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       # taz.de -- Migrationspolitik Italiens: Per Dekret nach Albanien
       
       > Die Regierung in Rom erklärt 19 Staaten zu sicheren Herkunftsländern.
       > Damit können Asylbewerber aus diesen Staaten in Camps in Albanien verlegt
       > werden.
       
   IMG Bild: Sie bringt die Geflüchteten von Albanien nach Italien und noch auch wieder retour: Italiens Küstenwache
       
       Rom taz | Italiens Rechtsregierung unter Giorgia Meloni will mit einem
       Gesetzesdekret den Weiterbetrieb der gerade erst eröffneten
       Flüchtlingslager in Albanien ermöglichen. Der am Freitag von einem Gericht
       in Rom verfügte Stopp der Unterbringung von [1][Flüchtlingen] in den neuen
       Camps soll ausgebremst werden.
       
       Nicht einmal eine halbe Stunde brauchte am Montagabend das Kabinett zur
       Verabschiedung des Dekrets. Es hat nur einen Artikel, und der besteht aus
       der Auflistung von 19 „sicheren Herkunftsstaaten“, unter ihnen auch mit
       Bangladesch und Ägypten die beiden Länder, aus dem jene zwölf Flüchtlinge
       stammen, die letzte Woche an Bord eines Marineschiffs von Lampedusa nach
       Albanien geschafft worden waren und die jetzt wegen eines Vetos der Justiz
       wieder ins süditalienische Bari gebracht worden sind.
       
       Das römische Gericht hatte bei seinem [2][Beschluss auf eine Entscheidung
       des Europäischen Gerichtshofs vom 4. Oktober verwiesen]. Danach sind
       sichere Herkunftsstaaten nur solche Länder, in denen die Bürger*innen
       auf dem gesamten Staatsgebiet keine Verfolgung fürchten müssen und in denen
       zugleich alle Personengruppen – also auch zum Beispiel Angehörige der
       LGBTIQ+-Communities – sicher leben können. Deshalb müsse auch den letzte
       Woche nach Albanien Gebrachten eine detaillierte Einzelfallprüfung gewährt
       werden, statt des dort vorgesehenen Schnellverfahrens inklusive schneller
       Abschiebung in die Herkunftsländer.
       
       Damit aber drohte Melonis „albanisches Modell“ zu kippen, denn es beruht ja
       gerade darauf, Menschen zum Beispiel aus Tunesien, Marokko oder Ghana in
       Italien gleich gar nicht an Land zu lassen, sondern sie mit Zwischenstopp
       in Albanien gleich wieder in ihre Herkunftsstaaten zurückzuschaffen. Bisher
       war die Liste der sicheren Herkunftsstaaten auf interministerieller Ebene
       vom Außen- und Innenministerium erstellt worden – jetzt aber wird sie mit
       dem Dekret vom Montag in Gesetzesrang erhoben.
       
       ## Auseinandersetzung zwischen Exekutive und Justiz
       
       Und ein Dekret sei eben eine „primäre Quelle des Rechts“, erklärten nach
       der Kabinettssitzung der Innenminister Matteo Piantedosi und der
       Justizminister Carlo Nordio. Sie vertreten die Ansicht, dass damit den
       Richtern die Möglichkeit entzogen sei, die Albanien-Prozedur weiter zu
       blockieren. Und um das Dekret wasserdicht zu machen, strich die Regierung
       mit Kolumbien, Kamerun und Nigeria drei Länder aus der Liste, in denen die
       Sicherheit auf dem gesamten Staatsgebiet nicht gewährleistet ist.
       
       Doch wenn man italienischen Verfassungsrechtler*innen glauben darf,
       ist keineswegs ausgemacht, ob sich mit dem Gesetzesdekret wirklich eine
       Änderung ergibt: Weiterhin können Gerichte Fall für Fall entscheiden, dass
       die Unterbringung von Flüchtlingen in Albanien rechtswidrig ist, und sie
       können zum Beispiel auch das Verfassungsgericht anrufen.
       
       Sollten solche Urteile gefällt werden, dann träte allerdings die
       Auseinandersetzung zwischen Exekutive und Justiz in die nächste Runde.
       Schon jetzt hatte die Regierung mit Breitseiten gegen das Gericht in Rom
       reagiert, hatte sie gegen die angeblich „politisierte Justiz“, gegen „rote
       Richter“ und deren – so der Justizminister – „abnormes Urteil“ gewettert.
       Die Gerichte, so die Rechtsauffassung der Regierung Meloni, hätten Gesetze
       „anzuwenden“ und bitteschön nicht in Zweifel zu ziehen.
       
       Am weitesten war Ignazio La Russa gegangen, der aus den Reihen der
       postfaschistischen Meloni-Partei Fratelli d’Italia stammende Präsident des
       Senats. Er forderte gleich eine Verfassungsänderung, um „klare Grenzen“
       zwischen den Zuständigkeiten der Politik und der Justiz zu ziehen, sprich:
       um den autonomen Handlungsspielraum der Judikative zu beschneiden.
       
       ## Camps in Albanien kosten Millionen Euro
       
       Hinter dieser Offensive steht die Sorge, dass das gesamte albanische Modell
       kippen könnte. Es soll endlich für „sichere Grenzen“ sorgen, wie Meloni
       auch jetzt wiederholte, per „Abschreckung“ der Schleuser ebenso wie der
       Flüchtlinge. Rund 800 Millionen Euro werden die beiden Camps in
       [3][Albanien] in den nächsten fünf Jahren kosten.
       
       Meloni selbst hatte versprochen, dort pro Jahr bis zu 36.000 Flüchtlinge
       durchzuschleusen, doch diese Zahl ist völlig unrealistisch. Denn nur im
       Mittelmeer von staatlichen Schiffen an Bord genommene alleinstehende Männer
       sollen dort untergebracht werden, während Frauen, Familien, Minderjährige
       und „vulnerable“ Personen weiterhin nach Italien gelangen werden. Jetzt
       allerdings fürchtet Meloni den vollkommenen Flop des albanischen Modells –
       und das jetzt verabschiedete Dekret soll ihn verhindern.
       
       22 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Sicherheitspaket-und-die-Haerte-der-EU/!6041120
   DIR [2] /Migrationspolitik-in-Italien/!6043744
   DIR [3] /Albanien/!t5007963
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Braun
       
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