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       # taz.de -- Altenheim-Kosten: Wenn Pflege zum Luxus wird
       
       > Ein Platz in einem Pflegeheim kostet im Schnitt mehr als 3.000 Euro
       > monatlich. Für viele Senior*innen und ihre Angehörigen ist das nicht
       > zu stemmen.
       
   IMG Bild: Bett, Nachttisch, Mondpreis
       
       Berlin taz | Die Partnerin von Alfred Bouß ist schwer dement. Jahrelang hat
       der 72-Jährige sie zu Hause selbst gepflegt – bis es nicht mehr ging. „Ich
       konnte sie nicht mehr alleine lassen, hätte ich nicht ständig aufgepasst,
       wäre sie gestorben. Ich hatte kein eigenes Leben mehr“, erzählt Bouß. Als
       die [1][Belastung zu groß wurde] und schließlich seine eigene Gesundheit
       dadurch beeinträchtigt wurde, versuchte er, sie in einem Pflegeheim
       unterzubringen.
       
       Von fünf Einrichtungen habe er Absagen bekommen, weil seine Partnerin zu
       krank sei, erzählt Bouß. Denn wie viele dementkranke Menschen büchste die
       72-Jährige auch schon mal aus, zweimal habe deswegen schon die Polizei
       gerufen werden müssen. Die Erleichterung war also groß, als er einen freien
       Platz im Seniorenheim [2][„Haus Sonne“ in Lichterfelde] fand.
       
       „Das Haus ist sehr schön und hell und hat einen großen Garten“, erzählt
       Bouß. Das hat auch seinen Preis: Mehr als 3.100 Euro Eigenanteil kostete
       der Platz – pro Monat. Seit anderthalb Jahren lebt seine Partnerin nun
       dort.
       
       Doch dann kam der Schock: 800 Euro mehr soll Bouß künftig bezahlen, also
       insgesamt 3.900 Euro. Bei anderen Bewohner*innen ist es sogar noch
       mehr: Um bis zu 1.033 Euro wurden die monatlichen Kosten für das Pflegeheim
       erhöht, wie der Betreiber auf taz-Anfrage mitteilt.
       
       ## Anstieg um 77 Prozent
       
       Viele Bewohner*innen beziehungsweise ihre Angehörige stellt das vor
       große Probleme. Alfred Bouß wollte das nicht hinnehmen und widersprach der
       Erhöhung.
       
       Bislang mit Erfolg: Für den Monat Oktober sei ihm noch der alte Betrag in
       Rechnung gestellt worden, sagt er. Eine endgültige Entscheidung über die
       Preiserhöhung steht noch aus, denn die Kostenträger, also die Pflegekasse
       AOK und das Land Berlin, müssen noch zustimmen.
       
       Denn die Pflegeversicherung bezahlt nur einen Grundbetrag, von den
       Krankenkassen gibt es noch eine Pauschale, und den Rest müssen die
       Bewohner*innen beziehungsweise ihre Angehörigen stemmen – oder der
       Staat über die Sozialhilfe.
       
       Und diese Zuzahlungen sind nicht gerade wenig – und werden immer mehr: Laut
       einer [3][Erhebung der AOK] lag der Eigenanteil im Jahr 2017 bundesweit
       noch bei 1.752 Euro. Im Juni dieses Jahres waren es satte 3.099 Euro – ein
       Anstieg um rund 77 Prozent.
       
       ## Steigende Kosten werden weitergegeben
       
       Berlin liegt dabei mit durchschnittlich 3.146 Euro über dem
       Bundesdurchschnitt auf Platz fünf. Am teuersten ist es im Saarland mit
       3.608 Euro, am „günstigsten“ in Sachsen-Anhalt mit 2.602 Euro.
       
       Als Grund für die steigenden Kosten geben die Betreiber allgemeine
       Preissteigerungen an, während die Leistungen von der Pflegekasse
       stagnierten. Auch der Betreiber vom Haus Sonne verweist auf Mehrkosten in
       den Bereichen Personal, Energie und Lebensmittel.
       
       „Die Eigenanteilserhöhung liegt im Rahmen des Branchenüblichen“ und sei mit
       Blick auf die ausgebliebenen Pflegesatzerhöhungen im vergangenen Jahr
       „unvermeidbar“, so ein Unternehmenssprecher zur taz.
       
       Für Pascal Bading von der Verbraucherzentrale Berlin ist die Erhöhung
       allerdings „außergewöhnlich hoch“. Er fordert, dass die Betroffenen oder
       ihre Angehörigen bei den Verhandlungen um Pflegesatzerhöhungen als
       Vertragspartner mit am Tisch sitzen.
       
       ## Pflegereform lässt auf sich warten
       
       Denn für viele sind solche Summen nicht zu stemmen. „Mit einer normalen
       Rente ist das nicht bezahlbar“, sagt die ehemalige Sozialsenatorin Elke
       Breitenbach, Sprecherin für Pflege bei der Linksfraktion, zur taz. Zumal
       die Kosten weiter steigen dürften: „Pflegeheime haben einen enormen
       Investitionsbedarf, vor allem wenn man an den [4][Hitzeschutz denkt]“, so
       Breitenbach mit Blick auf den Klimawandel.
       
       Sie fordert, dass künftig die Länder die Investitionskosten tragen – und
       nicht die Angehörigen. Zumal die Staatskasse ohnehin belastet werde, denn
       wer sich die Heimkosten nicht leisten kann, muss Sozialhilfe beantragen. Im
       Schnitt liegen die Investitionskosten in Berlin derzeit bei 402 Euro. Im
       Fall des Pflegeheims in Lichterfelde sind es sogar 1.521 Euro pro Monat –
       das sind 50 Euro pro Tag.
       
       Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat angesichts der
       gestiegenen Pflegekosten angekündigt, zeitnah einen [5][Vorschlag für eine
       Pflegereform] vorzulegen. Breitenbach hat bereits einen konkreten
       Vorschlag: Eine solidarische Pflegeversicherung, in die alle einzahlen.
       Denn Beamt*innen müssen derzeit nicht in die gesetzliche
       Pflegeversicherung einzahlen.
       
       ## Bedarf wächst, doch Einrichtungen müssen schließen
       
       Laut Senatsgesundheitsverwaltung gibt es in Berlin insgesamt rund 186.000
       Pflegebedürftige. Davon werden etwa 15 Prozent in einem Pflegeheim betreut.
       Gut die Hälfte wird zu Hause durch Angehörige gepflegt, ein weiteres
       knappes Viertel mit Unterstützung durch ambulante Pflege- und
       Betreuungsdienste. Laut Prognosen wird die Zahl der Pflegebedürftigen bis
       2030 auf rund 205.000 ansteigen.
       
       Doch statt mehr Plätze in Pflegeheimen werden es weniger: So mussten im
       vergangenen Jahr in Berlin 13 Einrichtungen schließen. Häufige Ursachen
       dafür sind laut Senatsgesundheitsverwaltung Personalmangel, auslaufende
       Mietverträge oder Umwidmungen in andere Wohnformen.
       
       Der Berliner Senat setzt hier auf eine Verstärkung der Ausbildung in den
       Pflegeberufen sowie auf eine einfachere Anerkennung von Fachkräften mit
       ausländischem Abschluss. Außerdem setze man sich auf Bundesebene dafür ein,
       dass die Ausbildungskosten nicht mehr von den Pflegebedürftigen getragen
       werden müssen, sondern aus der Umlage herausgenommen werden, so ein
       Sprecher der Gesundheitsverwaltung zur taz. „Pflegebedürftigkeit wird durch
       die steigenden Eigenanteile zunehmend zum Armutsrisiko“, so
       Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD).
       
       28 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Alter-und-Gesellschaft/!5455803
   DIR [2] https://www.haus-sonne-berlin.de/
   DIR [3] https://career.wido.de/fileadmin/Dateien/Dokumente/Forschung_Projekte/Pflege/Finanzierung_06_2024/wido_pfl_abb1_pflegefinanzierung_30.06.2024_07_2024.png
   DIR [4] /Sommerserie-Im-Schatten-6/!6031528
   DIR [5] /Pflegeversicherung-unter-Druck/!6041134
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marie Frank
       
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