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       # taz.de -- Missbrauchs-Vorwürfe in Spaniens Linke: Sumar-Fraktionssprecher tritt zurück
       
       > Iñigo Errejón, Fraktionssprecher der spanischen Regierungspartei Sumar,
       > legt nach Missbrauchsvorwürfen das Amt nieder – und äußert sich wenig
       > empathisch.
       
   IMG Bild: Rücktritt: Iñigo Errejón bei einer Versammlung linker Parteien in Madrid im März 2024
       
       Madrid taz | Spaniens Linke ist im Schockzustand. Am Donnerstag Nachmittag
       trat der einstige Mitbegründer der linksalternativen Podemos und
       Fraktionssprecher des kleineren der beiden Koalitionspartner der Regierung
       unter Pedro Sánchez, Sumar, Iñigo Errejón von allen politischen Ämtern
       zurück und gibt sein Parlamentsmandat ab.
       
       Vorangegangen war ein Social-Media-Beitrag, in dem die bekannte
       Journalistin Cristina Fallaras von einem „bekannten Politiker in Madrid“
       berichtet, gegen den Anschuldigungen der sexuellen Belästigung, der
       psychologischen Gewalt sowie ungewollten körperlichen Kontakten erhoben
       würden. Fallaras berichtet von einem „echten Monster“ und veröffentlichte –
       ohne Namen zu nennen – Aussagen betroffener Frauen.
       
       ## Erste Anzeige wegen sexueller Belästigung
       
       Wer zwischen den Zeilen lesen konnte, dem war schnell klar, dass es sich
       bei dem Mann um Errejón handeln musste. Und damit ausgerechnet um einem
       linksalternativen Politiker, der sich den Feminismus immer wieder auf die
       Fahne geschrieben hatte. Kaum zurückgetreten, machte eine der betroffenen
       Frauen, die Schauspielerin und TV-Moderatorin Elisa Mouliáa, einen Schritt
       nach vorn und zeigte den Linkspolitiker noch am Donnerstag wegen
       anhaltender sexueller Belästigung an.
       
       Mouliaá berichtet in ihrer Anzeige – so die online-Zeitung elDiario.es –
       dass Errejón sie während einer Party 2021 „stark“ am Arm gepackt und „sie
       gewaltsam etwa sechs Meter einen Flur entlang in ein Zimmer gezerrt habe.
       Er habe dann die Tür geschlossen und sie bedrängt. Die Schauspielerin
       berichtet von aufgezwungenen Küssen, Berührungen am ganzen Körper und
       selbst davon, dass Errejón seinen Penis aus der Hose geholt habe.
       
       Mouliaá zufolge hatten sie sich erst wenige Stunden zuvor kennengelernt,
       nachdem sie ein Jahr lang auf Instagram miteinander gesprochen hatten und
       sie die Präsentation seines Buches besucht habe, weil sie ihn „politisch
       bewunderte“.
       
       ## Eigenes Fehlverhalten aus Außenperspektive reflektiert
       
       Errejón veröffentlichte am Donnertag ein langes Schreiben, um seinen
       Abschied aus der Politik zu begründen. „An der vordersten Front in Politik
       und Medien hält man mit Verhaltensformen durch, die sich von Fürsorge,
       Empathie und den Bedürfnissen anderer lossagen. Zumindest war das in meinem
       Fall der Fall so. Dies erzeugt eine toxische Subjektivität, die bei Männern
       das Patriarchat verstärkt, gegenüber Arbeitskollegen,
       Organisationskollegen, in emotionalen Beziehungen und sogar gegenüber sich
       selbst“, analysiert Errejón in seiner bekannten brillanten Art und Weise.
       
       Jedoch eben auch so, als stünde er einige Meter neben sich selbst, um zu
       beobachten, wie aus einem Politiker mit alternativen Ansprüchen dieser Mann
       wurde, den die Frauen in ihren Aussagen beschreiben.
       
       „Ich habe die Grenze des Widerspruchs zwischen Charakterrolle und Person
       erreicht. Zwischen einer neoliberalen Lebensform und dem Sprecher einer
       Formation, die für eine neue, humanere und gerechtere Welt eintritt. (…)
       Ich arbeite seit einiger Zeit an einem persönlichen und psychologischen
       Unterstützungsprozess, aber die Wahrheit ist, dass ich, um darin
       voranzukommen und für mich selbst zu sorgen, die institutionelle Politik,
       ihre Anforderungen und Rhythmen aufgeben muss“, schreibt Errejón weiter.
       
       ## Druck aus den eigenen Reihen
       
       Errejón ist einer der bekanntesten Politiker der spanischen Linken. Er
       gehörte zur kleinen Gruppe derjenigen, die vor über zehn Jahren die
       linksalternative Podemos ins Leben riefen. Später dann überwarf er sich
       [1][mit Parteichef und Freund Pablo Iglesias] über strategische
       Entscheidungen und gründete zuerst in Madrid mit Más Madrid und dann
       landesweit mit Más España eine eigenen Formation. Schließlich schloss sich
       diese [2][dem Wahlbündnis Sumar an] und Errejón wurde Fraktionssprecher des
       kleineren der beiden Koalitionspartner [3][der derzeitigen Linksregierung
       unter dem Sozialisten Pedro Sánchez].
       
       Mittlerweile ist klar, die Vorwürfe gegen Errejón waren sowohl beim
       Wahlbündnis Sumar – gegründet von Arbeitsministerin und
       Vizeregierungschefin Yolanda Díaz – als auch bei Errejóns eigener Formation
       Más País schon seit Tagen, wenn nicht gar seit Wochen bekannt. Letztendlich
       trat der Errejón auf Druck aus seinen eigenen Reihen zurück.
       
       „Unser Engagement gegen den Machismus und für eine feministische
       Gesellschaft ist unerschütterlich“, erklärte Díaz am Donnerstag. „Jetzt
       gilt es den Frauen zuzuhören“, fügt sie hinzu.
       
       Regierungschef Pedro Sánchez schreibt auf X: „Die Regierung setzt sich für
       ein feministisches Spanien ein, in dem Frauen die gleichen Rechte, die
       gleichen Chancen und die gleiche Freiheit und Sicherheit haben wie Männer.
       Ich verurteile rundum all diejenigen, die gegen dieses Projekt der
       Gleichheit vorgehen.“
       
       Wie sich der Fall Errejón auf die in den Umfragen ständig sinkenden Sumar
       und damit auf die Koalitionsregierung auswirkt, wird sich in den kommenden
       Wochen zeigen.
       
       25 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
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