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       # taz.de -- Retrospektive von Ewald Mataré: Vom Pazifismus der Kuh
       
       > Verfolgt von den Nazis und fast vergessen: Der Bildhauer Ewald Mataré.
       > Die Nachkriegs-BRD liebte seine Tierskulpturen, wiederzusehen in Kleve.
       
   IMG Bild: Glatt und gerundet sind viele Kühe Matarés wie diese „Grasende Kuh I“ von 1930
       
       Der kürzlich [1][verstorbene Ausstellungsmacher Kasper König] war dafür
       bekannt, kein Problem mit einer unpopulären Meinung zu haben. So verkündete
       er in seiner Zeit als Direktor des Kölner Museums Ludwig mehrfach, dass
       seine Lieblingsskulptur in direkter Nähe des Doms stehe. Wobei es „stehen“
       nicht trifft: Der Taubenbrunnen liegt vielmehr.
       
       Das Brunnenensemble aus der Hand des Bildhauers Ewald Mataré (geb. 1887 in
       Aachen, gest. 1965 in Meerbusch) besteht nur aus dem Nötigsten: Ein
       Basaltquader mit Eisendeckel dient als Auslass für das Wasser, das dann in
       einer nur wenige Zentimeter hohen metallenen Wanne spiralförmig nach innen
       fließt. Das Ganze ist von einem flachen Mosaik umfriedet, der
       Gesamtdurchmesser des Brunnens beträgt lediglich 5,40 Meter. Damit erhebt
       sich die Brunnenanlage kaum über das Straßenniveau, wirkt eher wie ein
       Stolperstein.
       
       Mataré beschrieb die Einweihung 1953 in seinem Tagebuch: „[E]ine reizende
       kleine frohgemute Angelegenheit“, und er fuhr fort: „Ein Musiker spielte
       die erste Strophe von ‚La Paloma‘, dann wurde die Hülle vom Mosaikboden
       entfernt, und als das erste Wasser in drei kleinen Strahlen das kleine
       Becken gefüllt hatte, […] erklang die zweite und dritte Strophe […].“
       
       Die Bedeutung dieses Ereignisses lässt sich aus der drolligen Ausführung
       nicht wirklich erschließen, dabei ist diese „Trinkgelegenheit für die
       Domtauben“ der erste Brunnenbau in Köln nach dem Ende des Zweiten
       Weltkriegs. Das Thema nicht zufällig: La Paloma, also die Taube, stand
       nicht erst seit der Popularisierung durch [2][Pablo Picasso als Symbol für
       den Frieden].
       
       Für Mataré waren Tiere wie Steinböcke, Muscheln oder Pferde nicht bloß
       Lebewesen, sondern stets mit Bedeutung aufgeladen. Die formalen wie die
       inhaltlichen Aspekte exerzierte er gleich hundertfach an Kühen, die bei ihm
       in Drucken und als Skulpturen Verewigung fanden.
       
       Während die eine Kuh geradezu naturalistisch gearbeitet wurde, zeigen sich
       andere als glatte, runde, fauvistische Kunstkörper. Dann löste Mataré die
       Wiederkäuer in ihre geometrischen Grundformen auf, wonach sie sich als
       pyramiden- und würfelhafte Ansammlungen zeigten. Diese Spannweite und den
       ganzen „Kosmos Ewald Mataré“ versucht eine aktuelle Ausstellung gleichen
       Namens im niederrheinischen Museum Kurhaus Kleve aufzuzeigen.
       
       Das Museum ist seit seiner Gründung 1997 in einem klassizistischen Badehaus
       des ehemaligen Kurorts Kleve untergebracht und widmet sich nun auf drei
       Geschossen und auf 24 (!) Galerien verteilt dem Œuvre und Leben des
       Künstlers, dessen Bedeutung erst in den letzten Jahrzehnten wieder stärker
       ins Bewusstsein gerückt wurde.
       
       Daran hat vor allem der niederländische Kunsthistoriker Guido de Werd
       Anteil, der seit den 1970er Jahren in enger Zusammenarbeit mit Sonja
       Mataré, der Tochter Ewald Matarés, das Werk in Kleve sammelte und
       aufarbeitete. Nach dem Tod von Sonja Mataré wurde de Werd Alleinerbe der
       über 1.200 Werke umfassenden Sammlung, von der er große Teile dem Museum
       Kurhaus Kleve schenkte.
       
       Mitunter sind unerwartete Funde darunter: Etwa die noch preußisch-strengen
       Anatomieskizzen und Frühwerke Matarés, die so gar nichts mit der Moderne zu
       tun haben, sondern sich mit gekonntem Strich, wohl aber altbacken am
       Historismus und (Spät-)Realismus orientieren. Entstanden sind sie noch in
       Aachen und vor allem in Berlin, wohin es ihn 1907 trieb und wo er bei
       [3][Lovis Corinth lernte], bevor er sich von dessen Stil zunehmend
       frustriert fühlte.
       
       Stattdessen stieß Mataré bereits 1920 das Tor zur Moderne weit auf und
       wühlte sich durch Bildwelten dieser neuen Zeit: Die piktogrammhafte
       Reduktion der Rheinischen Progressiven um Gerd Arntz und Heinrich Hoerle
       verband er mit den strengen [4][geometrischen Formbildung des Bauhaus]es,
       das er mehrfach besuchte. An anderer Stelle experimentierte er mit dem
       synthetischen Kubismus eines Constantin Brâncuși und eines Picasso. Aus
       alledem entwickelte Mataré einen eigenen Stil, der nur mit wenigen
       Schwüngen oder Halbkreisen Kühe oder Küstenlandschaften darstellen konnte.
       
       ## Seelenbalsam für die deutsche Nachkriegsgesellschaft
       
       Besonders deutlich wird dies in seinem (druck)grafischen Werk. Matarés
       Erfolg beruht jedoch nach wie vor auf seinen Skulpturen, die ihn in den
       1920er Jahren neben Ernst Barlach und Käthe Kollwitz berühmt machten. Seine
       Skulpturen und Denkmäler – wie das des „Toten Soldaten“ in Kleve – belegen,
       wie sehr bei allen dreien die Schrecken des Ersten (und bei Mataré dann
       auch des Zweiten) Weltkriegs zu einem humanitären, manchmal religiösen
       Pazifismus geführt haben, der sie wiederum zur Zielscheibe
       nationalsozialistischer Propaganda werden ließ.
       
       Mataré selbst wurde bereits 1933, nur sieben Monate nach seiner Berufung,
       als Professor an der Düsseldorfer Akademie entlassen, seine Skulpturen als
       „entartet“ verfemt und in den Wanderausstellungen der Nazis als Exempel für
       den angeblich „kranken Geist der Moderne“ gezeigt. Mithilfe kirchlicher
       Auftraggeber konnte er sich im inneren Exil über Wasser halten. Erst nach
       dem Ende der Nazidiktatur begann eine zweite Blütezeit, und seine
       eindrucksvollen Arbeiten im öffentlichen Raum formten das Bild der BRD
       nachhaltig.
       
       In den ersten beiden Jahrzehnten nach der NS-Diktatur füllt sich das
       Auftragsbuch, er wird zu einem der bedeutendsten Künstler im
       Nachkriegsdeutschland, insbesondere im neu gegründeten Bundesland
       Nordrhein-Westfalen. Seine Entwürfe für Soldatenfriedhöfe,
       Kirchenausstattungen und Brunnen waren der antinazistischen Moderne
       verpflichtet: Avantgardistisch, aber nicht aufrührerisch. Ihre
       pazifistische, und auch katholische Ruhe war der Seelenbalsam einer
       deutschen Nachkriegsgesellschaft, die noch gebeutelt war von der selbst
       entfachten Unmenschlichkeit einige Jahre zuvor. Später wurde seine Kunst
       aber auch deshalb als piefig empfunden.
       
       Mataré sollte auch bald an die Düsseldorfer Kunstakademie als Professor
       berufen werden, sollte sie sogar als kommissarischer Direktor leiten, was
       aber an einem Konflikt mit der Regionalregierung scheiterte: Mataré wollte
       keine Nazis unter den Professoren wissen, der Staatsapparat sah das anders.
       Also widmete sich Mataré dort allein der Lehre, zu seinen erfolgreichsten
       Schüler wurden [5][Erwin Heerich] und [6][Joseph Beuys].
       
       All das thematisiert „Kosmos“ mit Hunderten Exponaten. Trotz dieser
       unfassbaren Masse an Objekten, Fotos und Kunstwerken werden die
       Besucher*innen nicht erschlagen, man will sich immer tiefer
       hineinbegeben in dieses beeindruckende Werk und Dokument der frühen BRD.
       
       31 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
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