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       # taz.de -- Umgang mit rechten Thinktanks: Die Extrameilen
       
       > Rechte Thinktanks wie das Institut für Staatspolitik haben erfolgreiche
       > Strategien für die AfD entwickelt. Sie müssten viel ernster genommen
       > werden.
       
   IMG Bild: Verleger und neurechter Vordenker, Götz Kubitschek in seinem Arbeitszimmer 2016
       
       In der deutschen Berichterstattung über das Umfeld des neurechten Verlegers
       Götz Kubitschek entsteht bisweilen der Eindruck, es handle sich um einen
       Kreis verwirrter Hochstapler. Zuletzt sprach etwa [1][die
       Spiegel-Redakteurin Ann-Kathrin Müller] schmunzelnd von „ganz viel
       pseudointellektuellem Gerede“, das aus dem sachsen-anhaltinischen
       Schnellroda zu vernehmen sei. Eine solche Verharmlosung des inzwischen
       formal aufgelösten Instituts für Staatspolitik verkennt jedoch dessen
       Bedeutung für die radikale Rechte und führt zu einer gefährlichen
       Unterschätzung der organisierten Gegner der liberalen Demokratie.
       
       Neben dem EU-Spitzenkandidaten der AfD Maximilian Krah und der
       Bundessprecherin der Partei Alice Weidel sind die Protagonisten der
       Wahlerfolge im Osten, Björn Höcke, Jörg Urban und Hans-Christoph Berndt,
       gern gesehene Gäste in der ostdeutschen „Denkfabrik“. Was erwartet sich die
       Führungsriege der AfD von diesem Austausch? Womit werden die Politiker hier
       ausgestattet? Und warum „braucht die AfD diese Impulse“ (Berndt)?
       
       Neben der Vernetzung zwischen Partei und ihrem intellektuellen Vorfeld
       dienen Akademien, Publikationen und Podcasts der Vermittlung strategischer
       und ideeller Konzepte. Das Arsenal reicht von [2][Social
       Media-Handreichungen] für ein „Tik-Tok von rechts“, das die Popularität
       rechtsradikaler Ideen unter Jugendlichen steigern soll, über die
       Entwicklung eines „Remigrations„konzepts, mit dem die AfD ihre drei
       Wahlkämpfe im Osten bestritt, bis zur theoretischen [3][„Gegneranalyse“],
       das heißt der „ausschlachtenden“ Lektüre linker Texte.
       
       ## Blickrichtung links
       
       Die [4][neurechte „Diskurspiraterie“] ist allerdings keineswegs Ausdruck
       intellektueller Verwirrung, sondern politisches Kalkül, das sich auszahlt.
       Prominentes Beispiel ist die Arbeit des Politikwissenschaftlers Benedikt
       Kaiser, der neben Kubitschek als „intellektueller Taktgeber“ der Szene
       gilt. Sein Ziel: Theorien der Gegenseite zu „zergliedern“, „von den
       Erkenntnissen des „Gegners“ zu lernen“ und darauf aufbauend mit eigenen
       Theorien die „Lufthoheit über die Köpfe“ (Karlheinz Weißmann) zu erobern.
       Der gebürtige Chemnitzer entstammt ursprünglich dem Neonazimilieu und
       arbeitete fast ein Jahrzehnt als Lektor und Redakteur für die „Sezession“,
       der Hauszeitschrift des Instituts für Staatspolitik. Heute sitzt Kaiser
       nicht mehr in Schnellroda, sondern in Berlin: als Mitarbeiter des
       AfD-Abgeordneten Jürgen Pohl im Deutschen Bundestag.
       
       Aber nicht nur er selbst hat den Weg ins Herz des bundesdeutschen
       Parlamentarismus geschafft, auch seine Ideen und Begriffe werden im
       antiliberalen Diskurs breit rezipiert und zeigen Wirkung. Ausgangspunkt
       sind häufig Begriffe, die die Mehrheit eigentlich als „linke“ Signalworte
       kennt: Entfremdung, Kommodifizierung des Lebens, Solidarität. Seine Bücher
       heißen entsprechend: „Blick nach Links“, „Marx von Rechts“ und „Querfront“.
       Damit folgt er der Strategie seiner neurechten Säulenheiligen Alain de
       Benoist, Dominique Venner und Henning Eichberg, linke Lektüre im rechten
       Kampf um „kulturelle Hegemonie“ fruchtbar zu machen. Dabei gehe es um die
       „Veränderung des Alltagsverstands der Menschen im vorpolitischen,
       kulturellen, medialen Raum für eine wirkliche Umgestaltung der Realität“.
       Das sei wichtiger als „ein, zwei Prozentpunkte mehr im parlamentarischen
       Raum“, so Kaiser.
       
       ## Konfusion als rechte Chance
       
       Doch Kaiser bleibt bei der selektiven Lektüre der „Gegenseite“ nicht
       stehen. Er möchte der „Intellektuellenfeindschaft“, die er als das
       „Grundproblem des patriotischen Lagers“ ansieht, entgegentreten. Der auf
       Emotionen setzende Rechtspopulismus „gegen Merkel“, „gegen die Ampel“ und
       „gegen den Heizungshammer“, den er von Hans Georg Maaßen über Julian
       Reichelt bis hin zu AfD-Politikern vertreten sieht, müsse komplementär
       ergänzt werden durch eine praxisorientierte, „prononciert rechte
       Theoriearbeit“.
       
       Bei dem Versuch der Umsetzung dieses Vorhabens entstehen vor allem
       eklektische Denkfiguren wie die des „solidarischen Patriotismus“. Der
       Begriff war bei der Veröffentlichung seines gleichnamigen Buches zwar weder
       neu, noch liefert er darin ein ausgearbeitetes Konzept. Dennoch enthält es
       die notwendigen Begriffe und ideologischen Versatzstücke für eine im Rahmen
       des Sagbaren vertretbare Politik der Ethnoökonomie. So beschreibt er eine
       „relativ ethnisch homogene“ und „relativ sozial homogene“ Bevölkerung als
       die Basis für ein funktionierendes Miteinander. Er fordert, „Arbeit (zu)
       entlohnen und (zu) würdigen, nicht Spekulation“, da die „Verpflichtung fürs
       Ganze“ über dem Einzelnen stehe. Indem er das Bild eines schlechten
       Kapitalismus auf der einen und einer guten Marktwirtschaft auf der anderen
       Seite zeichnet, streift er ferner die antisemitisch konnotierte
       Dichotomisierung von „raffendem“ und „schaffendem“ Kapital. Statt einer
       sozial und ethnisch diversen Gesellschaft steht am Ende das Ziel einer
       homogenen Gemeinschaft.
       
       Da diffus bleibt, was „relativ“ ethnisch homogen nun konkret bedeutet,
       vernebelt Kaiser die Angriffsfläche für den Vorwurf, eine
       nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“ anzustreben. Gleichzeitig
       bewahrt er aber unter Bezug auf Otto Strasser, Carl Schmitt und Hans Zehrer
       die Radikalität im Kampf gegen westliche „Dekadenz“. Björn Höcke
       formulierte erklärtermaßen nach diesen Grundsätzen das Thüringer
       Rentenpapier der AfD-Fraktion.
       
       ## Die Infiltration des Alltags
       
       Wie man diese Ideologeme nun unter die Leute bringt, auch darauf hält
       Schnellroda für seine Aktivisten eine Antwort parat. Unter der Vorstellung
       eines metapolitischen Raums, den es sprachlich und ideologisch zu besetzen
       gelte, werden die Sozialen Medien mit rechtem Material geflutet. Ob mit
       einem von künstlicher Intelligenz generierten „Abschiebelied“ samt
       Musikvideo, mit zusammengefügten Clips gewalttätiger Migranten als rechter
       Spin des Talahon-Trends, oder mit Reel-gerecht geschnittenen Videos von
       AfD-Politikern, die in Talkshows Vertreter der sog. Kartellparteien und
       -presse vermeintlich „in die Schranken weisen“: Auf YouTube, Instagram und
       Twitter sollen die Nutzer über Algorithmen in das Rabbit Hole eines
       bedrohlichen Krisenzustands hineingeführt werden – gepaart mit dem Angebot
       einer radikalen Antwort.
       
       ## Bedeutung des Instituts für die AfD ist enorm
       
       Indem die Urheber ihre Videos den jeweiligen Sehgewohnheiten auf den Apps
       anpassen, forcieren sie maximale Klickzahlen. Die genaue Anleitung dafür,
       also wie lang, wie viele Schnitte und welche musikalische Untermalung ein
       Video bestenfalls haben sollte, lieferte letztes Jahr der rechtsextreme
       Influencer Erik Ahrens auf der „Sommerakademie“ des Instituts für
       Staatspolitik. Es ist genau dieser Eingriff in die Populärkultur, den
       Kaiser fordert, um eine „implizite Ideologisierung“ (Benoist) des Bürgers
       zu erreichen. Wie wirksam diese bereits jetzt ist, zeigen die aktuellen
       Zuspruchswerte für die AfD unter Jugendlichen, der Kernnutzergruppe dieser
       Medien.
       
       Ob also durch die Analyse des politischen Gegners, eigene Theoriebildung
       oder mit Beiträgen zur Politisierung potenzieller Wählerkreise auf den
       Social-Media-Plattformen, die Bedeutung des Instituts für Staatspolitik und
       seiner Nachfolgeorganisationen für die AfD ist enorm.
       
       Daher verwundert es kaum, dass die Partei den Kontakt zur ostdeutschen
       „Denkfabrik“ immer stärker sucht. Durch die Mehrarbeit, die man unter
       anderem in Schnellroda als „rechter Outlaw“ habe leisten müssen, sei die
       Szene Kaiser zufolge in eine Position gekommen, die es ermöglicht, die
       Partei und ihren gemäßigten „Parlamentspatriotismus“ immer weiter
       „voranzutreiben“. Dass die AfD sich seit ihrer Gründung gemäß der Impulse
       ihres rechtsintellektuellen Vorfelds kontinuierlich radikalisiert und dabei
       gleichzeitig erfolgreicher wird, kann durchaus als Ergebnis dessen
       angesehen werden, was Kaiser die neurechte „Extrameile“ nennt.
       
       Was bedeutet das für die intellektuelle und politische Auseinandersetzung?
       Klar ist: Die strategisch-ideelle Arbeit von Kubitschek, Kaiser und Co.
       kann angesichts ihrer Erfolge nicht einfach als Hochstapelei abgetan
       werden. Die liberale Antwort muss mindestens mit einer nüchternen Analyse
       aufwarten, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Rekordergebnisse der AfD
       bei den Landtagswahlen im Osten. Denn so redlich die Motive dahinter auch
       sein mögen: Zu schmunzeln, wenn der Gegner stärker wird und den Weg der
       intellektuellen Auseinandersetzung zu meiden, hat auf lange Sicht die
       gleichen Folgen, wie auf die Extrameile seines Konkurrenten mit einer
       Abkürzung zu reagieren. Wohlgemerkt auf unbekanntem Terrain.
       
       10 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.spiegel.de/politik/kubitschek-elsaesser-co-das-netzwerk-hinter-dem-afd-aufstieg-a-3d5fbddb-9033-4f55-807b-43f0f148c2ef
   DIR [2] /Medienforscher-zu-Nazis-auf-Social-Media/!6036848
   DIR [3] /Rechtes-Magazin-Compact/!5873719
   DIR [4] /Treffen-von-AfD-Politikern-mit-Neonazis/!6034283
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Geck
       
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