URI: 
       # taz.de -- Debütalbum von Apsilon: Dickes Fell gegen Hass und Hetze
       
       > Der Berliner Rapper Apsilon singt über Rassismus und Klassenkampf,
       > Weltschmerz und Ohnmacht – und spricht damit eine Großstadtgeneration an
       
   IMG Bild: Der Rapper ist verankert in Moabit
       
       Berlin taz | Ehrlich, schön, verletzlich – so beschreibt der Westberliner
       Rapper Apsilon nach reiflicher Überlegung sein in diesen Tagen erschienenes
       Debütalbum „Haut wie Pelz“. „Ehrlich, weil es die Themen sind, die mich
       über die letzten Jahre beschäftigt haben. Schön, weil es trotz all der
       Hässlichkeit und den düsteren Momenten, Hoffnung und Kollektivität gibt.
       Verletzlich, weil ich in der Musik mein Innerstes offenlege.“
       
       Die Texte des 27-Jährigen sind eine scharfsinnige Gesellschafts- und
       Systemkritik. Apsilon, mit bürgerlichem Namen Arda, ist 1997 in Berlin
       geboren und in Moabit aufgewachsen. Bereits in der Schule begann der Enkel
       türkischer Gastarbeiter*innen Gedichte und Raptexte zu schreiben, 2021
       veröffentlichte er seine erste Single. In seinen Texten geht es um
       institutionellen Rassismus und Klassenpolitik, er rappt über sein Leben in
       Berlin, seinen Kiez, das Gefühl der Heimatlosigkeit und die
       Migrationsgeschichte seiner Großeltern.
       
       „Opa für drei Groschen am Tag malochert / Jeden Monat bis zur Ohnmacht für
       den Tagelohn / Kohlenstaub geschluckt für euren Nachkriegswohlstand“, singt
       er in dem Lied „Köfte“, in dem er die prekären Lebens- und
       Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter*innen anprangert. Das von seinem
       jüngeren Bruder Arman produzierte Musikvideo ist ergreifend:
       Archivaufnahmen verdeutlichen die [1][brutalen und unmenschlichen
       Arbeitsbedingungen, unter denen türkische Gastarbeiter*innen litten].
       Zwischenschnitte zeigen die erschöpften, eingefallenen Gesichter seiner
       Großeltern sowie Neonazis, die Unterkünfte anzünden: „Sie sehn Einzeltäter
       oder Psychos mit nem Colt / Ich seh nur, wie es leibt und lebt, euer
       schönes Schwarz-Rot-Gold“, kritisiert Apsilon in dem Lied auch den medialen
       Umgang mit rechtsextremen Angriffen.
       
       „Weltschmerz beschäftigt mich stark“, erzählt Arda im Gespräch der taz.
       Eine politische Botschaft zu überbringen, sei jedoch nur zweitrangig. „In
       erster Linie dient der Rap dazu, meine Gefühle zu verarbeiten und Menschen
       auf einer emotionalen Ebene zu berühren.“ Mit Erfolg: „Meine Großeltern
       erfüllt es mit Stolz, dass ihre Geschichte, die sonst gesellschaftlich
       nicht viel Gehör findet, gezeigt wird. Gleichzeitig bringt es ihnen viel
       Schmerz ins Bewusstsein, den sie verdrängt haben.“ Fünf ihrer Kinder haben
       sie in der Türkei zurücklassen müssen, als sie in den 1970er Jahren erst
       nach Bielefeld, dann nach Berlin kamen.
       
       ## Großeltern haben ein Leben der Selbstaufopferung geführt
       
       „Für meine Großeltern sind diese Themen einfach ein Teil ihres Lebens und
       sie gucken da gar nicht so sehr politisch drauf.“ Ihn hingegen erfülle es
       mit Wut, dass sie damals die Jobs machen mussten, die Deutsche nicht machen
       wollten, und in Wohnungen lebten, in die Deutsche nicht ziehen wollten.
       „Sie haben sich aufgeopfert, damit ihre Kinder und Enkelkinder es gut
       haben. Und drei Generationen später haben wir immer noch mit ähnlichen
       Problemen wie sozialer Ausgrenzung zu kämpfen.“
       
       Auch sein Vater habe hart gearbeitet, um ihm und seinem Bruder ein besseres
       Leben zu ermöglichen. Dabei blieb einiges auf der Strecke, etwa die
       Fähigkeit, offen über Gefühle zu sprechen. Das thematisiert Apsilon in
       „Baba“: „Ich wünscht, er wär’ ein bisschen echter / Dann könnt ich bisschen
       schwächer sein / Ich wünscht, er hätte mir gezeigt / Dass man als Baba
       weint in echt“, singt er darin. Mit den Zeilen bewegt er ihn, den „starken
       Vater“: Es schnüre ihm noch heute die Kehle zu und fülle seine Augen mit
       Tränen, wenn er das Lied höre, schreibt sein Vater in der Kommentarspalte
       unter dem Video. Zahlreiche weitere Menschen kommentieren darunter und
       erzählen die Geschichten ihrer eigenen Väter.
       
       Indem er seine Verletzlichkeit offenlegt, über Selbstliebe und Selbsthass
       rappt, erreicht Arda eine empfindsame Großstadtgeneration. Doch so
       persönlich seine Lieder auch sind, fast immer spiegeln sie auch größere
       gesellschaftspolitische Themen wider. So singt er in „Lost in Berlin“ neben
       dem Verlorensein in der überreizenden Großstadt von Ohnmacht und
       Weltschmerz, davon „die ganze Welt zu hören“, aber nicht sich selbst. Er
       rappt über das Erdbeben in der Türkei, Wellen im Mittelmeer, die Menschen
       schlucken und brennende Unterkünfte in Brandenburg.
       
       Rechtsextreme Anschläge, wie diese, seien nur einer von vielen Anlässen,
       die Deutschland ihm, seiner Familie und Freund*innen aktuell gebe, um
       sich die Frage zu stellen: Sollen wir gehen?
       
       ## Er möchte Deutschland nicht verlassen
       
       „Nachdem die [2][Correctiv-Recherche zu den,Remigrations'-Plänen
       veröffentlicht wurde, haben sich viele meiner Bekannten gefragt, ob sie
       eine Zukunft hier in Deutschland haben]. Auch ich.“ Aber gleichzeitig wisse
       er, dass es keine Option ist wegzugehen. Moabit ist für ihn Heimat: „Jeder
       Bezug zu mir selbst, basiert auf den Straßen, in denen ich aufgewachsen
       bin, auf den Freund*innen, mit denen ich groß geworden bin.“
       
       Diese soziale Verwurzelung könne er nicht einfach im Koffer mitnehmen.
       „Aber vielleicht ist irgendwann der Punkt erreicht, wo die eigene
       Sicherheit wichtiger ist, als sich sozial verankert zu fühlen“, sagt er.
       Diesen düsteren Gedanken greift Apsilon in dem Lied „Koffer“ auf: In einen
       Koffer passe ein Pass, singt er darin. „Doch nicht meine Haut, in der
       steck’ ich.“
       
       Die Haut, in der er steckt, verleiht dem Album auch seinen Titel: „Haut wie
       Pelz“. Ein Titel, der laut Arda als Schutzschicht gegen den Hass und
       Rassismus gedeutet werden kann. Oder als ein Sich-fremd-fühlen in der
       eigenen Haut. „Ein Pelz ist etwas Fremdes. Etwas, das gejagt wird“, erklärt
       er.
       
       ## Ein Appell für Solidarität
       
       Gegen rassistische Hetze und Verfolgung wehrt er sich – nicht nur durch
       seine Musik, sondern auch durch linken Aktivismus: mit Vorträgen zum Thema
       „Rassistische Normalität“, Benefizkonzerten für Nothilfe in Krisengebieten,
       kostenlosen Konzerten und Spendenaktionen für die „Seebrücke“,
       [3][Auftritten bei Demokratiedemos] oder Gedenkveranstaltungen für
       rechtsextreme Attentate. „Das ist mir wichtig und gibt mir mehr als ein
       Festivalauftritt“, erzählt er. Es sei daher weiterhin mit
       Kostenloskonzerten zu rechnen.
       
       Apsilon appelliert auch an die Gesellschaft, Solidarität zu zeigen: „Wir
       müssen uns in unseren Bezirken und Nachbarschaften gegenseitig unterstützen
       und Solidarität leben“, sagt er. Seine Botschaft: „Politisiert und
       organisiert euch auf allen Ebenen.“ Denn neben politischen Lösungen brauche
       es eine gesellschaftliche Bewegung von Menschen, die eine bessere Welt
       anstreben. Nur so kann verhindert werden, dass das Unmögliche versucht
       wird: Ein Leben in einen Koffer zu packen.
       
       10 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Wer-ist-ein-guter-Migrant/!5633135
   DIR [2] /Tuerken-in-Deutschland/!6001373
   DIR [3] /Rapperin-aus-Berlin/!5957073
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lilly Schröder
       
       ## TAGS
       
   DIR Rapper
   DIR Gastarbeiter
   DIR Antifaschismus
   DIR Popkultur-Festival
   DIR Heimat
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Faschisten
   DIR Musik
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Die Wochenvorschau für Berlin: Auch ohne Koks in Feierlaune
       
       Während die Politik in der Sommerpause schlummert, läuft Berlins
       Kulturprogramm auf Hochtouren: Lesungen, Pop-Festivals, experimentelle
       Klangkunst.
       
   DIR Psychologe über das Vertraute: „Heimat wird gar nicht geschätzt“
       
       Der Begriff „Heimat“ wirkt in der Krise wie ein Kuschelbär fürs Kind.
       Diesen stabilisierenden Effekt nutzen Politik und Werbung gleichermaßen.
       
   DIR Türken in Deutschland: Opas Heimat
       
       Die rechtsextremen Fantasien von „Remigration“ wecken in migrantischen
       Communitys Erinnerungen an schlechte Zeiten. Ein Familienbesuch.
       
   DIR Geheimtreffen der AfD mit Neonazis: Was tun gegen die Faschisten?
       
       Nach den Enthüllungen des Recherchenetzwerks „Correctiv“ stellt sich die
       Frage: Was hilft gegen die AfD? Noch mehr Empörung ist es nicht.
       
   DIR Rapperin aus Berlin: Zeitalter des Wa22ermanns
       
       Die Rapperin Wa22ermann ist neu im Geschäft und liefert den Soundtrack fürs
       gegenwärtige Kreuzberg. Freitag tritt sie beim Festival Pop-Kultur auf.