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       # taz.de -- Buchpreis 2024: Wer nominiert ist
       
       > Kurz vor Eröffnung der Frankfurter Buchmesse wird der Buchpreis
       > verliehen. Sechs Autor*innen sind nominiert. Die taz hat ihre Werke
       > rezensiert.
       
   IMG Bild: Die Nominierten: Martina Hefter, Iris Wolff, Markus Thielemann, Clemens Meyer, Ronya Othmann und Maren Kames (l-r)
       
       An diesem Dienstag wird der Deutsche Buchpreis verliehen. Sechs
       Autor*innen sind nominiert. Wer sind sie und was zeichnet ihre Werke
       aus?
       
       ## Iris Wolff: „Lichtungen“
       
       Die Schriftstellerin Iris Wolff erzählt ihren Roman „Lichtungen“ rückwärts.
       Die im Jahr 1977 in Hermannstadt geborene Autorin schaut mit jedem Kapitel
       weiter zurück in die Vergangenheit von Kato und Lev: Die beiden sind – was
       erst später im Text geschildert wird – in einem kleinen rumänischen Dorf
       aufgewachsen, gemeinsam zur Schule gegangen.
       
       Selbst wenn sich in diesem Buch die Vergleiche häufen, selbst wenn der
       Gedankenstrom mal wieder an „Lichtungen“ inmitten der erinnerten Dunkelheit
       vorbeiplätschert, ist es lesenswert, weil darin eben doch eine
       bemerkenswerte Vielstimmigkeit in der rumänischen und europäischen
       Vergangenheit lebendig wird, weil Iris Wolff Geschichten und Geschichte
       plausibel verschränkt. Der Roman zeigt anschaulich, was es bedeutet, wenn
       nationale Identitäten wieder zur Handlungsmaxime von Politik werden, wie
       schnell neu-alte Grenzen gezogen werden und die Menschen dann unter
       staatlichem Kontrollwahn zu leiden haben.
       
       Iris Wolff: „Lichtungen“. Klett-Cotta, Stuttgart 2024, 256 Seiten, 24 Euro 
       
       [1][Die komplette Rezension von Carsten Otte gibt es hier auf taz.de.] 
       
       ## Clemens Meyer: „Die Projektoren“
       
       Wenige Tage vor den Wahlen im Herbst 2024 in Ostdeutschland ist der neue
       Roman von Clemens Meyer erschienen – einem der bekanntesten
       zeitgenössischen Autoren Sachsens. Doch anders als in seinen vorherigen
       Werken, spielt die Heimat des Leipzigers ausgerechnet dieses Mal nur eine
       Randrolle.
       
       Mit „Die Projektoren“ legt ein dickes Ding vor: ein über 1.000 Seiten
       langes Epos, in dem es zwar auch um Halb-, Unter- und Zwischenwelten geht,
       in denen es nicht minder gewalttätig und tragisch zugeht, das aber
       vorwiegend in einem europäischen Land spielt, das es – wie die DDR, in der
       er geboren wurde – nicht mehr gibt: Jugoslawien.
       
       „Die Projektoren“ kann man als Roman lesen, der versucht, den Zufall
       wegzureden, dem ganzen Irrsinn von Faschismus, Mord, Grausamkeit, von
       Neonazis und Blutsprudel irgendeinen Sinn, irgendeinen vernünftigen Grund,
       irgendeine Rationalität abzuringen. Verwirrungen, Verwechslungen,
       Einbildung oder Einprägung? Jede Gewissheit, die es eine Zeitlang gibt,
       jede stringente Erzählung wird irgendwann eingeholt von der Verunsicherung,
       von der immer fragmentierteren Erinnerung.Clemens Meyer: „Die Projektoren“.
       S. Fischer, Frankfurt a. M. 2024, 1.056 Seiten, 36 Euro
       
       [2][Die komplette Rezension von Doris Akrap gibt es hier auf taz.de.] 
       
       ## Markus Thielemann: „Von Norden rollt ein Donner“
       
       Wie denkt also die Jugend auf dem Land? Eine Ahnung bekommt man davon im
       neuen Roman von Markus Thielemann. Der stellt in „Von Norden rollt ein
       Donner“ einen 19-jährigen Nachwuchsschäfer vor, der bei seinen Eltern auf
       einem Hof in der Lüneburger Heide lebt. In wenigen Sätzen schafft es
       Thielemann ein so typisch deutsches Stillleben zu zeichnen, dass man die
       Schritte des Cellesche Zeitung lesenden Großvaters ganz deutlich auf dem
       Vinylfußboden quietschen hört.
       
       Wie Jannes sein Mittagessen in einem der hölzernen Unterstände für
       Wandernde, im Herbst, im Regen, einnimmt, hat was Hoffnungsloses; während
       die Urlauber:innen längst wieder weg sind, hockt Jannes immer weiter im
       kargen Land.
       
       Was die westdeutsche Provinz betrifft, steht Thielemanns Roman ziemlich
       alleine da. Haben in der Vergangenheit Autoren wie Peter Kurzeck das Leben
       in Dorf und Kleinstadt minutiös vermessen, scheint das Landleben in den
       sogenannten alten Bundesländern heute nur noch auf wenig Interesse zu
       stoßen. Dabei fand das ostdeutsche Dorfleben in der Literatur zuletzt eher
       überproportional häufig statt. Oft hat darin eine Berlinerin genug vom
       Trubel der großen Stadt und sucht ihr Heil in Brandenburg. Das sie meist
       auch findet; neben rechtem Gedankengut zuhauf. Es ist wohl eher diese
       Ausgangslage, die Interesse weckt; der Osten und seine Probleme, nicht
       unbedingt das Dorf an sich.
       
       Markus Thielemann: „Von Norden rollt ein Donner“. C. H. Beck Verlag,
       München 2024, 287 Seiten, 23 Euro 
       
       Die komplette Rezension gibt von Julia Hubernagel gibt es bald in der
       literataz.
       
       ## Ronya Othmann: „Vierundsiebzig“
       
       Obwohl die Autorin Ronya Othmann als Tochter einer deutschen Mutter und
       eines kurdisch-êzîdischen, aber atheistischen Vaters keine Êzîdin im
       engeren Sinn ist (nur Kinder êzîdischer Paare gelten als solche), hat die
       30-Jährige den größten Teil ihres bisherigen Schreibens in den Dienst
       dieser von der Auslöschung bedrohten Menschen und der Bewusstmachung ihrer
       Tragödie gestellt – zuletzt in ihrem dokumentarischen Roman
       „Vierundsiebzig“, der den Genozid im Titel trägt.
       
       Ronya Othmann macht ihre Recherche zum Gegenstand, dokumentiert das Sammeln
       êzîdischer Überreste bei Reisen in den Irak und die Türkei, auf Besuch bei
       Verwandten und Fremden, in versehrten Dörfern, Flüchtlingscamps und Museen,
       bei Gerichtsprozessen in München und Frankfurt, beim Lesen, Fernsehen und
       Fotografieren mit Smartphone.
       
       Die Autorin dröselt die Verbrechen durch Mitschrift der Anhörungen nach und
       nach in ihrer ganzen Niedertracht auf; ihre eigenen Zigarettenpausen lassen
       auch der Leserin Raum für Entsetzen und Trauer. Überhaupt sind es die
       kleinen Alltagsschilderungen, die das in jeder Hinsicht unfassbare Material
       zusammenhalten.Ronya Othmann: „Vierundsiebzig“. Rowohlt, Hamburg 2024, 512
       Seiten, 26 Euro
       
       [3][Die komplette Rezension von Eva Behrendt gibt es hier auf taz.de.] 
       
       ## Martina Hefter: „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“
       
       Martina Hefter hat den erfolgreichsten Roman des Sommers geschrieben: „Hey
       guten Morgen, wie geht es dir?“ Darin macht sie schwere Themen leicht.
       
       Juno ist die Heldin von Martina Hefters neuem Roman „Hey guten Morgen, wie
       geht es dir?“. Und obwohl sie heißt wie eine römische Göttin (Gattin des
       Jupiter) oder eine nach der römischen Göttin benannten Raumsonde (umkreist
       den Jupiter), führt sie ein sehr irdisches Leben mit irdischen Problemen.
       Doch auch sie umkreist Jupiter, ihren Mann – ja, er heißt Jupiter –, ein an
       Multipler Sklerose erkrankter Schriftsteller.
       
       Martina Hefter, 59 Jahre alt, ist wie Juno im Allgäu aufgewachsen, generell
       haben die beiden mehr als nur ein paar biografische Eckdaten gemeinsam. Wie
       Juno zog Hefter irgendwann nach Leipzig, wie Juno geht sie regelmäßig zum
       Ballett und verdient ihr Geld unter anderem mit der Performancekunst.
       
       Martina Hefters Autofiktion ist insofern besonders, als ihr Trotz
       innewohnt. Denn als pflegende Angehörige bliebe ihr gar nichts anderes
       übrig, als auf den Stoff ihres Alltags zuzugreifen. Für alles andere fehle
       schlicht die Zeit. „Man kann das Trotz nennen oder auch Self-Empowerment“,
       sagt sie.
       
       Martina Hefter: „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“. Klett-Cotta,
       Stuttgart 2024. 224 Seiten, 22 Euro 
       
       [4][Das ganze Porträt der Autorin Martina Hefter von Leonie Gubela gibt es
       hier auf taz.de.] 
       
       ## Maren Kames: „Hasenprosa“
       
       Maren Kames reist mit „Hasenprosa“ in lichte Höhen und familiäre Tiefen.
       Beim Nachdenken über Phrasen im Krieg kracht es. Der Text ist eine
       sprachliche Installation, die mit der skurrilen „Weltmaschine“ des
       oststeirischen Bauern Franz Gsellmann zu vergleichen ist, der in einer
       alten Scheune ein in sich schlüssiges, aber auch schwer erklärbares
       Kunstwerk kinetischer Energie schuf. Schon mit „Luna Luna“ hat Maren Kames
       ein Buch vorgelegt, das sprachlich kaum einzugrenzen war.
       
       Die Autorin hat mit „Hasenprosa“ ein literarisches Kippbild geschrieben,
       das mit voller Absicht überfrachtet ist. Dazu gehören psychedelische Fotos
       und lustige Aufnahmen von Kakteen, die in dem Band genauso eingestreut sind
       wie Lyrics vom „Singengel Peter Gabriel“. Pathos und Ironie wechseln sich
       genauso ab wie Konkretes und Abstraktes, Komisches und Moralisches.
       Dementsprechend ist auch die Lektüre: nervtötend und beglückend zugleich.
       
       Mit ihrem Overkill der literarischen Mittel fängt die 1984 in Überlingen am
       Bodensee geborene Schriftstellerin die politische Stimmungslage der
       Gegenwart allerdings gut ein.
       
       Maren Kames: „Hasenprosa“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2024, 182 Seiten, 25
       Euro 
       
       [5][Die komplette Rezension von Carsten Otte gibt es hier auf taz.de.]
       
       14 Oct 2024
       
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