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       # taz.de -- Staatshaushalt in Großbritannien: Mehr einnehmen, mehr ausgeben
       
       > Großbritanniens neue Labour-Regierung präsentiert ihren ersten Haushalt.
       > Steuern und Abgaben steigen deutlich, öffentliche Investitionen aber
       > auch.
       
   IMG Bild: Hier steht alles drin: Finanzministerin Rachel Reeves mit dem roten Aktenkoffer, in dem der neue Staatshaushalt liegt
       
       London taz | Im schwarzen Hosenanzug mit lila Bluse, daran die
       traditionelle rote Ansteckblume zur Erinnerung an britische
       Weltkriegsgefallene und dem traditionellen roten Aktenkoffer ihres Amtes
       hat die britische Finanzministerin Rachel Reeves am Mittwoch im Unterhaus
       ihren lang erwarteten Haushalt vorgestellt: ein großes Paket von
       Investitionen, Steuern und Sparmaßnahmen. [1][Der erste
       Labour-Staatshaushalt seit März 2010] soll „ein Jahrzehnt der nationalen
       Erneuerung einläuten, die Fundamente reparieren und Veränderung
       herbeiführen“, sagte sie.
       
       Der Haushalt schraubt die Steuerlast der Briten auf die höchste seit 1948
       und die Staatsquote auf über 44 Prozent. Bereits am Montag hatte
       [2][Premierminister Keir Starmer] „harte Entscheidungen“ angekündigt,
       „darunter erhöhte Steuern, um eine neue Austerität zu verhindern und
       stattdessen die öffentlichen Dienste wiederaufzubauen“. Der Umfang der
       Steuer- und Abgabenerhöhungen beträgt 40 Milliarden Pfund (rund 48
       Milliarden Euro) pro Jahr, über die Hälfte davon entfällt auf deutlich
       höhere Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitgeber.
       
       Zur Rechtfertigung sprach Reeves von schweren aber notwendigen
       Entscheidungen, da die vorherige konservative Regierung ein Haushaltsloch
       von 22 Milliarden Pfund (gut 26 Mrd. Euro) hinterlassen hätte. Davon
       spricht Labour schon seit Regierungsbeginn, wobei die Konservativen diese
       Zahlen vehement bestreiten. Labour habe „die Zahlen manipuliert“, rief
       Oppositionsführer und Ex-Premier Rishi Sunak in seiner Replik auf Reeves.
       
       ## „Mehr Pfund in den Taschen der Menschen“
       
       Immer wieder wiederholte Reeves ihr Versprechen von Wachstum, Stabilität,
       Wirtschaftsfreundlichkeit, Disziplin und Verantwortung. Man wolle gegen
       Betrug, Steuerhinterziehung und Verschwendung vorgehen und sicherstellen,
       dass jeder Penny Steuergeld weise ausgegeben werde.
       
       „Mehr Pfund in den Taschen der Menschen. Ein Gesundheitssystem, das bereit
       steht, wenn Du es brauchst. Eine Wirtschaft, die wächst, die Wohlstand und
       Chancen für alle schafft“, versprach sie in einem äußerst selbstsicheren
       Ton. Im Echo von Tony Blairs Mantra „Bildung, Bildung, Bildung“ appellierte
       sie: „Investieren, investieren, investieren.“
       
       Die Kreditaufnahme im kommenden Haushaltsjahr steigt auf 40 Milliarden
       Pfund, fast doppelt so viel wie bisher angesetzt. Die Regierung muss
       nämlich mehr Geld in das marode staatliche Gesundheitssystem NHS stecken,
       ins Bildungswesen und ins Justizsystem.
       
       ## Arbeitnehmer:innen rutschen in höhere Steuerklassen
       
       Öffentliche Investitionen von über 100 Milliarden Pfund über fünf Jahre
       soll es geben, dazu gehört ein milliardenschweres Förderprogramm für den
       Wohnungsbau und ein Nationaler Vermögensfonds („National Wealth Fund“) in
       einem Umfang von 5,8 Mrd. Pfund für Investitionen in grüne Technologie und
       Projekte. Im Juli waren dafür noch 7,3 Milliarden vorgesehen gewesen.
       
       Der Haushalt ist seit Wochen Thema intensiver Vorabberichterstattung und
       Debatten. Zentrales Thema war und ist die Auslegung des
       Labour-Wahlversprechens, keine Steuern für arbeitende Menschen zu erhöhen.
       Reeves Haushalt erhöht nun tatsächlich weder die Mehrwertsteuer noch die
       Einkommensteuer noch die Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitnehmer.
       
       Da aber die Einkommensgrenzen für höhere Steuersätze für die nächsten vier
       Jahre eingefroren bleiben, rutschen immer mehr Arbeitnehmer:innen in
       höhere Steuerklassen. Der gesetzliche Mindestlohn aber steigt, die
       Einkommensobergrenze für den Bezug von Pflegebeihilfen wird deutlich
       angehoben.
       
       ## Haushaltsprüfbehörde: Haushalt werde Inflation erhöhen
       
       Härten gibt es an anderen Stellen, oft bereits vorab angekündigt: Die
       Obergrenze für eine Busfahrt im öffentlichen Nahverkehr steigt von zwei auf
       drei Pfund, die bedingungslose allgemeine Heizkostenbeihilfe für Rentner
       wird abgeschafft, die Kindersozialhilfe auf zwei Kinder pro Haushalt
       beschränkt. Das alles trifft insbesondere ärmere Bevölkerungsschichten
       Wohlhabendere werden unter anderem durch höhere Kapitalertragssteuern
       getroffen.
       
       Für viele Unternehmer:innen sieht all dies nicht unbedingt wie ein
       Plan für mehr Wirtschaftswachstum aus. Noch während Reeves sprach,
       veröffentlichte die unabhängige Haushaltsprüfbehörde OBR (Office for Budget
       Responsibility) ihren [3][Wirtschaftsausblick 2024], der ein unerwartet
       kritisches Urteil fällt. Der Haushalt werde die Inflation erhöhen und „die
       Wirtschaftsleistung kurzzeitig ankurbeln, das BIP aber in fünf Jahren
       weitgehend unverändert lassen“, heißt es darin.
       
       30 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.gov.uk/government/publications/autumn-budget-2024
   DIR [2] /Machtwechsel-in-Grossbritannien/!6021801
   DIR [3] https://obr.uk/efo/economic-and-fiscal-outlook-october-2024/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
       
       ## TAGS
       
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