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       # taz.de -- Die Wahrheit: James Joyce oder Das Gesetz der Straße
       
       > Von Deckeln auf Containern und Deckeln auf Büchern, während man draußen
       > durch die Straßen streift. Ein Alltagsbericht samt E-Roller.
       
       Stattlich und feist sind meine Altglastüten gefüllt, als ich vor die
       Haustür trete. Zum Container ist es zwar nur ein kurzer Fußweg, aber sobald
       ich die Wohnung verlasse, ist mir immer ein wenig mulmig zumute. Denn hier
       draußen gilt das Gesetz der Straße (im Folgenden GdS abgekürzt und weder
       mit der StVO – der Straßenverkehrsordnung – noch mit der GdfS, der
       Gesellschaft für deutsche Sprache, zu verwechseln). Nicht, dass ich in
       einer gefährlichen Gegend wohnen würde – das Problem ist, dass ich das GdS
       nicht verstehe.
       
       Ich komme an einem halb auf dem Gehweg parkenden Auto vorbei. Dem biege ich
       beide Scheibenwischer nach oben. Ich finde es nicht besonders sympathisch,
       das zu tun, aber so steht es nun mal im GdS: Ist ein Auto nicht gut
       geparkt, sind die Scheibenwischer hochzubiegen.
       
       Harry Rowohlt hat mal gesagt, er kenne zwar den Wortlaut des Paragrafen
       nicht, welcher Mord verbietet, aber er wisse ja auch so, dass Mord illegal
       ist. So ähnlich funktioniert es auch mit den ungeschriebenen Gesetzen der
       Straße: Man versteht nicht immer alles, aber nach Möglichkeit befolgt man
       sie.
       
       Ohne mich umzusehen oder einen erkennbaren Grund dafür zu haben, springe
       ich deshalb plötzlich auf den Fahrradweg und ignoriere das Fluchen und
       Klingeln hinter mir – Gesetz ist Gesetz. Ob sich Harry Rowohlt auch zum GdS
       geäußert hat? Denkbar wäre es – er hat sich ja zu ziemlich vielem geäußert.
       Wie schön er die Iren übersetzt hat! Nur „Ulysses“ hat er nicht übersetzt.
       Als ich mir mal vorgenommen hatte, das Buch zu lesen, habe ich die
       James-Joyce-Expertin Katharina Hagena nach der besten Übersetzung gefragt.
       Sie hat mir geraten, es im Original zu lesen, und viel Spaß bei der
       Irrfahrt gewünscht. Bei Kapitel drei habe ich abgebrochen.
       
       ## Kacka vor der Kita
       
       Ein Hund überholt mich und kackt direkt vor den Eingang einer Kita. Was
       denkt er sich dabei? Muss so, weil GdS? Oder: Noch um eine Häuserecke und
       dann bin ich beim Container, wo gerade jemand Whiskeyflaschen entsorgt?
       Beim Altglas gilt das für mich unverständlichste Gesetz: Man schraubt die
       Deckel von den Gläsern und legt sie oben auf den Container. Hier frage ich
       mich oft, ob die Menschen noch nie die „Sendung mit der Maus“ gesehen
       haben. Sonst hätten sie ja gelernt, dass die Deckel ohnedies später mit
       Magneten entfernt werden. Selbst wenn man also der Maschine den Schritt
       ersparen möchte, warum entsorgt man die Deckel nicht vorher in der gelben
       Tonne? Dass die Müllabfuhr sie nicht händisch von den Containern klauben
       wird, sondern alle Deckel auf dem Boden landen werden, sollte doch klar
       sein. Steht doch im GdS!
       
       Kopfschüttelnd lege ich meine Deckel dazu – heutzutage ist Anpassung das A
       und O, nicht nur im Gesetz der Straße – und werfe einen am Rand stehenden
       E-Scooter mitten auf den Fußweg. Hätte Harry Rowohlt die Gesetze der Straße
       für mich übersetzt, hätte ich sie vielleicht verstanden. Zumindest hätte
       ich sie bis zum Ende gelesen.
       
       24 Oct 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Björn Weirup
       
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