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       # taz.de -- „Achtsam morden“ auf Netflix: Mit Awareness Blutvergießen
       
       > Jetzt kontrolliert atmen: Der Welterfolg „Achtsam morden“ erscheint als
       > Serie – mit Tom Schilling. Sie ist eine Mischung aus Parodie und
       > Didaktik.
       
   IMG Bild: Erfolgreich, mörderisch und ganz bei sich: Björn Diemel (Tom Schilling)
       
       Es gibt Bücher, die einen solchen Hype auslösen, wie ihn niemand hätte
       antizipieren können: Das Konzept, morden und Achtsamkeit zu einem
       schwarzhumorigen Krimi zu verbinden, ist eine waghalsige Idee, die genauso
       im Meer der nicht weiter beachteten Bücher hätte untergehen können. Das
       Gegenteil ist eingetreten: [1][Karsten Dusses Buchreihe „Achtsam morden“]
       wurde zum Weltbestseller, in 26 Sprachen übersetzt und allein im
       deutschsprachigen Raum anderthalbmillionen Mal verkauft. Das achtsame
       Märchen ging weiter: Mittlerweile sind fünf Bücher der Reihe erschienen, in
       denen auch das innere Kind und Heilfasten mit Gewaltverbrechen kombiniert
       werden. Ab dem 31. Oktober zeigt [2][Netflix] die Verfilmung des
       Debütbandes als echten deutschen Exporterfolg weltweit.
       
       Björn Diemel ([3][Tom Schilling]) ist erfolgreicher Anwalt und lebt mit
       Frau Katharina ([4][Emily Cox]) und Tochter Emily im glanzvollen Eigenheim
       ohne viel Zeit für Privatleben. „Auch wenn unsere Liebe noch nicht ganz
       erloschen war, hatten wir diese zarte Pflanze beim Umtopfen in den großen
       Familientopf zu wenig gepflegt. Es ging uns so wie vielen erfolgreichen
       Jungfamilien: scheiße.“ So stellt Björn zu Beginn der Serie schon mal die
       Grundsituation dar. Katharina sieht nur eine Chance auf Rettung: Björn muss
       achtsam werden.
       
       Sein Coach (Peter Jordan) führt Björn also in einem lichtdurchfluteten Raum
       bei grünem Tee in die Geheimnisse der Lehre ein, praktiziert Gehmeditation
       mit ihm und entlässt einen im Hier und Jetzt lebenden Björn – der dann doch
       irgendwie zum Mörder wird, um seinen Familienfrieden zu bewahren. Erstes
       Opfer ist Mafia-Boss Dragan, den Björn anwaltlich betreuen musste und der
       sein neues Glück zu zerstören drohte. Bei einem Mord bleibt es nicht und
       Björn wird schneller zum Serienmörder als er „Meditation“ sagen kann.
       
       ## Mindful Murderer
       
       Von Achtsamkeit ist Björn zu diesem Zeitpunkt schon so überzeugt, dass die
       Philosophie auch sein Vorgehen als Mörder bestimmt – er wird zum mindful
       murderer, der tote Körper ruhig mit konzentrierter Atmung zerlegt. „Wenn
       ich einen Fluchtwagen fahre, fahre ich einen Fluchtwagen“, wird sein
       Mantra, und natürlich führt er alle Verbrechen im Single-Tasking aus. „Bist
       du erkältet? Du atmest so komisch“, wird er gefragt. „Ich atme bewusst“,
       erwidert Björn und mordet weiter.
       
       Der Serie unter Regie von Martina Plura und Max Zähle und Head-Autor Doron
       Wisotzky gelingt immer wieder eine gleichermaßen scharfzüngige wie lustige
       Gegenwartsdiagnose, etwa dann, wenn die Sorgen und Nöte moderner Eltern
       parodiert werden: Ein Kita-Platz wird zur wirkungsvollsten Bestechung der
       alleinerziehenden Kommissarin.
       
       Ein immersives Erlebnis ohne Längen wird die Serie vor allem auch, weil
       Björn die vierte Wand immer wieder durchbricht, als personale Erzählstimme
       seine innere Entwicklung und seine äußeren Verirrungen selbst kommentiert.
       Auch die erstaunliche Gleichzeitigkeit von einer sarkastischen Überführung
       des omnipräsenten Achtsamkeitskonzeptes einerseits und einem faktischen
       Lernerfolg auf Zuschauerseite von Grundkonzepten der buddhistischen Lehre
       andererseits ist bemerkenswert – Parodie und Didaktik arbeiten hier so eng
       zusammen wie die Meditationsmatte mit dem Bodyscan.
       
       Teils äußerst platter Humor bezüglich der „politisch korrekten Linken“ mit
       ihren selbst gestrickten Pullovern und eine höchst stereotype Darstellung
       der Mafia-Gang sind wiederkehrende Entgleisungen der Serie, die den
       Schauspaß deutlich mindern. Dennoch wird sich die Zuschauerschaft dabei
       erwischen, wie sie selbst auch an der nächsten roten Ampel nicht aufs Handy
       schaut, sondern tief einatmet – und damit hat die Serie irgendwie schon
       gewonnen.
       
       „Achtsam morden“, acht Folgen, ab 31. Oktober auf Netflix
       
       30 Oct 2024
       
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