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       # taz.de -- „Franziska Linkerhand“ im Gorki-Theater: Eine Architektin scheitert in der DDR
       
       > Sebastian Baumgarten zerlegt im Berliner Gorki den Roman „Franziska
       > Linkerhand“ von Brigitte Reimann. In den DDR-Diskurs schummelt er
       > Irritationen.
       
   IMG Bild: Gleich drei junge Franziskas – Katja Riemann, Alexandra Sinelnikova und Maria Simon – tretene vors Publikum
       
       Die DDR ist ein Promi. Zu Jahrestagen – aktuell können der 75. Geburtstag
       oder die 35-jährige Wiederkehr des Mauerfalls gefeiert oder bedauert werden
       – wird daher auch gern im Theater über die Verstorbene nachgedacht. Fester
       Bestandteil der Auseinandersetzung mit der DDR ist mittlerweile
       [1][Brigitte Reimanns] so opulenter wie unvollendeter Roman über das
       Scheitern des Wohnungsbaus mit menschlichem Antlitz.
       
       Vor fünf Jahren dramatisierte [2][Daniela Löffner] im Deutschen Theater in
       Berlin bereits die Lebensbeichte der zerbrochenen Architekturidealistin
       „Franziska Linkerhand“. Jetzt zieht das Gorki, ebenfalls in Berlin, nach.
       
       Ein cleverer Zug ist, dass Baumgarten den Abend mit der Geburt der DDR aus
       den Trümmern des sogenannten „Dritten Reichs“ beginnen lässt. Von weißen
       und roten Fahnen, die 1945 schnell geschwenkt werden, ist die Rede. Erst
       sei das Fahnenschwenken noch von Mut geprägt, konstatiert in bellendem
       Stakkato die Dreifachbesetzung der jungen Franziska (Katja Riemann,
       Alexandra Sinelnikova und Maria Simon).
       
       Denn die SS macht auf den Straßen Jagd auf Deserteure und
       Endsieg-Unwillige. Später werden die roten Fahnen vor allem aus
       Opportunismus aus den Fenstern hängen, noch später, nach gut vier
       Jahrzehnten, ändert sich erneut die Farbe im Textil, ergänzt man im Geiste.
       
       Die Plattenbauten hängen da noch im Bühnenhimmel. Für Theaterzwecke
       wurden die klassischen Module mit Fenster- und Türöffnung vom Büro des
       Architekten Sam Chermayeff nachentworfen. Sie werden, wenn es dramatisch
       werden soll, heruntergelassen und wieder in die Höhe gezogen – ein
       Plattenbau- und Krantheater für die Bühnenpuppenstube.
       
       ## Ensemble im Angriffsmodus
       
       Unverständlich ist, warum Baumgarten sein Ensemble auf
       Artillerie-Angriffsmodus getrimmt hat. Grimmigen Gesichts tritt schon zu
       Beginn die dreifache Linkerhand an die Rampe und schleudert ihre Sätze wie
       Geschosse in die Sitzreihen. Differenzierung bleibt auf der Strecke. Auch
       das andere Personal – ob Baustellenbelegschaft, Architektenkollegen oder
       Vorgesetzte der jungen Architektin Linkerhand – schließt sich dem
       Stakkato-Modus an. Das verzerrt die Figuren zu Klischees.
       
       Gut, schon in der Romanvorlage sind viele Personen aus dem
       Baustellenkontext stark typisiert. Auch ist es Merkmal von Funktionären,
       abgeschliffen zu sein. Aber dass Baumgarten keinerlei Interesse zeigt, für
       den Abschleifungs- und Anpassungsprozess eine szenische Umsetzung zu
       finden, verblüfft doch. Schließlich ist der Widerstand der Titelheldin
       gegen die allseitige Normierung und ihr Kampf gegen das Absinken in den
       Morast von Ideal-Entsagung, Mattigkeit und Zynismus Thema des Romans.
       
       Diesem Motiv feinsinniger nachzuspüren hätte sich doppelt gelohnt. Denn der
       Desillusionierungsprozess war nicht nur typisch für Teile der alten
       Funktionärskaste. Er betrifft ganz aktuell auch das mittlere Management in
       Politik und Wirtschaft. Das muss zwar nicht Marxismus-Leninismus herbeten,
       wird aber aufgerieben in diversen Sachzwängen wie Kostendruck und
       Innovationszwang, verbunden mit Compliance-Treue, Nachhaltigkeit und
       Diversität. Baumgarten, Enkel des früheren stellvertretenden
       DDR-Kulturministers und Staatsopernintendanten Hans Pischner, lässt diesen
       Aspekt aber unbearbeitet.
       
       Eine Spur von Individualität darf sich immerhin Katja Riemann als
       Linkerhand-Freundin Gertrud leisten; ein paar gespielte Promille weniger im
       Blut dieser Desillusionierten hätten der Figur allerdings mehr Gewicht
       verliehen.
       
       ## Als Hoyerswerda brannte
       
       Natürlich kommt die Sonnenseite des mechanistischen Wohnungsbauprogramms
       der DDR auch zur Sprache – Wohnungen für viele zu billigen Mieten. Ein noch
       deutlicherer Ausblick ins Heute wird mit der Forderung nach nachhaltigem
       Bauen und Verdichten geliefert.
       
       Als kleine Provokation fürs eher linke und dem deutschen Nationalismus
       nicht so zugeneigte Gorki-Publikum darf man werten, dass Baumgarten einen
       wichtigen Slogan aus DDR-Zeiten in fetten Lettern an die Wand werfen lässt:
       Architektur solle „dem Inhalt nach demokratisch, der Form nach national
       sein“, heißt es da. Ausgerechnet im Gorki Theater Unter den Linden darauf
       hinzuweisen, dass in der DDR das Nationale so positiv besetzt wurde, hat
       Sprengkraft.
       
       Die Aufführung endet mit dem Hinweis darauf, dass 1991 ein Plattenbau in
       der [3][Linkerhand-Stadt Hoyerswerda] brannte, als Rechtsradikale dort –
       unter dem Beifall benachbarter Plattenbau-Insassen – ein Wohnheim für
       Geflüchtete mit Molotowcocktails, Steinen und Stahlkugeln angriffen. Da
       zeigte sich das Nationale von seiner fürchterlichen Seite. „Linkerhand“
       tippt viele Themen an, traut sich zumindest zur Premiere leider weder in
       inhaltliche noch in emotionale Tiefen zu gehen.
       
       21 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Frueher-DDR-Roman-von-Brigitte-Reimann/!5922833
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       ## AUTOREN
       
   DIR Tom Mustroph
       
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