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       # taz.de -- Schlagzeugerin Sun-Mi Hong: Wie ein fließender, seidiger Stoff
       
       > Schlagzeug spielen als Mädchen? Die Südkoreanerin Sun-Mi Hong musste
       > Widerstände überwinden. Beim Jazzfest stellte sie ihr BIDA Orchestra vor.
       
   IMG Bild: Sun-Mi Hong bei einem Auftritt mit ihrem Quintett im Berliner A Trane im November 2022
       
       Es ist bereits dunkel in Seoul, als die südkoreanische Schlagzeugerin und
       Komponistin Sun-Mi Hong zum Zoom-Interview in der Küche ihres
       Airbnb-Studios sitzt. Sie kommt gerade von den Proben mit ihrem Quintett,
       mit dem sie in einem Pop-Up-Space einige Konzerte spielen wird, bevor sie
       zurück nach Amsterdam fliegt. Sieben Stunden Zeitverschiebung. Dort lebt
       sie seit 2012 und spielt im Umfeld der frei improvisierten Musikszene.
       
       Beim diesjährigen Berliner Jazzfest ist sie mit ihrem neuen Ensemble BIDA
       Orchestra aufgetreten, das sie für ein Auftragswerk des Amsterdamer Bimhuis
       gegründet hat.
       
       Die Jazzszene in Südkorea sei eher traditionell, erzählt sie. Clubs wie
       „Evans“ oder „All That Jazz“ im Hongdae-Viertel seien beliebt, aber Orte
       für frei improvisierte Musik müsse man DIY organisieren, da diese Art Jazz
       in Korea nicht üblich sei.
       
       Mitgereist ist ihr langjähriger musikalischer und Lebenspartner, der
       schottische Trompeter und Komponist Alistair Payne, den sie während ihres
       Studiums am Konservatorium in Amsterdam kennenlernte. Bis dahin war es ein
       weiter Weg, aus der Unfreiheit eines geschlossenen Gesellschaftssystems bis
       hin zum Eintauchen in die freie Improvisation in Europa.
       
       Sun-Mi Hong wird 1990, drei Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur, in
       Incheon geboren, der zweitgrößten Stadt Südkoreas. Es sei eine schwierige
       Kindheit gewesen, erinnert sie sich. „Meine Eltern haben unter der
       politischen und wirtschaftlichen Unsicherheit gelitten und 1998 folgte die
       Finanzkrise mit vielen Entlassungen.“
       
       ## Schweigen über Politik
       
       Dazu kam ein großes Schweigen. „Über politische und gesellschaftliche
       Themen wurde nicht gesprochen, es gehörte sich nicht. Mein Vater verließ
       bei Fragen einfach den Raum.“ Sie habe sich nach ihrem Umzug in die
       Niederlande darin üben müssen, etwas zu fragen oder sogar infrage zu
       stellen.
       
       Die Familie ihrer Mutter ist streng religiös und so verbringt sie mit ihren
       beiden Geschwistern den Großteil ihrer Kindheit in der protestantischen
       Kirche, singt Kirchenlieder und spielt Klavier in der Band, welche die
       Gottesdienste begleitet. Sie möchte [1][lieber Schlagzeug spielen], die
       Energie und Kraft des Instruments faszinieren sie, doch ihre Eltern sind
       zunächst dagegen.
       
       „Für sie gehörte es sich nicht, dass ein Mädchen Schlagzeug spielt“,
       erzählt sie. Der Wunsch des Vaters ist, dass sie Lehrerin wird. Erst mit 17
       Jahren beginnt sie schließlich mit dem Schlagzeugspielen, zunächst in der
       Kirche.
       
       Sobald sie volljährig ist, spielt sie zusätzlich in einem Kasino und bei
       Hochzeiten, um Geld für den Unterricht am Konservatorium von Seoul zu
       verdienen. Unter der Bedingung, dass sie Musikschullehrerin werde,
       unterstützen die Eltern schließlich ihre Ausbildung.
       
       Sexismus an der Hochschule 
       
       Zum Jazz kommt sie durch einen Kommilitonen, der ihr Platten vorspielt. Sie
       lernt andere kennen, die von ihrem Studium in Amsterdam erzählten, und
       beschließt, sich ebenfalls dort zu bewerben. Auch wegen Sexismuserfahrungen
       an ihrer Hochschule in Seoul.
       
       Sie ist 19 Jahre alt und die einzige Frau in ihrer Schlagzeugklasse. „Das
       war einer der Hauptgründe, warum ich aus Korea weggezogen bin. Ich wurde in
       dieser Zeit sehr verletzt, also musste ich aus dem Land wegziehen. Ich
       konnte damit nicht mehr umgehen. Die Lehrer nutzten ihre Machtposition aus
       und auch, dass in der koreanischen Gesellschaft der Respekt vor den Älteren
       gilt.“
       
       Ihr großes Vorbild ist der Schlagzeuger Brian Blade. „Es war die Art und
       Weise, wie er spielt, sein Anschlag war völlig anders als das, was ich im
       Schlagzeugunterricht gelernt hatte. Am Konservatorium in Korea hatte ich
       einen sehr strengen Lehrer, der verlangte, dass ich wie ein Mann spiele.
       
       Also nahm ich zu und machte Muskeltraining, nur um stärker zu werden und
       das Schlagzeug richtig hart anzuschlagen. Aber als ich Brian Blade spielen
       sah, war er einfach ganz er selbst. Er ist ein Mann, aber er spielt nicht
       wie ein Mann. Das hat meine Sichtweise auf das Berühren oder Schlagen des
       Schlagzeugs verändert, plötzlich gab es mehr Perspektiven auf das
       Instrument.“
       
       Das koreanische Wort „Bidan“ 
       
       Für das BIDA Orchestra hat sie sechs Musiker*innen zusammengebracht,
       mit denen sie schon lange habe spielen wollen. Darunter die dänische
       Altsaxofonistin Mette Rasmussen und der belgische Pianist Jozef Dumoulin.
       Der Name „BIDA“ komme von dem koreanischen Wort „Bidan“ für einen
       fließenden, seidigen Stoff. Das sei das Bild gewesen, das sie für die Musik
       des Ensembles habe. Die Musik beziehe sich auf ihre wiederkehrenden
       düsteren und dystopischen Träume, noch aus der Zeit ihrer Kindheit.
       
       „Für mich“, sagt sie, „ist diese Musik die Möglichkeit, mich auszudrücken
       und aus diesen Träumen zu flüchten. Sie ist Freiheit.“
       
       1 Nov 2024
       
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