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       # taz.de -- Beziehungen von Deutschland und Iran: Optionen der lauten Diplomatie gegenüber Teheran
       
       > Die Schließung iranischer Konsulate in Deutschland nach der Ermordung von
       > Jamshid Sharmahd war ein starker Akt. Daneben gibt es weitere
       > Möglichkeiten.
       
   IMG Bild: Protest am 29. Oktober vor dem iranischen Konsulat in Frankfurt am Main
       
       Berlin taz | Als Gazelle Sharmahd sich am vergangenen Dienstag mit einem
       Posting auf X an die Öffentlichkeit wendet, ist es dieses Mal sie, die
       still ist. Einen Tag zuvor hat die Justiz der Islamischen Republik Iran die
       [1][Hinrichtung ihres Vaters Jamshid Sharmahd] bekannt gegeben. Unermüdlich
       hatte sie sich [2][seit seiner Entführung im Jahr 2020 für dessen
       Freilassung] eingesetzt.
       
       Zumindest im Video sagt Gazelle Sharmahd nun kein Wort. Im Text aber liest
       man ihre Wut. Darüber, dass das US-Außenministerium und das deutsche
       Auswärtige Amt den Deutsch-Amerikaner im Stich gelassen hätten, dass ihr
       Vater bei Deals zu Geiselbefreiungen nicht dabei war, dass Bundeskanzler
       Olaf Scholz (SPD) sich nicht äußerte.
       
       Es ist eine Kritik, die auch Angehörige anderer Geiseln formulieren, die in
       Iran in Haft sind: Mariam Claren etwa, die Tochter der Deutschen [3][Nahid
       Taghavi, die im Oktober 2020 im Iran festgenommen wurde]. Auch Claren
       beklagt, was als [4][„Stille Diplomatie“] bekannt wurde: ein Verhandeln
       hinter den Kulissen, ohne den Druck auch öffentlich deutlich zu erhöhen.
       
       Zumindest am Donnerstag kann von Stille in der Diplomatie nun keine Rede
       sein. Am frühen Nachmittag deutscher Zeit tritt Außenministerin Annalena
       Baerbock (Grüne) in New York für ein Statement vor die Kameras. Als
       Konsequenz nach der Ermordung Sharmahds [5][sollen alle drei iranischen
       Generalkonsulate in Frankfurt am Main, Hamburg und München schließen.] Der
       Botschaftsbetrieb beider Länder indes wird aufrechterhalten.
       
       ## Baerbock verschärft den Kurs gegenüber dem Iran
       
       Baerbock wählt scharfe Worte, spricht von „furchtbarer Ruchlosigkeit“,
       „kaltblütiger Ermordung“ und „iranischer Geiselpolitik“. Und sie sagt Sätze
       wie diesen: „Dass nun im Lichte der jüngsten Entwicklung im Nahen Osten die
       Ermordung erfolgte, zeigt, dass ein diktatorisches Unrechtsregime wie das
       der Mullahs nicht in der normalen diplomatischen Logik agiert.“
       
       Es ist ein Ton, den sich oppositionelle Exil-Iraner*innen schon länger
       gewünscht hätten – nicht nur von Baerbock, sondern auch von ihren
       sozialdemokratischen Amtsvorgängern und den CDU/CSU-geführten Regierungen
       der vergangenen Jahrzehnte. Sie alle blickten auf den Iran als
       interessanten Absatzmarkt und vermeintlich berechenbaren Akteur. Die
       frühere Politik wurde daher vielfach als „Appeasement“ kritisiert.
       
       Die Schließungen der Generalkonsulate sind nun der vorläufige Tiefpunkt der
       deutsch-iranischen Beziehungen. Doch Baerbock kündigte bereits an, sich in
       der EU um weitere Sanktionen zu bemühen.
       
       ## EU-Sanktionen, Terrorlistung und Snapback-Mechanismus
       
       Wirkmächtige Optionen für weitere Maßnahmen gibt es mehrere. Dazu zählt,
       weitere iranische Funktionsträger und Organisationen durch die EU zu
       sanktionieren, etwa jene Menschen, die an den mutmaßlichen Folterungen und
       dem Schauprozess gegen Sharmahd beteiligt waren. Die Anzahl an Personen,
       die an der Tötungsmaschinerie des Regimes beteiligt ist, ist beträchtlich.
       
       Baerbock erinnerte wiederum daran, dass sie sich für eine Aufnahme der
       [6][islamischen Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste einsetze]. Dafür
       bräuchte es Einigkeit unter den EU-Mitgliedsstaaten, die bislang nicht
       besteht. Experten wie der Politikwissenschaftler [7][Ali Fathollah-Nejad]
       schätzen, dass zwei Drittel der iranischen Wirtschaft mit den
       Revolutionsgarden verbunden sind. Jede mögliche wirtschaftliche
       Wiederannäherung an Europa würde mit der Terrorlistung versperrt.
       
       Eine weitere Option bestünde in dem [8][sogenannten Snapback-Mechanismus
       des Atomabkommens mit dem Iran]. Zwar verabschiedeten sich die USA 2018 aus
       dem Deal, für die verbliebenen Vertragspartner bleibt das Abkommen auf dem
       Papier jedoch bestehen. Der Mechanismus sieht vor, dass die früheren
       weltweit gültigen UN-Sanktionen gegen den Iran wieder in Kraft treten
       könnten, sofern ein Vertragspartner namhafte Verstöße anmeldet. Das ist
       gegeben: Die Machthaber haben nach 2018 Uran auf mittlerweile über 60
       Prozent angereichert – ein klarer Verstoß.
       
       Beim Snapback-Mechanismus wäre es für Russland oder China im Sicherheitsrat
       nicht möglich, ein Veto gegen die Sanktionen einzulegen. Vielmehr bedürfte
       es umgekehrt eines Beschlusses, dass das Abkommen bestehen bleiben soll.
       Die Zeit für diese Option allerdings läuft ab: Am 17. Oktober 2025, zehn
       Jahre nach der Annahme, läuft das Abkommen automatisch aus.
       
       Die Drohkulisse einer Rückkehr zu den früheren UN-Sanktionen wäre indes
       wohl begrenzt. Nach 2018 haben die USA unilateral begonnen, weitreichende
       Sanktionen gegen den Iran zu erlassen. Diese betreffen auch Firmen
       weltweit, sofern sie mit den USA Handel betreiben wollen – die Wirkung der
       sogenannten Sekundär-Sanktionen.
       
       ## Stärkster Hebel: Irans Ölexporte
       
       Der wohl weitreichendste Einschnitt beträfe Irans Ölexporte. Auch für diese
       gelten US-Sanktionen, die unter dem demokratischen US-Präsidenten Joe Biden
       jedoch nicht konsequent durchgesetzt wurden. Auch, weil Biden keinen
       Anstieg der Energiepreise in den USA riskieren wollte, erklärt [9][Mahdi
       Ghodsi] der taz. Ghodsi ist Ökonom am Wiener Institut für Internationale
       Wirtschaftsvergleiche und Senior Fellow am Berliner Center for Middle East
       and Global Order. Der Iran habe seine Öl-Exporte auf zuletzt 1,5 Millionen
       Barrel Öl pro Tag erhöhen können. Hauptabnehmer seien Indien und vor allem
       China. Beide Länder würden iranisches Öl mit starken Preisnachlässen
       einkaufen und mutmaßlich international weiterverkaufen. Wer dies wirksam
       verhindern will, muss mit China darüber verhandeln.
       
       „Bei allen Maßnahmen müssen wir uns fragen: Wie treffen wir die
       Verantwortlichen des Regimes und nicht die Bevölkerung in Iran“, sagte
       Baerbock am Donnerstag. Das allerdings ist nicht einfach: Die Bevölkerung
       leidet schon heute immens unter dem internationalen Druck. Ökonom Ghodsi
       schätzt, dass zwischen 30 und 50 Prozent der Iraner*innen mittlerweile
       unter der Armutsgrenze leben. Gleichzeitig, so sagen Expert*innen, ist der
       kritischen Mehrheit im Iran jedoch klar, wer für die schlimme Lage
       verantwortlich ist: das Terrorregime der Mullah-Elite.
       
       Insgesamt sind die Hebel der internationalen Gemeinschaft begrenzt. Viele
       Gelegenheiten, den iranischen Machthabern mit Entschiedenheit
       entgegenzutreten, wurden verpasst, zuletzt mit der Frau, Leben,
       Freiheit-Bewegung im Jahr 2022.
       
       Die Bundesregierung hat nun ihre Sprache gegenüber Teheran verändert.
       Öffentlich wurden die Deutschen in iranischer Haft von deutscher Seite
       bislang nicht als politische Geiseln anerkannt – bis Donnerstag. Für derart
       öffentliche Anklagen ist das iranische Regime durchaus sensibel. Und die
       Reaktion aus Teheran? Bislang haben die Machthaber nur ihren Protest
       ausgedrückt. Es bleibt abzuwarten, ob Deutschlands neue Töne etwas bewegen.
       
       1 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Deutsch-Iraner-Jamshid-Sharmahd/!6046005
   DIR [2] /Deutsch-Iraner-droht-Todesstrafe/!5909928
   DIR [3] /Inhaftierte-Deutsch-Iranerin/!6033036
   DIR [4] /Schliessung-der-iranischen-Konsulate/!6042865
   DIR [5] /Nach-Ermordung-von-Jamshid-Sharmahd/!6046335
   DIR [6] /Terror-der-Revolutionsgarden-des-Iran/!6037542
   DIR [7] https://www.fathollah-nejad.eu/
   DIR [8] /Resolution-zum-Iran/!6040582
   DIR [9] /Deutsche-Iran-Politik/!6003008
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gilda Sahebi
   DIR Jean-Philipp Baeck
       
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