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       # taz.de -- Die Rolle der Frauen bei der US-Wahl: Das Zünglein an der Waage?
       
       > Kamala Harris hat Abtreibung in die Mitte ihres Wahlkampfs gerückt. Sie
       > hofft, mit dem Thema bislang unentschiedene Frauen auf ihre Seite zu
       > ziehen.
       
   IMG Bild: Kamala Harris weiß in der Abtreibungsfrage viele Frauen hinter sich
       
       Den Namen Amber Nicole Thurman kennen mittlerweile nicht nur
       US-Amerikaner:innen, sondern auch viele Menschen außerhalb der Vereinigten
       Staaten. Der Fall der US-Amerikanerin steht für eine misogyne und
       restriktive Abtreibungspolitik. Die 28-Jährige lebte in Georgia, einem
       US-Bundesstaat mit einem der härtesten Abtreibungsgesetze in den USA. Dort
       dürfen Frauen ab der sechsten Woche nur in sehr seltenen Fällen abtreiben.
       Bis zu Beginn dieses Jahres galt in dem Swing State, in dem der
       republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump in den Umfragen
       minimal vorn liegt, sogar das sogenannte Herzschlag-Gesetz. Das verbietet
       einen Abbruch ab dem ersten Herzschlag des Fötus.
       
       Die harten Abtreibungsregeln machen nicht nur das Leben von ungewollt
       Schwangeren zu einem Drama, sie verunsichern auch Ärzt:innen, die fürchten,
       belangt zu werden, wenn sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.
       Verängstigte Mediziner:innen wurden Amber Nicole Thurman zum
       Verhängnis. Die junge Frau hatte Abtreibungspillen genommen, aber das
       Zellgewebe wurde nicht vollständig abgestoßen, Thurman hätte eine
       Ausschabung gebraucht, für Gynäkolog:innen ein Routineeingriff. Doch in
       dem Krankenhaus in der Nähe von Georgias Hauptstadt Atlanta, in dem sie
       sich mit Beschwerden meldete, wagten die Ärzt:innen wegen des strengen
       Gesetzes nicht, den Eingriff rechtzeitig vorzunehmen – und Thurman starb an
       einer Blutvergiftung.
       
       In zehn Bundesstaaten dürfen die Wähler:innen am 5. 11. nicht nur über die
       Präsidentin oder den Präsidenten abstimmen, sondern in einem Referendum
       auch über das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Kamala Harris hat
       Abtreibung als eines der wichtigsten Themen in ihren Wahlkampf aufgenommen,
       die demokratische Präsidentschaftskandidatin will Abtreibungen wieder
       legalisieren.
       
       Denn auf Bundesebene waren sie mal legal – bis der Supreme Court, den Trump
       in seiner Amtszeit verstärkt mit konservativen Richter:innen besetzte,
       im Juni 2022 das seit 1973 gültige liberale Abtreibungsrecht kippte.
       Daraufhin wurden in zahlreichen Bundesstaaten die Abtreibungsgesetze
       verschärft, zum Teil wurden Schwangerschaftsabbrüche ganz verboten – so wie
       in Georgia.
       
       ## Frau gegen Frauenverachter
       
       Kamala Harris weiß in der Abtreibungsfrage viele Frauen hinter sich. Doch
       es ist komplett offen, wie stark das Thema Frauen mobilisieren und damit
       möglicherweise die Wahl beeinflussen kann. Knapp [1][60 Prozent der Frauen
       würden Umfragen zufolge Harris] wählen. Das ist das Pfand, mit dem Harris
       wuchern und das Thema, mit dem sie Wähler:innen auf ihre Seite ziehen
       kann. Aktuellen Erhebungen zufolge sprechen sich [2][63 Prozent der
       Amerikaner:innen für legale Schwangerschaftsabbrüche aus,] also eine
       deutliche Mehrheit, Frauen wie Männer.
       
       Doch die Lage ist nicht so einfach, wie sie sich hier vielleicht darstellt.
       Es sieht nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Demokratin Harris und
       dem Republikaner Trump aus.
       
       Harris hat es ohnehin schwerer als erst zweite und zudem erste schwarze
       Präsidentschaftskandidatin und unabhängig davon mit einem Gegner zu tun,
       der bekanntermaßen alle Register zieht. Der bekannt ist für seine
       frauenverachtende und sexistische Rhetorik, der mit sexuellen Übergriffen
       auf Frauen geprahlt hat. Der in seiner ersten Amtszeit Gesetze gegen
       häusliche und Partnerschaftsgewalt aufgeweicht und dafür gesorgt hatte,
       dass Opfer sexueller Gewalt öffentlich aussagen müssen. Damals wendeten
       sich Frauen, die ihn einst gewählt hatten, von Trump ab.
       
       ## Antifeminismus als Feminismus verkleidet
       
       Gleichzeitig erstarkt in den vergangenen Jahren die sogenannte
       Tradwife-Bewegung: Influencer präsentieren sich vor allem in den sozialen
       Medien als traditionelle Frauen, die sich gegen Job, Karriere,
       Unabhängigkeit und für ein Dasein als Ehefrau, Hausfrau und Mutter
       entschieden haben. Sie betonen, dass sie dieses Lebensmodell freiwillig
       gewählt haben, schließlich sei das auch Feminismus. Weil Feminismus doch
       bedeute, dass Frauen tun können, was sie tun wollen – eben auch eine ganz
       gewöhnliche Hausfrau sein.
       
       Viele traditionelle sowie zunehmend christliche Frauen unterrichten ihre
       Kinder mittlerweile zu Hause. 2023 mieden fünf Prozent das öffentliche
       Schulsystem, nicht wenige wegen einer Sexualkunde, von der sie glauben,
       dass mit ihr ihre Kinder nicht nur frühsexualisiert, sondern auch zu
       homosexuellen Wesen umerzogen werden sollen.
       
       Das ist Harris bewusst. In den vergangenen Wochen richtete sie ihren
       Wahlkampf verstärkt auf Frauen aus, die diesmal entscheidende
       Wechselwählerinnen sein könnten. So erinnerte Harris bei ihren Auftritten
       an Trumps Sexismus, an seine Aussagen und was Frauen drohen könnte, würde
       er wieder Präsident. Sie mahnte, dass Trump das Selbstbestimmungsrecht von
       Frauen „beleidige“, wenn er sage, dass er Frauen beschütze, ob sie es
       wollten oder nicht.
       
       ## Eine andere Frau könnte Harris zum Verhängnis werden
       
       Man darf Trump durchaus beim Wort nehmen, wenn er sagt, dass er dafür
       sorgen werde, dass Frauen nicht „über eine Abtreibung nachdenken“ müssen.
       Er würde als Präsident das Abtreibungsrecht weiter verschärfen.
       US-Politolog:innen beobachten, dass die Abtreibungsfrage viele bislang
       unpolitische Frauen politisiert habe, vor allem junge Frauen und Mütter in
       den Vorstädten, die an die Zukunft ihrer Töchter denken. [3][Sie stellen
       sich in diesem Jahr hinter Harris.]
       
       Aber ausgerechnet eine progressive Frau könnte Harris zum Verhängnis
       werden: Jill Stein. Die Ärztin tritt bereits zum dritten Mal für die Green
       Party, die Grüne Partei, an. Stein streitet für ein Recht auf Abtreibung
       und macht sich für Transmenschen stark, sie sorgt sich um den Klimawandel
       und fordert eine bessere Gesundheitsversorgung und Bildung. Die
       europäischen Grünen haben Stein aufgefordert, Harris zu unterstützen. Doch
       Stein steht in 37 Bundesstaaten auf dem Wahlzettel.
       
       5 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://poll.qu.edu/poll-results
   DIR [2] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1321261/umfrage/umfrage-zu-abtreibungen-in-den-usa/
   DIR [3] /Abtreibungsrechte-in-den-USA/!6042762
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schmollack
       
       ## TAGS
       
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