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       # taz.de -- Sondierungsgespräche in Thüringen: Stachlige, aber nicht unerreichbare Brombeerkoalitionen
       
       > In Thüringen stehen CDU, BSW und SPD vor Koalitionsverhandlungen. In
       > Sachsen dauert es mit dem Ausloten der Optionen etwas länger.
       
   IMG Bild: Auf Schnittmengensuche: Tilo Kummer (l-r, BSW), Andreas Bühl (CDU), und Katharina Schenk (SPD)
       
       Erfurt taz Gemessen an der schwierigen Konstellation [1][nach der
       Thüringen-Wahl vom 1. September] erschienen die drei potenziellen
       Koalitionspartner CDU, BSW und SPD an diesem Freitag relativ locker. Die
       Parteien hatten nach Erfurt geladen, um die Ergebnisse ihrer Sondierungen
       vorzustellen. Gegenseitige Profilierungsversuche der parlamentarischen
       Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer blieben dabei aus. Nicht nur in
       der Präambel des 19-seitigen Sondierungspapiers dominiert das „Thüringen
       first“. Unterschiedliche Sichtweisen sieht offenbar man nicht als Hindernis
       an, sondern als „Treiber für neue politische Kreativität“.
       
       Das funktioniert erst einmal besonders gut durch Aussparen – vor allem bei
       den außenpolitischen Bedingungen, die BSW-Parteigründerin Sahra Wagenknecht
       genannt hatte: Klare Positionierung für den Stopp der Waffenlieferungen an
       die Ukraine, keine Stationierung neuer amerikanischer Raketen und
       Friedensverhandlungen mit Russland.
       
       Dazu heißt es in dem Sondierungspapier lediglich auf der vorletzten Seite:
       Man wolle diesem Thema „in den kommenden Verhandlungen Raum verschaffen“
       und es in der Präambel eines möglichen Koalitionsvertrages verankern. Auch
       die sächsische BSW-Landtagsfraktion hatte sich bei ihrer Konstitutierung in
       der Friedensfrage auffallend zurückgehalten.
       
       Nach Informationen des Stern [2][passt das Wagenknecht gar nicht]. Sie
       setze demnach lieber auf die Tolerierung einer Minderheitsregierung durch
       das BSW als auf eine Koalition. Wenn am Freitagabend der BSW-Landesvorstand
       ebenso wie die anderen beiden Parteien über die Aufnahme formaler
       Koalitionsverhandlungen entscheidet, wird nach Aussage des
       Parlamentarischen Geschäftsführers Tilo Kummer allerdings „niemand aus
       Berlin dabei sein“.
       
       ## Schuldenbremse mit Ausnahmen
       
       Einigkeit herrscht über einen „Richtungswechsel in der Migrationspolitik“:
       Eine zentrale Ausländerbehörde soll eingerichtet werden, die sowohl
       Anerkennungen als auch Abschiebungen schneller bewältigt.
       Abschiebehaftplätze sollen in Thüringen erstmals eingerichtet werden. Die
       Erstaufnahmeeinrichtungen in Suhl und Eisenberg sollen geschlossen werden.
       
       Unumstritten scheint bislang auch die prinzipielle Beibehaltung der
       Schuldenbremse zu sein, auch wenn Ausnahmen möglich sein sollen. Der noch
       von Finanzministerin Heike Taubert (SPD) eingebrachte Haushaltsentwurf
       müsse alle Rücklagen angreifen. Für Andreas Bühl von der Union ist die
       überarbeitete Haushaltsaufstellung ein Grund, warum Koalitionsgespräche
       besonders drängen.
       
       An erster Stelle im Sondierungspapier steht die Bildungspolitik, ein
       Kernthema der CDU. Schulen sollen beispielsweise mit einem Budget mehr
       Eigenverantwortung erhalten. Das BSW setzt auf soziale Themen wie
       Wohnungsbau, gerechte Löhne im Niedriglohnland Thüringen, auf
       Bürgerbeteiligung und sogar auf ökologische Akzente bei der
       Energieproduktion. Ähnlich die SPD, der der Einstieg in ein kostenfreies
       Kindergarten-Mittagessen und eine freie Hortbetreuung wichtig sind.
       Landeskomponenten wie ein Landespflegegeld und sogar Rentenzuschüsse und
       steuerliche Entlastung von Senioren stehen ebenfalls auf ihrer Agenda.
       
       Im Thüringer Landtag sitzen in dieser Legislatur nur noch CDU, SPD, BSW,
       Linke und AfD. Eine eigene Mehrheit erreichen die potentiellen
       Brombeer-Partner nicht. Andreas Brühl von der CDU verweist auf die 44
       Parlamentssitze, auf die die angebahnte Koalition käme – also genau die
       Hälfte der 88 gewählten Abgeordneten. Das sei eine „De-facto-Mehrheit“, so
       Bühl – weil auch nichts gegen die Koalition beschlossen werden könne.
       
       ## Wie wird's mit der Linken?
       
       [3][Mit der AfD will formal niemand gemeinsame Sache machen], jedenfalls
       keine „aktive Zusammenarbeit“, wie es Bühl für die CDU formuliert. Als
       Mehrheitsbeschafferin könnte hingegen die Linke auftreten. Der noch
       amtierende Ministerpräsident Bodo Ramelow hat dafür eine Vereinbarung
       gefordert wie es ihn in ähnlicher Form schon in der letzten Legislatur
       gegeben hatte.
       
       2020 hatte die CDU nach dem Eklat bei der Wahl des
       Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) durch die AfD einem so
       genannten Stabilitätsmechanismus zugestimmt: Beim Haushalt und in
       Sachfragen einigte man sich von Fall zu Fall mit der rot-rot-grünen
       Minderheitskoalition.
       
       „Es braucht für eine Ministerpräsidentenwahl keine Vereinbarung mit der
       Linken“, erklärten allerdings sowohl die CDU als auch der Ex-Linke und
       jetzt BSWler Tilo Kummer. Für dieses Amt wird vermutlich der CDU-Partei-
       und Fraktionschef Mario Voigt kandidieren.
       
       Stattdessen haben sich die drei Parteien auf ein interessantes neues
       „prälegislatives Konsultationsverfahren“ zur jeweiligen
       Mehrheitsbeschaffung verständigt. Bevor ein Gesetzentwurf der Regierung
       formal dem Landtag zugeht, sollen sich alle Fraktionen unter Einschluss der
       AfD schon mit Eckpunkten dieses Vorhabens beschäftigten. Die sollen ihnen
       über den Landtagspräsidenten zugehen.
       
       ## Sachsen nimmt sich Zeit
       
       Stimmen am Wochenende die drei Landesvorstände zu, könnten in der kommenden
       Woche die Modalitäten offizieller Koalitionsverhandlungen geklärt werden.
       „Es verbleiben gar keine großen Differenzen“, übte sich Andreas Bühl für
       die CDU in Optimismus. „Niemand hat ein Interesse, acht Monate
       Verhandlungen zu führen“, mahnte für die SPD auch Katharina Schenk zur
       Eile.
       
       Eile ist in derweil [4][in Sachsen, wo im September ebenfalls gewählt
       wurde], so nicht zu verspüren. Am vergangenen Mittwochabend haben CDU, BSW
       und SPD zunächst ihre dreitägigen intensiven „Kennenlerngespräche“
       abgeschlossen. Sondierungsgespräche sollen erst noch folgen. Darüber wird
       ebenfalls bis zum Wochenende in den Landesgremien entschieden.
       
       Der Trend deutet auch hier auf Kompromisse für eine Koalition hin. Wie in
       Thüringen sind auch in Sachsen die Verschärfung der Asylverfahren und eine
       Haushaltspolitik, die auch Investitionsspielräume schafft, zentrale Punkte.
       Anders als offiziell in Thüringen behauptet, will sich
       BSW-Landesvorsitzende Sabine Zimmermann aber ausführlich mit Sahra
       Wagenknecht abstimmen.
       
       18 Oct 2024
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Bartsch
       
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