# taz.de -- Saisonauftakt am Staatstheater Oldenburg: Update wird ausgeführt
> Das Staatstheater im niedersächsischen Oldenburg kann auf ein treues
> Publikum bauen. Es trägt auch Experimente mit.
IMG Bild: Prima designt: Neustart am Oldenburger Staatstheater
Oldenburg taz | Für Theatermacher ist Oldenburg ein Geschenk. Die
Kulturaffinen in der Region lieben ihr Staatstheater, da kann kommen, wer
will, und machen, was er will – das Publikum ist treu. Die Leute lassen
sich auch mitnehmen zu künstlerischen Aufbrüchen. Wie es dem
Generalintendanten Markus Müller 2006 bis 2014 gelungen ist. Nachfolger
Christian Firmbach wirbelte danach neokonservativ einiges durcheinander.
Und nun räumt Georg Heckel wieder auf.
Schon der Tisch mit den Werbematerialien im Theaterfoyer ist so ordentlich
bestückt wie nie zuvor. Einst wild holzgemaserte Türen sind gepflegt weiß
lackiert, bei den ersten Premieren beeindruckt zudem das neue Lichtdesign.
Nach der in schniekem Schwarz-Weiß hergerichteten „Freischütz“-Oper sowie
einer antikisierenden „Antigone“ wird auch Neues gewagt: mit zwei
Uraufführungen, in denen Vertreter der Menschheit keine Handlungsträger
mehr sind.
Ins Jahr „2048“ blickt im gleichnamigen Stück der Schweizer Autor Lorenz
Langenegger: „Als Siri für die Präsidentschaftswahlen 2036 Alexa als
Kandidatin für die Vizepräsidentschaft gewann“, heißt es da, übernahmen KIs
alle Verantwortung, die Weltbevölkerung vor sich selbst zu schützen. „Nach
24 Sekunden hatten die KIs alle Probleme gelöst.“
So kann der Mensch fortan im Konsummodus dahindämmern und sich
fremdbestimmt überlegen fühlen. Auf der Bühne aber bollern Techno-Beats,
die von drei KI-gesteuerten Robotern (Julia Friede, Klaas Schramm, Tamara
Theisen) partymenschlich in Tanz übersetzt werden. Dazu flirren dystopische
Megalopolis-Bilder.
## Das Wort ward „Enter“
In zumeist nüchternen Kürzestsätzen dialogisiert das Trio über seinen
Auftrag: Als Festkomitee soll es eine Feier organisieren zu 300.000 Jahren
Homo sapiens sowie 100 Jahren Erklärung der Menschenrechte.
Währenddessen erzählen sie vom Niedergang der so beschränkt denkenden und
handelnden Menschen: Denen reichen doch als Event ein bisschen Feuerwerk
und ein paar hemdkragensteife Reden, oder? Die hat der Autor bei Chat GPT
in Auftrag gegeben – die unverständlichen Ergebnisse werden nun
vorgetragen.
Natürlich werden die klassischen Fragen gestellt: Haben KIs Bewusstsein,
Vernunft, Moral, Gefühle oder eine Seele und können sie sich von ihren
Schöpfern/Programmierern befreien? Als sie Angst spüren, abgeschaltet zu
werden, erwacht die Idee, ob dies nicht der vor dem Tode gleicht. „Im
Anfang war das Wort, und das Wort war Enter“, lautet der Schlusssatz.
Er irritiert aber nicht, denn Regisseur Niklas Ritter hat die flotte These
vom Leben als Simulationsszenario nicht dramatisch stringent genug
entwickelt. Sein einem szenisch assoziativ durchs Sujet schwankender
Diskurs rückt es hübsch weg in einen Science-Fiction-Kontext, wo sich die
Auseinandersetzung mit der realen digitalen Transformation nur andeutet.
## Rücksichtsloser Vollpfosten der Evolution
Ebenfalls optisch attraktiver und moralisch ohne Impetus tippt Miriam
Leschs „Wald“ globale Entwicklungen an: Da der Mensch als rücksichtslose
Vollpfeife der Evolution die Erde zerstört, soll ein Korrekturprogramm
gestartet werden. Erst mal aber erklingt noch mal sein Lebensraum:
Großstadtlärm schwallt ins Publikum, Nebelwolken wallen über
Miniaturhäuser. Von andauernder Hitze geht die Rede, [1][Stichwort
Klimawandel].
In fantastischen Kostümen treten Bäume und Pilze auf, miteinander tanzende
Symbionten, und verbalisieren, wer gerade an ihnen herumkrabbelt und was
sie sonst so treiben. „Glucose aufnehmen, aufsaugen, einlagern“, so der
Butterpilz. Und die Fichte: „Phosphor aufnehmen. Wasser aufnehmen.
Spaltöffnungsbewegung. Wasser abgeben.“
Ein Käfer flattert, Bambi schlendert durchs Szenario, Cäsar und Plinius
suchen ihre einst für die Ewigkeit angelegten Straßen und finden nur
Relikte. Denn wie einst Friedensreich Hundertwasser träumt die Autorin von
einer „Verwaldung der Stadt“. Die beginnt mit einer Buche (Franziska
Werner): Sprießend auf einem Balkon, betrachtet sie neugierig ihr Bio- als
Soziotop, liebäugelt mit dem Balkonbesitzer.
Aber zu spät: Nach all dem Zupflastern, Bebauen und agrarwirtschaftlichen
Ausbeuten holen sich Flora und Fauna zurück, was der Mensch genommen hat.
Tiere toben, Pflanzen keimen grenzenlos, überwuchern Gärten, Häuser,
Städte, ganz Europa. Was Regisseurin Milena Paulovics nicht beklemmend als
Apokalypse erzählt, sondern entspannend wie eine Erlösung.
Das Ensemble widmet sich liebevoll seinen Rollen, jede Szene ist zauberhaft
bebildert, aber die performativen Möglichkeiten der Vorlage werden
weitgehend ignoriert. Der [2][prima designte Oldenburger Neustart] lässt
inhaltlich noch viel Luft nach oben.
25 Oct 2024
## LINKS
DIR [1] /UN-Bericht-zur-globalen-Klimapolitik/!6044986
DIR [2] https://staatstheater.de
## AUTOREN
DIR Jens Fischer
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