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       # taz.de -- Frank-Walter Steinmeier in Griechenland: „Ich empfinde Entsetzen und Scham“
       
       > Frank-Walter Steinmeier besucht als erstes deutsches Staatsoberhaupt
       > Kreta und wird mit Kriegsverbrechen und Entschädigungsforderungen
       > konfrontiert.
       
   IMG Bild: In Kandanos auf Kreta konfrontieren Überlebende und ihre Nachkommen den Bundespräsidenten mit der Forderung nach Entschädigung
       
       Athen taz | Der wohl heikelste Teil [1][seiner Griechenlandreise] beginnt
       für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag, dem letzten Tag
       seines dreitägigen Besuches, im Dorf Kandanos auf Kreta. Hier legt er
       zunächst am Denkmal für die Toten von Kandanos einen Kranz nieder. Die
       Wehrmacht hatte den Ort am 3. Juni 1941 aus Vergeltung völlig zerstört.
       
       Dass Steinmeier nach Kandanos gekommen ist, hat große Symbolkraft. Erstmals
       stattet ein deutscher Bundespräsident Kreta einen offiziellen Besuch ab. Er
       findet an diesem warmen letzten Oktobertag unter drakonischen
       Sicherheitsvorkehrungen statt: Polizeikräfte sind in der Gegend verstreut,
       Autos werden vom Dorfplatz entfernt.
       
       Anwesend sind Kretas Regionalgouverneur, Parlamentsabgeordnete,
       Bürgermeister aus ganz Kreta, Vertreter der griechischen Streitkräfte und
       Organisationen, die Entschädigungen für die Gräueltaten der Deutschen in
       der Besatzungszeit fordern.
       
       Auf einem Transparent, das vier sehr alte Griechen halten, steht auf
       Griechisch, Deutsch und Englisch: „Gerechtigkeit und Entschädigung“.
       Steinmeier spricht mit Überlebenden. Sie sprechen ihn auf Wiedergutmachung
       an und auf die Gerechtigkeit, die für die deutschen Verbrechen geschaffen
       werden müsse.
       
       ## „Jetzt richten Sie uns zum zweiten Mal hin“
       
       „Ich will nicht die Hand des Schlächters ergreifen“, sagte der Nachkomme
       eines Überlebenden zu Steinmeier. Aus der Menge kommen Rufe nach
       Gerechtigkeit. „Vor achtzig Jahren haben Sie unsere Eltern hingerichtet.
       Jetzt richten Sie uns zum zweiten Mal hin“, ruft ein anderer Nachfahre
       eines NS-Opfers.
       
       Nach der Kranzniederlegung hält Steinmeier eine mit Spannung erwartete Rede
       in der Holocaust-Gedenkstätte von Kandanos. „Ich empfinde Entsetzen und
       Scham. Die Inschriften von Kandanos dokumentieren, wie rücksichtslos der
       deutsche Eroberungskrieg war. Ich besuche heute diesen Ort der deutschen
       Schande. Überall in Europa gibt es Orte wie diesen. Einige sind besser
       bekannt, andere sind vergessen. Deshalb ist es so wichtig, heute hier zu
       sein“, sagt Steinmeier. „Heute möchte ich im Namen Deutschlands um
       Vergebung bitten“, sagte er auf Griechisch.
       
       Eine große Geste. Mehr nicht. Über die griechischen Reparationsforderungen,
       am Mittwoch in Athen von seiner Gastgeberin, Staatspräsidentin Katerina
       Sakellaropoulou sowie [2][Premier Kyriakos Mitsotakis] vorgetragen,
       verliert er kein Wort.
       
       Warum genau Deutschland die Sache für „abgeschlossen“ hält, wie er am
       Mittwoch knapp erwiderte, wollte Steinmeier nicht ansatzweise erläutern.
       Das ist die konstante Taktik der deutschen Seite in der heiklen Causa
       griechischer Reparationsforderungen.
       
       ## Steinmeier setzt mit Zukunftsfonds auf Erinnerungspolitik
       
       Steinmeier setzt, die deutsche Position vertretend, auf eine
       Erinnerungspolitik. Dazu zählen im Fall Griechenland unter anderem ein
       sogenannter Zukunftsfonds. Das Prinzip: Mit deutschen Geldern werden
       Projekte zur Versöhnung und der Erinnerungskultur finanziert. Doch [3][wie
       Der Spiegel nun berichtet], drohen dabei nun in Griechenland und Italien
       „empfindliche Kürzungen“.
       
       Im laufenden Jahr habe die Bundesregierung laut Spiegel den
       deutsch-griechischen und den deutsch-italienischen Zukunftsfonds mit je
       einer Million Euro finanziert. Für 2025 sehe der Haushaltsplan des
       Auswärtigen Amts indes eine Kürzung um zwei Drittel auf je 300.000 Euro
       vor. Grund seien die Sparvorgaben von Bundesfinanzminister Christian
       Lindner (FDP).
       
       Donnerstagnachmittag besuchte Steinmeier noch ein Agrar- und
       Tourismusprojekt eines großen deutschen Reiseveranstalters.
       
       31 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Deutsch-griechische-Beziehungen/!6046052
   DIR [2] /Misstrauensvotum-in-Griechenland/!6001209
   DIR [3] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/weltkriegsverbrechen-deutsche-diplomaten-kritisieren-kuerzungen-bei-der-erinnerungskultur-a-79558d4f-a091-45ab-90f3-803b79aca913
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ferry Batzoglou
       
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