zähneputzen lesen
       müssen.
       
       21 Oct 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Sotscheck
       
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