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       # taz.de -- BDE-Präsidentin über Baustoffrecycling: „Ich sehe ein Rohstofflager“
       
       > Für Anja Siegesmund ist ein Haus nicht nur ein Haus. Die Präsidentin des
       > Wirtschaftsverbandes BDE über die Bedingungen einer Kreislaufwirtschaft.
       
   IMG Bild: „Wenn wir Häuser abreißen, müssen wir dabei die Rohstoffe so weit wie möglich trennen“, sagt BDE-Präsidentin Anja Siegesmund
       
       taz: Frau Siegesmund, die [1][Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie]
       (NKWS) des Umweltministeriums hängt – wie so vieles andere auch – im
       Finanzministerium fest. Wäre es sehr tragisch für Ihre Branche, wenn sie in
       dieser Legislatur nicht käme? 
       
       Anja Siegesmund: Ja, es wäre eine verpasste Chance. Es ist aber fest davon
       auszugehen, dass die NKWS schnell kommt, und sie kommt zur richtigen Zeit.
       Wir müssen neue Technologien und Investitionen entfesseln, um
       wirtschaftlich stark zu bleiben. Einerseits stehen wir vor den
       Herausforderungen begrenzter Ressourcen und unterbrochener
       Rohstofflieferketten. Andererseits verfügen wir in unserem starken
       Wirtschaftsstandort Deutschland über die Fähigkeit, solche Krisen zu
       meistern. Das diskutieren wir derzeit viel zu zurückhaltend. Wir brauchen
       eine intensiv geführte Debatte zu der Frage, wie wir die
       Wettbewerbsfähigkeit in der Bundesrepublik stärken und zugleich die Themen
       Ressourcenverbrauch und [2][Rohstoffsicherung] von unserer Produktionsweise
       entkoppeln.
       
       taz: Das ist zurzeit nicht mehrheitsfähig. Die Bauindustrie etwa läuft
       Sturm gegen die NKWS und sagt, damit würde die Wohnungswirtschaft weiter
       ausgebremst und Wohnungsbau verhindert. Sprechen Sie eigentlich
       miteinander? 
       
       Anja Siegesmund: Natürlich sprechen wir miteinander, aber es gibt eben auch
       unterschiedliche Interessen. Ich halte nichts von sich-selbst-erfüllenden
       Prophezeiungen zur Frage, was alles nicht geht. Wir sind klug beraten,
       angesichts der Klimakrise und der globalen politischen Entwicklungen
       [3][stärker in Kreisläufen zu denken] und zu bauen. Schauen Sie mal hier
       aus dem Fenster …
       
       taz: … da steht ein Haus …
       
       Anja Siegesmund: … das kann man so sehen. Ich sehe ein Rohstofflager. Wenn
       wir Häuser wieder abreißen, müssen wir dabei die Rohstoffe so weit wie
       möglich trennen. Beim Neubau sollte so viel Recyclingmaterial eingesetzt
       werden wie möglich. Mineralische Baustoffe lassen sich schon effizient
       trennen und recyceln, aber die Märkte für diese Produkte funktionieren noch
       nicht. Das gilt es zu ändern. Die öffentliche Hand vergibt in der
       Bundesrepublik Bauaufträge von rund 500 Milliarden Euro pro Jahr. Im
       Tiefbau, im Hochbau, im Hochwasserschutz, in der Sanierung von Gebäuden.
       Wenn wir es schaffen, in den Ausschreibungen dem Einsatz von
       Recycling-Rohstoffen Vorfahrt einzuräumen, dann wäre das ein riesiger Hebel
       für die Kreislaufwirtschaft im Bau. Mineralik ist übrigens der größte
       Stoffstrom, den wir haben.
       
       taz: Der Widerstand gegen Recyclingbaustoffe kommt auch aus den
       Naturschutzbehörden. Wie lösen wir Zielkonflikte zwischen Gewässer- und
       Bodenschutz und Kreislaufwirtschaft auf? 
       
       Anja Siegesmund: Durch gute Technik und kluge Vorgaben. Das haben wir doch
       längst gelöst. Viel wichtiger als diese Frage ist doch, ob die Nationale
       Kreislaufwirtschaftsstrategie auch ausfinanziert wird. Dass im
       Bundeshaushalt Mittel für grüne öffentliche Beschaffung bereitstehen, dass
       jene, die kluge Technologien entwickeln, finanziell auch unterstützt werden
       können. Wird das Thema im Bundeshaushalt überhaupt nicht untersetzt, wäre
       das halbherzig.
       
       taz: Die Unternehmen, die die Transformation zur Kreislaufwirtschaft
       stemmen sollen, kommen traditionell aus der Abfallwirtschaft. Sind sie
       nicht eher Teil des Problems als der Lösung? Sie leben doch vom Abfall … 
       
       Anja Siegesmund: Unsere Branche umfasst knapp 800 Mitgliedsunternehmen, vom
       Start-up, das für bestimmte Stoffströme Digitalisierungslösungen
       entwickelt, großen Unternehmen, die aus Abfall Wasserstoff produzieren
       möchten, Konsumgüterherstellern, die schon jetzt an der Kreislaufführung
       ihrer Verpackungen arbeiten, bis hin zu großen klassischen Entsorgern.
       Unsere Branche ist einerseits sehr traditionsreich, kennt und lebt aber
       andererseits den Wandel.
       
       taz: Wenn ich wissen will, was die beiden großen Entsorgungsunternehmen
       Remondis oder Alba denken, dann rufe ich beim BDE an. 
       
       Anja Siegesmund: Können Sie machen, Sie können aber auch anrufen, wenn Sie
       etwas über den Mittelstand oder Start-ups wissen wollen. Es geht längst
       nicht mehr nur darum, mehr Abfälle einzusammeln, sondern aus Abfall den
       Rohstoff der Zukunft zu machen. Zum Beispiel in der Textilindustrie, da
       liegt viel Potenzial, auch in der Automobilindustrie. Auf der Weltleitmesse
       für Umwelttechnologien in München, der IFAT, hatte das Thema „Circularity
       for E-Mobility“ in diesem Jahr eine Sonderfläche. Wir brauchen solche
       Bündnisse, in denen Entsorger, Recycler und Hersteller im Sinne des
       Ökodesigns zusammenarbeiten. Das Potenzial für einen umfassenden
       Rezyklateinsatz in Fahrzeugen ist sehr groß – nicht zuletzt bei den
       Metallen. Es geht jetzt darum, was wir technisch schon können, auch
       umzusetzen, Märkte zu öffnen, das auf die Straße zu bringen. Dazu brauchen
       wir die ordnungspolitische Flankierung. Wir wollen kluge Umweltgesetze,
       weil sie das Ökosystem für Innovation im Bereich Kreislaufwirtschaft
       überhaupt erst ermöglichen. Kluge Regulatorik rockt.
       
       taz: Das klingt sehr nach der grünen Umweltministerin, die Sie bis 2023 in
       Thüringen waren. Wie begegnet man Ihnen in Ihrem Verband, haben Sie es
       schwerer als gedacht? 
       
       Anja Siegesmund: Ich bin einstimmig gewählt worden, Parteipolitik spielt
       hier keine Rolle. Das Thema ist so groß, da gibt es Verbündete und Partner
       auf allen Seiten. Das gilt auch für die gesamte politische Landschaft in
       Berlin. Bewegen lassen sich Dinge am besten gemeinsam.
       
       taz: Sie sagen, wir brauchen kluge Regulatorik und nicht weiter geduldige
       Papiere. Ist die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie nicht genau das,
       ein weiteres geduldiges Papier? 
       
       Anja Siegesmund: Der Weg zum Hochlauf der Kreislaufwirtschaft ist ein
       Marathon. Er beginnt mit dem ersten Schritt. Die Strategie benennt Hebel,
       die direkt im Anschluss in Gesetze, Verordnungen, Förderrichtlinien
       gegossen werden müssen. Und das in direkter Verzahnung mit europäischem
       Recht.
       
       15 Oct 2024
       
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