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       # taz.de -- Krise der Ampel: Lindner spielt das Angsthasenspiel
       
       > Der Finanzminister stellt mit seinem Papier unerfüllbare
       > Maximalforderungen. So handelt nur jemand, der längst mit dem Rücken zur
       > Wand steht.
       
   IMG Bild: Rums ohne Sieger
       
       Auch im Finanzministerium dürfte ein Modell aus der Spieltheorie bekannt
       sein, das für die Analyse mancher Konflikte hilfreich sein kann: In einer
       Mutprobe fahren zwei Fahrzeuge – sagen wir, zumindest eines davon ist ein
       Porsche – mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zu. Wer zuerst ausweicht,
       bewahrt zwar sein Leben, geht aber als Angsthase in die Geschichte ein,
       während der andere als mutiger Gewinner ewigen Ruhm davonträgt. Weichen
       beide Fahrer aus, teilen sie ihre Schmach, die folglich für beide weniger
       schwer wiegt. Weicht keiner aus, verlieren beide – ihr Leben.
       
       Mit dem Angsthasenspiel können Situationen beschrieben werden, in denen
       kaltblütiges Handeln den größten individuellen Nutzen bringt, wenn man
       Gegnern Feigheit unterstellt. FDP-Chef Christian Lindner hat genug Grund
       zur Annahme, dass seine Koalitionspartner bei der Frage „Friss oder stirb“
       – [1][nichts anderes ist sein Wirtschaftspapier von Freitag] – zu schlucken
       wissen werden.
       
       Wie oft haben die Liberalen schon mit dem Ende der Koalition kokettiert und
       auf diese Weise sogar beschlossene Gesetze wieder infrage gestellt –
       aktuell ist genau das wieder in der Rentenpolitik zu beobachten. Von
       anderen Projekten, die im Koalitionsvertrag vereinbart sind, ganz zu
       schweigen: Beim Demokratiefördergesetz, bei der Verschärfung des
       Waffenrechts, beim Gewalthilfegesetz, beim Tariftreuegesetz steht die FDP
       quer, und die Liste ließe sich lange fortführen.
       
       Es heißt, Durchhalteparolen nutzen sich mit der Zeit ab, doch SPD und Grüne
       beweisen in ihrem Umgang mit der FDP das Gegenteil. Allen
       Umfrageergebnissen, dem Kopfschütteln und dem Zähneknirschen zum Trotz –
       die Regierung hält. Olaf Scholz möchte das als Besonnenheit verstanden
       wissen, Robert Habeck als Ausdruck staatspolitischer Verantwortung.
       
       ## Ausgestreckter Mittelfinger
       
       Für Christian Lindner kommt das aufs Gleiche raus: Ihm stehen Angsthasen
       gegenüber. Der Finanzminister [2][hat mit seinem Wirtschaftspapier
       Maximalforderungen] in den Raum gestellt, die sich vor allem in der
       Klimapolitik wie ein ausgestreckter Mittelfinger an die Grünen lesen. So
       handelt nur jemand, der längst mit dem Rücken zur Wand steht, weil er Druck
       von der eigenen Parteibasis verspürt.
       
       Nimmt man das Angsthasenspiel als Analyseansatz, geht es dem Finanzminister
       um die eigene Nutzenmaximierung in einer vertrackten politischen Lage.
       Seine Gegner müssen demzufolge glaubhaft machen, dass auch sie bereit
       wären, Kurs zu halten. Dieser Kurs heißt Ampel-Aus. Für die FDP mit ihren 4
       Prozent und Lindner, der die Partei einst in diese unbeliebte Koalition
       führte, könnte es dann sehr schnell sehr einsam werden.
       
       4 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://img.welt.de/bin/Lindner%20Papier.pdf_bn-254311174.pdf
   DIR [2] /Grundsatzpapier-von-Christian-Lindner/!6043866
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Cem-Odos Güler
       
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