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       # taz.de -- Roadtrip durch die US-Südstaaten: Wahlkampf? Welcher Wahlkampf?
       
       > Unser Autor hat drei Wochen Roadtrip durch die USA gemacht. Statt
       > aufgeheizter Stimmung trifft er auf freundliche Menschen, die sich vor
       > Ort sehr einig sind.
       
   IMG Bild: Die Waco Suspension Bridge in Texas
       
       Dana ist ein Traum einer Gastgeberin in diesem Bed & Breakfast in Waco,
       Texas, ein Fluss, viele Brücken, viele Parks, zwischen Houston und Dallas
       gelegen. Eine kleine Stadt, die vor gut 30 Jahren weltweit gewisse
       Berühmtheit über diese Landschaft hinaus erlangte, weil auf dem Hof einer
       apokalyptischen Sekte, weiter weg irgendwo in der nahen Prärie, durch deren
       Anführer ein Massaker zu beklagen war, 76 Tote, aber das wissen nur noch
       die Älteren.
       
       Nach dem Frühstück auf ihrem waldigen Gelände, das sie über viele ihrer
       Lebensjahre zu dieser Herberge ausgebaut hat, fragen wir: „Dana, es ist
       nicht üblich in Ihrem Land, über Politisches zu reden, wenn man sich wenig
       bis gar nicht kennt, aber – wir in Europa [1][gucken gebannt auf den 5.
       November, den Wahltag in den USA]. Wie ist es denn um die Frage Harris vs
       Trump, ja, um die Spaltung der Gesellschaft bestellt?“ Sie antwortet
       sofort, sehr freundlich, ihr Mann nickt dazu: „Ja, das ist eine gute Frage,
       die ihr natürlich stellen könnt. Ich würde sagen, seit acht Jahren wird
       gestritten, aber unsere Nachbarn haben ein Harris/Walz-Plakat“ – sie zeigt
       mit ihrem Arm ins Irgendwohin – „aufgestellt, alle können das sehen.“ Das
       heißt hier in Texas: Oh, wie freakig, minderheitlich, seltsam.
       
       Der hinter Alaska flächenmäßig größte US-Bundesstaat ist seit Jahrzehnten
       fest in republikanischer Hand. Wahlkampf um die Präsidentschaft ist
       unnötig, wäre rausgeworfenes Geld: Trump kriegt hier seine Wahlmänner und
       -frauen sicher.
       
       Jedenfalls sagt Dana uns noch, ohne Eiferei in der Stimme: „Wir wählen
       traditionell die Roten, also die Republikaner, und [2][dass Trump ein
       Hallodri ist] – wer wüsste das nicht? Wir setzen auf Vance, J. D. Vance,
       seinen auserkorenen Vizepräsidenten, falls er es in Weiße Haus schafft.“
       Der, so unsere Gastgeberin, sei die wahre Partei. „Patriot, für die
       Familie, für Werte, für Zusammenhalt“, aber sie sagt es ohne auch nur ein
       Muckerchen an irritierter Reaktion, nichts gegen ein schwules Paar.
       Neighborhood zählt, das Menschliche, das Auskömmliche nicht im
       Überspannenden, sondern im Alltagskonkreten. „Auf ihn, auf das Höchste,
       setzen wir, aber am Ende“, sie faltet ihre Hände, „hat ER alles im Blick,
       in God we trust …“
       
       ## Mächtige Religion
       
       Auch eine Erfahrung: Religiöses spielt in den USA vielleicht nicht überall,
       aber an allen Stationen [3][eine mächtige Rolle]. Wir sahen während unserer
       Tage täglich im Schnitt ernsthaft circa 80 Kirchen, manche verfallen,
       andere sahen sie aus wie Verwaltungsgebäude mit riesigem Konferenzsaal. Wir
       machen drei Wochen Roadmovie durch einige Fly-Over-States, eben Texas,
       Lousiana, New Mexico (demokratisch leicht mehrheitlich gesinnt), Oklahoma
       und Mississippi; Washington ist weit, die Ostküste mit ihren Universitäten
       weit, woke bleibt ein Kampfbegriff hier in Texas, aber man ist ohnehin
       unter Überzeugten. Roadmovie, ins Auto setzen, nur gucken, vielleicht auch
       staunen, Google Maps eingestellt auf „Keine Autobahnen“, also 20 Tage so
       gut wie nur über Landstraßen, durch Weiten, gegen die sich selbst die
       Lüneburger Heide wie ein übervölkertes Quartier ausnimmt: öfters über 50
       Meilen menschenleer, häuserarm.
       
       Was hatten wir erwartet? Hexenjagden, Aufmärsche des Ku-Klux-Klans
       allerorts, Zeichen der Antiaufklärung, der Fake News? Auf einer
       Fußgängerbrücke in Waco ein Schwarzer Mann, der sich per Smartphone filmen
       lässt, er nimmt mehrere Anläufe, ehe sein Take sitzt: Hallo, ich bin
       Soundso, ich kandidiere für das Kommunalparlament für die Demokraten … er
       kriegt sein Lampenfieber kaum in den Griff, lächelt uns an, wir sagen, „go
       ahead“ und lacht noch einmal. „We’ll see …“
       
       ## Präsidentschaft geht unter
       
       Es geht am 5. November nicht allein um die Präsidentschaft des Landes,
       sondern auch um Sheriffs, Staatsanwaltschaftsposten und anderes Kommunales.
       Und oft, so sagt uns dies auch Dana, unsere Gastgeberin, geht die Frage der
       Präsidentschaft sogar unter. Act local … das ist naheliegender. Und so
       kommt es exakt zu dem Punkt, den uns vor der Reise auch Freund Ioannis,
       junger Germanist mit Doktorandenstelle an einer Universität in Rhode
       Island, Ostküste, gesagt hatte: Wahlkampf? Kriegen wir hier nicht mit. Ist
       ja sowieso demokratisch sicher, also für Kamala Harris, lohnt kaum,
       Werbespots im TV oder Plakatorgien an Straßenrändern.
       
       Texas ist sicher republikanisch, ökonomisch prosperierend, weltanschaulich
       freundlich im direkten Kontakt, wie es überall in den USA zugeht. Was man
       uns in Waco nahebringt, trifft auch auf eine Art Herrenhaus-Herberge im
       US-Staat Mississippi zu. Diana, die Eignerin der „Plantation“, hat es mit
       ihrem Mann als IT-Managerin hoch im Norden, Minnesota, zu Geld gebracht,
       jetzt im Ruhestand – sie sagt: „Work is my balance“! – haben sie sich in
       einer parkähnlich gepflegten Landschaft ein Paradies erschaffen, eine Art
       Bonsaivariante von [4][„Vom Winde verweht“]-Herrscherarchitektur, vier bis
       fünf Häuser, morgens im Haupthaus ein Frühstück mit anschließender Führung
       durch die historisch gehaltenen Interieurs.
       
       ## Trump sei nur Mobilisator
       
       Sie sagt, viele Gäste kämen, weil sie ihre Kinder am nahen, so gut wie rein
       Schwarzen College besuchten: Auch Diana ist keine Spur von offenkundigem
       Rassismus anzumerken. Sie merkt ungefragt an, ihre „weißen“ Vorfahren, die
       hätten es mit den Sklaven dereinst nicht so schlimm getrieben … Wir
       notieren dies alles in unseren Köpfen, wir hören ihr und anderen zu wie
       Ethnologen, die einfach nur kennenlernen wollen. Zum Wahlkampf erwähnt sie
       beiläufig, dass Trump nur der Mobilisator sei, der Entertainer mit manchmal
       schlechten Manieren, [5][es jedoch auf Vance ankomme], der ideologisch
       wesentlich schärferes Kaliber äußert, und sowieso hinge es doch an den
       Medien, wem man glaube. Wir sehen an allen Tagen, bis auf eine Ausnahme in
       einem Frühstücksdiner in Austin, Texas, auf den TV-Screens nur Fox laufen,
       den Sender der Trump-Fellows.
       
       Irgendwie ist die Luft aus den Reifen der Diskurserhitzungen, die wir aus
       Europa mitgenommen haben: Trump ist ja nicht mehr der hot shit des
       Wahlkampfs, man kennt ihn, findet ihn sympathisch oder hätte lieber Kamala
       Harris, weil eine Schwarze als Präsidentin, das wäre newstauglich. Keine
       [6][Skandalaussagen wie von Hillary Clinton vor gut acht Jahren], die da
       meinte, bei den Wählern und Wählerinnen der anderen habe man es mit einem
       basket of deplorables, also Stehengebliebenen, Idioten, Untercheckern und
       Unvorzeigbaren zu tun, eine These, die sie und ihre Partei mutmaßlich den
       Präsidentinnenjob gekostet hat. Wer wollte sich schon als für die
       Ostküstenelite unwürdig und bemitleidenswert bezeichnet sehen?
       
       ## Wie aus dem Ralph-Lauren-Katalog
       
       Dabei haben genau diese sogenannten deplorables in der demokratischen
       Hochburg von Texas, Austin, wirklich nix zu melden. Ein Vorstädtchen dieser
       Universitätsstadt („The Domain“) wirkt abends wie ein Bild aus der
       „Truman-Show“, so neu, so geleckt, wie man es bei der US-Komödie von den
       „Frauen aus Stepford“ sah: Die deplorables putzen die Gehwege und halten in
       den Restaurants und Einkaufsläden die Show am Laufen. Die Flaneure, die in
       den Big Digi Companys der Gegend beschäftigt sind, verströmen ein Flair,
       als seien sie Ralph-Lauren-Katalogen entnommen: multikulturell, lesbar oft
       als irgendwie post-mexikanisch, catwalkend, relaxed sowieso, niemand eilt.
       Sieht alles aus wie die Hafencity von Hamburg oder eine Neubausiedlung in
       Stockholm: Designerwelten, fern jener Gegenden nur wenige Meilen entfernt,
       wo ausgestorbene Dörfer liegen, keine Einkaufsläden, von Tankstellen zu
       schweigen, überhaupt keine örtliche Infrastruktur mehr, medizinische
       Versorgung oft 200 Meilen entfernt.
       
       Das Amerika des Malers Norman Rockwell, die Bilder der zu Thanksgiving
       einander sich treffenden Familien, der weißen Idyllen, wir hätten es gern
       mal erkannt. Scheint woanders zu sein, es kommt wohl Neues. Was genau,
       bleibt, wahrscheinlich nicht nur uns, unkenntlich.
       
       24 Oct 2024
       
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