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       # taz.de -- Autor über slowakische Regierung: „Rechtspopulisten regieren lassen? Lieber nicht!“
       
       > Der Schriftsteller Michal Hvorecký spricht über Rechtsruck und
       > kulturpolitischen Umbau in der Slowakei. Ein mahnendes Beispiel auch für
       > Deutschland.
       
   IMG Bild: Protest gegen die rechte Regierung am Freiheitsplatz in Bratislava, März 2024
       
       taz: Herr Hvorecký, in der Slowakei findet gerade ein politischer und
       kulturpolitischer Umbau auf Betreiben der Regierung statt. Welche
       Entwicklungen halten Sie für besonders besorgniserregend? 
       
       Michal Hvorecký: In der Slowakei haben sich die sogenannten
       Sozialdemokraten (Hlas) und die Partei von Robert Fico (Smer) 2023 dazu
       entschieden, mit der rechtsextremen Slowakischen Nationalpartei (SNS) zu
       koalieren. Mir war von Anfang an klar, dass es eine Illusion ist, zu
       glauben, die Rechtsextremen würden sich dann entradikalisieren oder selbst
       entzaubern, wenn sie in der Regierung sind. Und ich habe recht behalten.
       Inzwischen hat das Land einen massiven Rechtsruck erlebt, die Bilanz ist
       eine Katastrophe.
       
       taz: Worin besteht diese Katastrophe für Sie? 
       
       Hvorecký: Der größte Skandal liegt in den Nominierungen von Tomáš Taraba
       zum Umweltminister und von [1][Martina Šimkovičová] zur Kulturministerin.
       Taraba stammt aus dem Umfeld der völkischen ĽSNS mit Wurzeln in der
       Neonaziszene, er war früher Vorsitzender der rechtsextremen christlichen
       Partei Život. Die Kulturministerin ist eine ehemalige TV-Moderatorin, sie
       wurde von ihrem früheren Arbeitgeber, einem Privatsender, wegen
       rassistischer Kommentare während der Flüchtlingskrise 2015 entlassen.
       Seither hat sie Fake News verbreitet, sie ist eine Art rechte Influencerin,
       mit ihren menschenfeindlichen, homophoben und rassistischen Web-Videos hat
       sie Hunderttausende erreicht. Ihr Weltbild ist völkisch, und es hat sich
       nicht verändert, seit sie im Amt ist. Sie wird übrigens auch von der AfD
       unterstützt. Über die Wahlliste der SNS ist Šimkovičová in die Regierung
       und ins Ministeramt gekommen, sie ist kein Parteimitglied. Das ist in der
       Slowakei leider möglich. Vertreter dieser Partei sind hauptsächlich
       Verschwörungstheoretiker, Antisemiten, Klimawandelleugner und Impfgegner.
       
       taz: Šimkovičová hat innerhalb eines Jahres zahlreiche Intendanten und
       Führungskräfte entlassen. 
       
       Hvorecký: Ja, sie hat unter anderem den Generaldirektor des Slowakischen
       Nationaltheaters, [2][Matej Drlička, entlassen.] Auch die Leitungen der
       Kunsthalle Bratislava, des Kinderkulturzentrums Bibiana, der Slowakischen
       Nationalbibliothek und der Nationalgalerie hat sie ausgetauscht. Und leider
       müssen wir mit weiteren Entlassungen rechnen. Der neue Chef der
       Nationalgalerie, Anton Bittner, ist Finanzmanager, der von sich sagt, er
       habe keine Ahnung von Kunst. Das genannte Kinderkulturzentrum leitet nun
       Petra Flachová – auch sie hat keine kulturellen Kenntnisse, sie war aber
       eine Nachbarin von Šimkovičová, was als Qualifikation offenbar genügt.
       Kultur soll für Šimkovičová ohnehin bloß Unterhaltung sein und möglichst
       nichts mit Politik zu tun haben.
       
       taz: Das Kulturministerium hat auch die öffentlich-rechtlichen Sender nach
       polnischem und ungarischem Vorbild umgebaut. 
       
       Hvorecký: Ja, die öffentlich-rechtlichen Medien sind dem Kulturministerium
       unterstellt, Šimkovičová hat da vom ersten Tag einen klaren Plan verfolgt.
       Fernseh- und Radiosender begannen unter neuen Namen, die Ministerin hat
       selbstverständlich behauptet, sie würden nun ausgewogener und kritischer
       berichten. Tatsächlich sind es jetzt mehr oder weniger Propagandasender der
       Regierung. Es werden zum Beispiel ellenlange Monologe des Premierministers
       ausgestrahlt, ohne kritische Fragen des Moderators.
       
       taz: Sie kämpfen dafür, dass Šimkovičová abgesetzt wird. Es gab eine
       Petition mit mehr als 180.000 Unterschriften, die ihre Absetzung gefordert
       hat. 
       
       Hvorecký: Es gab zwei Petitionen, die zweite habe ich mitinitiiert. Wir
       haben zweimal rund 190.000 Unterschriften gesammelt. Es gab mehrere
       Demonstrationen, einen Streik in der Kulturszene. Aber sie ist immer noch
       im Amt.
       
       taz: Zuletzt wollte die Koalition auch die Steuer auf Bücher erhöhen, von
       10 auf 23 Prozent. 
       
       Hvorecký: Ja, aber sie haben das Vorhaben zurückgezogen. Es gab zu viele
       Proteste von Verlagen und Literaturinstitutionen. Es lohnt sich also, zu
       protestieren!
       
       taz: Die Kulturministerin hat Sie wegen Verleumdung angezeigt, weil Sie sie
       eine Neofaschistin genannt haben. Sorgen Sie sich um Ihre eigene Zukunft in
       der Slowakei? 
       
       Hvorecký: So weit ist es noch nicht. In dem Fall geht es um einen Text von
       mir, der bereits bei der Gründung der Koalition vor einem Jahr erschienen
       ist. Ich habe darin vor der Zusammenarbeit mit Neofaschisten auf
       Regierungsebene gewarnt. Die Kulturministerin fordert eine Haftstrafe von
       bis zu fünf Jahren für mich. Das ist absurd. Wenn ich sie eine
       Neofaschistin nenne, dann es ist es kein Schimpfwort, sondern es beschreibt
       ihre politischen Ansichten und ihr Weltbild. Sie hat zum Beispiel davon
       gesprochen, dass die „LGBT-Propaganda“ für „das Aussterben der weißen
       Rasse“ verantwortlich sei. Grundsätzlich gibt es jetzt viele Versuche,
       kritische Stimmen und kritische Journalisten einzuschüchtern. Auch
       Premierminister Fico hat eine Anzeige gegen einen Journalisten gestellt.
       Ich bin da nicht der einzige Fall.
       
       taz: Es gab nun schon viele Protestaktionen, Demonstrationen mit Tausenden
       Menschen in der Hauptstadt Bratislava. Glauben Sie, Sie können diesen
       Widerstand aufrechterhalten? 
       
       Hvorecký: Ich hoffe, dass es gelingen kann. Aber man sollte nicht allzu
       hohe Erwartungen haben, weil Robert Fico seine vierte Amtszeit meines
       Erachtens vor allem als Rache an seinen Gegnern versteht. Fico war 2018
       nach dem Auftragsmord an dem Investigativ-Journalisten Ján Kuciak und
       seiner Verlobten eigentlich politisch am Ende. Seit er wieder an der Macht
       ist, regiert er mit harter Hand, daran hat auch das Attentat auf ihn nichts
       geändert. Trotzdem: Seine Partei und die sogenannten Sozialdemokraten
       spüren wohl eigentlich schon, dass es mit diesem Umweltminister und dieser
       Kulturministerin so nicht weitergeht. Ihr Koalitionspartner von der
       Slowakischen Nationalpartei liegt in Umfragen nur noch bei 3 Prozent, sie
       sind extrem unpopulär.
       
       taz: Also haben Sie noch Hoffnung, dass die Koalition zerbricht? 
       
       Hvorecký: Eine kleine Hoffnung besteht, dass sie auseinanderbrechen könnte.
       Es gab jetzt schon Abstimmungen in der Koalition, die knapper waren. Aber
       Fico ist ein Machtmensch, er wird alles dafür tun, dass die Stabilität
       erhalten bleibt.
       
       taz: Gäbe es denn mögliche progressive Bündnisse? 
       
       Hvorecký: Das Problem ist, dass die Slowakei kaum noch proeuropäische,
       demokratische, linke Parteien hat. Natürlich gibt es noch die Opposition,
       die Progresívne Slovensko („Progressive Slowakei“). Aber sie haben Angst,
       sich als links zu bezeichnen. In den ehemaligen Ostblockstaaten ist das ein
       Problem, weil viele Menschen noch die linksautoritäre Zeit erlebt haben und
       die Bezeichnung „links“ somit vorbelastet ist. Fico dagegen hätte als
       möglichen Koalitionspartner immer noch die Partei Hnutie Republika
       (Republika-Bewegung), die aus der Neonaziszene kommt und gerade in Umfragen
       bei fast 10 Prozent steht – sie in der Regierung zu haben, wäre auch eine
       Horrorvorstellung.
       
       taz: Sind Sie enttäuscht von den ausbleibenden Reaktionen seitens der EU
       auf den Rechtsruck in der Slowakei? 
       
       Hvorecký: Ich bin ein bisschen enttäuscht, wie wenig die Europäische
       Kommission auf diese Situation reagiert, auch auf die Justizreform zum
       Beispiel, auf den Abbau der Rechtsstaatlichkeit. Positiv überrascht aber
       bin ich von der großen Welle der Solidarität aus der europäischen
       Kulturszene. Jahrzehntelang blieb die slowakische Kultur eher im Schatten
       und wurde wenig beachtet, nun nimmt man sie wahr. Gerade aus dem
       Nachbarland Österreich, wo es mit dem [3][Wahlsieg der FPÖ] ähnliche
       Tendenzen gibt, ist die Solidarität sehr groß; aber auch aus Deutschland
       oder Frankreich.
       
       taz: Kann die Slowakei ein mahnendes Beispiel für andere Länder wie
       Deutschland sein? 
       
       Hvorecký: Auf jeden Fall. Es zeigt, was es bedeutet, wenn man mit diesen
       Menschen koaliert. Sie werden nicht plötzlich milder oder versuchen,
       tatsächlich Probleme zu lösen. Viele in den europäischen Ländern sagen
       jetzt: Lasst die Rechtspopulisten doch regieren, damit die Leute sehen,
       dass sie es nicht können. Ich sage: Bitte lieber nicht.
       
       taz: In der Kultursparte wird in Deutschland im öffentlich-rechtlichen
       Rundfunk massiv gekürzt. Wird der kulturelle Sektor als politisches Feld
       unterschätzt? 
       
       Hvorecký: Nicht nur als politisches Feld, sondern überhaupt. Gerade in den
       Zeiten multipler Krisen sollten wir in Kultur und Bildung investieren, sie
       als Prioritäten betrachten. Wir tun in Europa viel zu wenig, um Tendenzen
       zum Autoritären zu stoppen. Ich bin in der Diktatur groß geworden. Ich war
       13, als die demokratische Wende und die Öffnung kamen. Ich möchte, dass
       meine Kinder auch demokratisch leben dürfen. Insofern ist es auch kein
       gutes Zeichen, wenn eine Mitte-links-Regierung in Deutschland bei Kultur
       und Bildung drastisch spart. Denn Kultur ist eine Option, die Demokratie zu
       stärken.
       
       29 Oct 2024
       
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