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       # taz.de -- Wahlen in Georgien: KO-Sieg mit unfairen Mitteln
       
       > In Georgien hat die Regierungspartei Georgischer Traum nach offiziellen
       > Ergebnissen klar die Parlamentswahl gewonnen. Die Opposition sieht
       > Betrug.
       
   IMG Bild: Wahlsieger: Bidsina Iwanischwili, Gründer und Führer der Regierungspartei Georgischer Traum
       
       Tbilisi taz | Gut informiert zu sein, ist stets von Vorteil: Georgiens
       Regierungspartei Georgischer Traum (KO) wusste bereits vor Schließung der
       Wahllokale um 20 Uhr Ortszeit, dass sie die [1][Parlamentswahl am Samstag]
       gewinnen würde. Und so kam es denn auch, laut offiziellen Angaben der
       Zentralen Wahlkommission: Vorläufigen Ergebnissen zufolge und nach
       Auszählung von 99 Prozent der Wahlkreise holte der KO 54 Prozent der
       Stimmen. Darüber hinaus schafften vier weitere Oppositionsbündnisse den
       Sprung über die Fünfprozenthürde und werden im neuen Parlament vertreten
       sein: die Koalition für Veränderungen, die Einheit – Nationale Bewegung,
       Starkes Georgien und Für Georgien. Sie kamen zusammen auf 37 Prozent der
       Stimmen. Insgesamt waren 19 Parteien angetreten.
       
       Erstmals wurde bei dieser Wahl nach dem reinen Verhältniswahlrecht gewählt.
       Die Stimmen von rund 90 Prozent der Wähler*innen – ebenfalls eine
       Neuerung – wurden mit einem elektronischen Zählsystem erfasst. Die
       Wahlbeteiligung lag bei 59 Prozent – der höchste Wert seit 2012 (60,8
       Prozent), als der KO erstmals stärkste Kraft geworden war und die Regierung
       gestellt hatte.
       
       Erste Exit-Polls, die kurz nach 20 Uhr veröffentlicht worden waren, wichen
       erheblich voneinander ab. Während der regierungsnahe TV-Sender Imedi den KO
       bei 56 Prozent sah, vermeldeten die beiden oppositionellen Sender Mtavari
       Arkhi und Formula 42 Prozent.
       
       Nach jetzigen Stand würde der KO 89 von 150 Sitzen im Parlament erhalten.
       Damit verfehlt die Partei deutlich eine verfassungsändernde Mehrheit, was
       ein erklärtes Wahlziel gewesen war. Mehrmals hatten KO-Vertreter*innen
       angekündigt, in diesem Fall [2][die Opposition verbieten zu wollen] – allen
       voran die Vereinte Nationale Bewegung (ENM) des früheren und derzeit in
       Georgien inhaftieren Präsidenten Micheil Saakaschwili.
       
       ## Opposition will die Wahl nicht anerkennen
       
       Der KO hatte die Abstimmung vom Samstag zu einer Wahl zwischen Krieg und
       Frieden stilisiert – verbunden mit dem Vorwurf, der Westen und die
       Opposition wollten die Südkaukasusrepublik in Russlands Krieg gegen die
       Ukraine hineinziehen. Der Gründer des KO, der milliardenschwere Oligarch
       Bidzina Iwanischwili, der in der Partei immer noch die Strippen zieht,
       hatte am Wahlabend das Ergebnis als seltenen Sieg in einer schwierigen
       Situation bezeichnet. „Ich versichere Ihnen, dass unser Land in den
       kommenden vier Jahren große Erfolge erzielen wird.“ Georgien werde zu einem
       der erfolgreichsten Länder weltweit werden, sagte Iwanischwili.
       
       Der Bürgermeister der Hauptstadt Tbilisi, Khaka Kaladze, der ebenfalls dem
       KO angehört, warnte die Opposition vor „illegalen Aktionen“. Diese werde
       der Staat mit aller Härte beantworten.
       
       Die Opposition hatte vor den Wahlen von einer fundamentalen
       Richtungsentscheidung zwischen einer europäischen Zukunft oder einer
       weiteren Hinwendung nach Russland gesprochen.
       
       Die ENM kündigte am frühen Sonntagmorgen an, die Wahlergebnisse nicht
       anerkennen zu wollen. Die Vorsitzende, Tina Bokuchava, sagte, die Wahlen
       seien gestohlen worden. Sie rief die anderen Oppositionsbündnisse dazu auf,
       sich ihrem Statement anzuschließen. Größere Proteste vielleicht noch am
       Sonntag seien noch wahrscheinlich. Nika Gvaramia, unter Saakaschwili
       Justiz- und Bildungsminister und von der Koalition für Veränderungen,
       sprach von einem Staatsstreich. Seine Gruppierung werden den Wahlausgang
       ebenfalls nicht akzeptieren.
       
       Mamuka Khazaradse vom Bündnis Starkes Georgien beschuldigte Iwanischwili in
       den sozialen Medien, bei den Wahlen eine Spezialoperation des KGB
       ausgeführt zu haben. Das Land werde auf Russland vorbereitet. „Ich kann und
       werde diesen Fälschungen nicht zustimmen. Niemals!“, schrieb er.
       
       ## Zahlreiche Unregelmäßigkeiten in den Wahllokalen
       
       Lokale und internationale Wahlbeobachter*innen hatten bereits am
       Sonntagabend von massiven Verstößen berichtet. So sei es in mehreren
       Wahllokalen zu Schlägereien gekommen. Tätliche Angriffe habe es vor allem
       auf Wahlbeobachter*innen sowie Medienvertreter*innen gegeben.
       
       Auch auf Wähler*innen sei erheblicher Druck ausgeübt worden. Angaben der
       Organisation „My vote“ zufolge – ein Dachverband von dutzenden
       einheimischen Nichtregierungsorganisationen und am Wahltag mit rund 2.000
       Beobachter*innen landesweit präsent – hätten Wähler*innen zwei
       Stimmzettel erhalten. Auf einigen sei der KO bereits markiert gewesen. Auf
       einem Video aus dem Wahlbezirk Marneuli im Süden Georgiens ist ein Mann zu
       sehen, der Stimmzettel gleich stapelweise in eine Urne stopft. In vielen
       Fällen, so My vote, sei es unmöglich gewesen, den Wahlprozess überhaupt zu
       beobachten.
       
       Zu den ersten Gratulanten des KO gehörte übrigens Ungarns Regierungschef
       Viktor Orbán. „Herzlichen Glückwunsch an Premier Irakli Kobachidze und die
       Partei Georgischer Traum zu ihrem überwältigenden Sieg bei den
       Parlamentswahlen. Das georgische Volk weiß, was das Beste für sein Land ist
       und hat seiner Stimme heute Gehör verschafft“, schrieb Orbán.
       
       Die Kreml-Propagandistin und Chefredakteurin des russischen Senders RT,
       Margarita Simonyan, quittierte das Ergebnis auf X mit „Gut gemacht!“ Auch
       der Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses im estnischen Parlament, Marco
       Mikhelson, meldete sich zu Wort. „Georgiens offensichtliche Wahlfälschung
       macht es unmöglich, die Legitimität der Wahlen anzuerkennen. Wenn Wahlen
       gefälscht werden, kann man nicht der Europäischen Union beitreten, sondern
       landet in den Armen Russlands“, postete er am Samstagabend. Georgien hatte
       im vergangenen Dezember von der EU den Kandidatenstatus erhalten. Seit Juni
       dieses Jahres laufen Beitrittverhandlungen, die derzeit jedoch ausgesetzt
       sind.
       
       27 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
       
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