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       # taz.de -- taz Queer Talk mit Zaal Andronikashvili: Schicksalswahl in Georgien, auch für queere Menschen
       
       > Georgien steht vor einer Schicksalswahl. Zaal Andronikashvili gibt im taz
       > Queer Talk Einblicke in die Lage für queere Georgierinnen und Georgier.
       
   IMG Bild: Am Internationalen Tag gegen Homophobie schwenken georgische Aktivist:innen in Tbilisi, der georgischen Hauptstadt, ihre Fahnen (17.5.2017)
       
       Georgien steht vor einer Schicksalswahl. Am 26. Oktober sind
       Parlamentswahlen. Die russlandfreundliche und queerfeindliche Partei
       Georgischer Traum hat laut Prognosen Aussichten, stärkste Kraft zu werden.
       Seit 2012 stellt die vom Oligarchen Bidsina Iwanischwili gegründete Partei
       die Regierung.
       
       Ihre Nähe zu Russland manifestierte sich zuletzt in zwei Gesetzen: Erstens
       im Gesetz gegen „ausländische Einflussnahme“, mit dem die Arbeit von NGOs
       deutlich stärker kontrolliert und eingeschränkt werden soll. Georgiens
       EU-Beitrittsprozess liegt seitdem auf Eis. Zweitens hat Iwanischwilis
       Partei ein Gesetz zur Einschränkung der Rechte von LGBT erlassen. Konkret
       sind zum Beispiel Geschlechtsangleichungen oder Adoptionen von Kindern
       durch gleichgeschlechtliche Paare verboten. Dem russischen Vorbild folgend
       sind auch öffentliche Aufklärung, positive Berichterstattung oder
       Zusammenkünfte wie Prides verboten.
       
       Der Literaturwissenschaftler [1][Zaal Andronikashvili] gibt [2][im taz
       Queer Talk] mit Jan Feddersen Einblicke in die aktuelle politische
       Situation des Landes und für queere Personen: „Diese Wahlen sind anders als
       die früheren Wahlen, weil sich entscheiden wird, ob Georgien sich endgültig
       zu einem autoritären Land entwickelt, sich von Europa komplett abwendet und
       in die russische Einflusssphäre zurückkehrt.“
       
       Zuletzt bekräftigte der Oligarch Iwanischwili die autoritäre Ausrichtung
       seiner Partei, indem er ankündigte, Oppositionsparteien im Falle eines
       Wahlsiegs per Verfassungsänderung verbieten zu wollen. Iwanischwili, der in
       den 1990er Jahren in Russland zum Milliardär wurde, steht exemplarisch für
       die Formen des russischen Einflusses, wie Andronikashvili erläutert:
       „Georgien war in vielen Sachen dem russischen Einfluss, auch dem direkten
       Krieg ausgeliefert. Wir haben in diesen 30 Jahren unter ständiger Bedrohung
       gelebt und im Grunde auch in einem permanenten Kriegszustand, der am Anfang
       hybrider war, dann später nicht mehr so hybrid. Georgien hat es anders als
       baltische Staaten nicht geschafft, nach dem Zerfall der Sowjetunion das
       alte sowjetische Machtsystem zu demontieren. Es ist ein innenpolitischer
       Kampf für die Demokratie und es ist ein außenpolitischer Abwehrkampf gegen
       Russland.“
       
       ## Verwestlichung – Verqueerung?
       
       Teil der [3][autoritären, antiliberalen Ideologie] ist der Kampf gegen
       alles, was mit dem Westen verbunden wird. Dazu gehört auch der Schutz von
       Minderheiten. Andronikashvili zufolge platzieren der „Georgische Traum“ und
       Iwanischwili eine Verwestlichung, zum Beispiel durch „Verqueerung“ als
       Gefahr für Georgien. Eine Abwehr der Verwestlichung wird auch als
       Friedensgarant verkauft, im Wahlkampf wurden Bilder von Zerstörungen in der
       Ukraine dem unversehrten Georgien gegenübergestellt – als Warnung.
       
       Zaal Andronikashvili sieht in dieser Politik eine eindeutige Handschrift
       Moskaus und eine spezifische Form von Queerfeindlichkeit, die er als
       politische Homophobie bezeichnet: „Ja, also es ist nicht nur einfach eine
       Queerfeindlichkeit, die im Alltag vorkommt und die kommt auch vor, auch in
       Georgien, auch im Kirchenmilieu, sondern politische Homophobie ist die
       Instrumentalisierung der Queerfeindlichkeit für politische Zwecke. Und
       diese Art der Queerfeindlichkeit oder Homophobie wurde tatsächlich in
       Russland erfunden.“
       
       ## Das traditionelle Russland
       
       Kerninhalt dieser Ideologie sei das traditionelle Russland, das [4][mit
       Orthodoxie], traditionellen Werten in Verbindung gebracht werde, und in der
       Propaganda dem „verweichlichten, verqueerten Westen“ gegenübergestellt
       werde. Andronikashvili weist darauf hin, dass das sehr tiefe Wurzeln habe,
       die bis in die sowjetische Geschichte zurückreichten.
       
       Im sowjetischen Staat spielte Gewalt eine zentrale Rolle, wie
       Andronikashvili erläutert: „Wenn man im Westen zum Beispiel davon ausgeht,
       dass Konflikte im Dialog gelöst werden können, kannte das sowjetische
       System nur Gewalt als Lösung eines Konfliktes. Und der Staat war natürlich
       der oberste Gewalttäter und der kleine Bürger war der staatlichen Gewalt
       ausgesetzt. Aber symbolisch in der Bildsprache war diese Figur aus dem
       Lager, also die Figur der sexualisierten Gewalt ausgesetzt wird, ein Symbol
       dessen, wer die absolute Gewalt erleidet. Dieses Bild wurde reaktiviert in
       Putins Russland. Das heißt, durch dieses Bild wird gezeigt, dass Russland
       auf Stärke, auf Männlichkeit basiert – so etwas wie diese kriminelle
       Gewalttätigkeit ausstrahlt, während der Westen schwach verweichlicht ist.
       Und eine Figur [für diese Verweichlichung] ist Queerness, um nicht zu sagen
       Homosexualität.“
       
       ## Ein nötiges Feindbild
       
       Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ und ihr Chefdenker brauchen LGBT
       als Feindbild, da sie aufgrund der an sich hohen Zustimmungswerte zur EU in
       der georgischen Bevölkerung sonst wenig habe, um den Westen und
       insbesondere Europa zu dämonisieren, liefert Andronikashvili als einen
       Erklärungsansatz.
       
       Dennoch zeigt er sich im Gespräch optimistisch: „Noch ist Georgien nicht
       verloren. Georgierinnen und Georgier können etwas machen. Das Mindeste, was
       sie machen können, ist wählen gehen. Aber auch die Unterstützung aus Europa
       ist sehr wichtig, sei es symbolische, sei es, dass man überhaupt weiß, was
       in Georgien vor sich geht.“
       
       25 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Proteste-in-Georgien/!6008744
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=0m62uMtSVPE
   DIR [3] /Ideologische-Logik-hinter-Putins-Krieg/!5835258
   DIR [4] /Russisch-Orthodoxe-Kirche/!t5009132
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Till Randolf Amelung
       
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