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       # taz.de -- Linksparteitag in Halle: Der große Knall bleibt vorerst aus
       
       > Auf ihrem Bundesparteitag in Halle hat sich die Linke nach langem Ringen
       > hinter den Kulissen auf einen Kompromiss im Nahost-Streit verständigt.
       
   IMG Bild: Die Delegierten auf dem Linksparteitag in Halle brauchen eine gute Kondition: Getagt wird bis tief in die Nacht
       
       Halle (Saale) taz | „Die Stimmung ist angenehm, ich bin überrascht“, sagt
       eine Genossin, dann beißt sie vor der Messehalle in Halle an der Saale
       beherzt in ihre Bockwurst. In der Stadt in Sachsen-Anhalt findet bis
       Sonntag der Bundesparteitag der Linkspartei statt. „Angenehm“ – dieses Wort
       hätten die meisten Linken-Mitglieder wohl vorab nicht zur Beschreibung des
       Events auf ihre Bingo-Karte geschrieben. Die Partei kämpft gegen den Fall
       in die Bedeutungslosigkeit, das Treffen in Halle gilt vielen als letzter
       verzweifelter Versuch der Erneuerung.
       
       Und doch war die Stimmung am Freitagnachmittag nicht panisch, sondern
       zunächst ungewöhnlich zuversichtlich. „In der Vergangenheit haben wir uns
       immer so beharkt, das ist unser Problem“, meint eine Delegierte aus
       Nordrhein-Westfalen. Das sei jetzt nach der Abspaltung von Sahra
       Wagenknecht und ihres Anhangs anders.
       
       Die Abspaltung des BSW hätte nicht verhindert werden können, hatte zuvor
       die scheidende Parteivorsitzende Janine Wissler in ihrer Abschiedsrede vor
       den 470 anwesenden Delegierten gesagt. „Es musste diese Trennung geben“, so
       Wissler. Es sei „richtig, dass wir nicht mehr in einer Partei sind“. Denn
       eine linke Partei dürfe „sich niemals einem rechten Zeitgeist anpassen und
       nach unten treten – auch wenn der Gegenwind noch so stark ist“. Die
       dramatische Rechtsverschiebung derzeit fühle sich an wie ein
       „AfD-Look-Alike-Contest“.
       
       Die Linke müsse eine Partei der klaren Haltung in Fragen von Asyl und
       Menschenrechten sein, sich der Rechtsentwicklung entgegenstellen und sich
       dem Aufrüstungskurs verweigern, so Wissler. Wie am Donnerstag bekannt
       geworden war, unterstützt sie als erste Parteivorsitzende die Initiative
       für ein AfD-Verbotsverfahren im Bundestag.
       
       Die 43-jährige Hessin steht seit 2021 der Partei vor, seit 2022 zusammen
       mit dem 49-jährigen Berliner [1][EU-Abgeordneten Martin Schirdewan]. Beide
       treten nicht erneut zur Wahl an. „Es ist nicht immer leicht und auch nicht
       nur eine Freude, Parteivorsitzende der Linken zu sein, aber es war mir
       immer eine Ehre“, sagte Wissler am Ende ihrer Rede.
       
       Mit stehendem Applaus wurde sie verabschiedet. Ihr und Schirdewan werden
       nun voraussichtlich [2][die 35-jährige Berliner Publizistin Ines
       Schwerdtner und der 63-jährige Hamburger Ex-Bundestagsabgeordnete Jan van
       Aken] nachfolgen. Am frühen Samstagnachmittag stellen sich die beiden den
       Delegierten zur Wahl.
       
       ## Nahost-Debatte endet mit Kompromiss
       
       Die anschließende Generaldebatte am Freitag war eine Aneinanderreihung
       aktueller linker Diskussionen – manchmal versöhnlich, manchmal fragend,
       manchmal wütend. Themen waren die Rente, der Kampf gegen steigende Mieten,
       die Rechtsverschiebung, das Desaster bei den letzten Landtagswahlen und
       immer wieder der Krieg. Jener in der Ukraine und vor allem der in Gaza,
       Israel und Libanon.
       
       Erst am vergangenen Wochenende führte im Berliner Landesverband eine
       [3][Debatte über linken Antisemitismus] zum Eklat. Nicht unberechtigt
       [4][war die Angst groß], dass der Streit um den richtigen Umgang mit dem
       Nahostkonflikt auch den Bundesparteitag sprengen könnte. Auf den Fluren und
       in Hinterzimmern wurde fieberhaft um eine Lösung gerungen, mit der so viele
       wie möglich in der Partei leben können. Und tatsächlich gelang am späten
       Freitagabend das Wunder.
       
       Der designierte Vorsitzende Jan van Aken präsentierte einen
       Kompromissantrag, in dem der „menschenverachtende Terror der Hamas“ ebenso
       angeprangert wird wie „Völkerrechtsverbrechen“ der israelischen Armee.
       Israel und Palästina hätten „ein Recht auf Selbstbestimmung und auf
       Selbstverteidigung“. Das rechtfertige aber niemals Terror und
       Kriegsverbrechen.
       
       Die Kernbotschaft: „Unser Mitgefühl und unsere Solidarität gelten den
       israelischen, palästinensischen und libanesischen Opfern.“ Eine weitere
       Kernbotschaft: „Als Linke stehen wir gemeinsam und entschieden gegen jede
       Form des Antisemitismus und Rassismus – unabhängig davon, von welcher
       politischen und weltanschaulichen Richtung er ausgeht.“
       
       „Wir haben damit den Nahostkonflikt nicht gelöst“, sagte van Aken in der
       Debatte. Aber zumindest konnte eine gefährliche Bombe für den Parteitag
       entschärft werden. „Wir sind als Partei wirklich einen großen Schritt
       weitergekommen“, zeigte er sich zufrieden. Der Antrag wurde mit nur wenigen
       Gegenstimmen und Enthaltungen beschlossen. Erleichterung war in vielen
       Gesichtern zu sehen, als um 22:36 Uhr der Themenkomplex ohne Knall
       abgeschlossen war.
       
       ## Erste Highlights des Parteitages
       
       Eindringlich gegen Antisemitismus und Rassismus hatte sich bereits am
       frühen Freitagabend Ismet Tekin in einer berührenden Gastrede
       ausgesprochen, [5][einer der Überlebenden des antisemitischen Anschlags von
       Halle vor fünf Jahren]. „Egal woher wir kommen, wir alle haben die Pflicht,
       für die Menschlichkeit einzustehen“, sagte er unter großem Beifall. „Wir
       sind alle dafür verantwortlich.“
       
       Ein Highlight am Freitagnachmittag war die Ankunft Bodo Ramelows, des
       ersten und einzigen linken Ministerpräsidenten. Er war direkt von einer
       Bundesratssitzung aus Berlin angereist. „Ich wünsche uns die notwendige
       Kraft, uns neu zu sortieren“, sagte Thüringens Nochregierungschef in seiner
       18-minütigen Rede.
       
       Es gehe ihm „auf die Ketten, wie wir uns mit uns selber beschäftigen“. Er
       habe auch „keine Lust mehr, für jeden Depp, der auf X unterwegs ist, den
       Kopf hinzuhalten“. Da müssten klare Grenzen gezogen werden, forderte
       Ramelow. Trotzdem sei er „froh ein Linker zu sein“ und „stolz darauf, mit
       erhobenen Haupt in dieser Partei zu sein“. Die Delegierten hörten es gerne.
       
       19 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Amelie Sittenauer
   DIR Pascal Beucker
       
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