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       # taz.de -- Ars Viva für Helena Uambembe: Im Ornament das Verbrechen
       
       > Die Kunsthalle Bremen stellt die Künstlerin Helena Uambembe vor. Sie
       > weckt die Geister der Geschichte aus einer verblüffenden Perspektive.
       
   IMG Bild: Ist da nicht ein Riss im Raum? Installationsansicht „On the Site of Okavango“, 2024 in Berlin
       
       Betritt man den braungrau bemalten Linoleumboden in der Kunsthalle Bremen,
       verliert man sich schnell in den hypnotischen Ornamenten der
       Bodenzeichnungen. Und in dem entfernten Klang spielender Kinder, der sich
       darüberlegt. Wir befinden uns in Helena Uambembes jüngster Installation mit
       dem Titel „Standard Issue (A meditation on things we do not care for)“.
       
       Helena Uambembe, 30 Jahre alt, südafrikanische Künstlerin aus einer
       angolanischen Familie, hat gerade den renommierten Ars Viva Preis des
       Bundesverbands der deutschen Industrie gewonnen, zusammen mit den Künstlern
       Wisrah C. V. da R. Celestino und Vincent Scheers. Sie alle stellen nun in
       Bremen aus. Plötzlich wird man aus dem kontemplativen Zustand
       herausgerissen. Zwischen den Kinderrufen hämmern Schüsse, die verspielte
       Bodenzeichnung entpuppt sich als eine Aneinanderreihung von AK-47-Gewehren
       und Soldaten. Im Ornament versteckt sich das Verbrechen.
       
       „Mein Vater war Soldat“, sagt Uambembe im Gespräch. Ihre ganze Familie habe
       einen militärischen Hintergrund. Sie seien vor dem Bürgerkrieg in Angola
       1975 ins südafrikanische Pomfret geflohen, wo viele Angolaner lebten, die
       für das berüchtigte 32. Bataillon der [1][südafrikanische]n Apartheidarmee
       kämpften. Auf die Idee für ihre Installation in Bremen habe sie aber ein
       Werbeplakat der deutschen Bundeswehr gebracht. „Die Soldaten darauf sahen
       so jung aus“, sagt Uambembe. „Ich habe mich gefragt: Rekrutiert das
       deutsche Militär jetzt Kinder?“
       
       Das erinnerte sie an ihre eigene Kindheit. An Kinderspiele, in denen die
       Kriegserfahrungen der eigenen Väter verhandelt wurden. Den Linoleumboden
       habe sie in einem Berliner Baumarkt gesehen. Auch er habe sie an ihre
       Kindheit in Pomfret erinnert, an die aufwendig verzierten Teppiche, mit
       denen die Frauen versuchten, die Häuser schön zu halten, um den Schrecken
       vom Krieg aus den eigenen vier Wänden zu verbannen.
       
       ## Trauma und Bilderverbot
       
       Dieses dialektische Ineinandergreifen von Verdrängung und schleichender
       Rückkehr des Verdrängten, der Heimsuchung des Krieges, des Horrors von
       Vertreibung und Flucht, steht im Zentrum von Uambembes Kunst: „Meine
       Arbeiten sind ruhig, Gewalt tritt nur nuanciert auf“, erklärt sie. Ihr
       Darstellungsprinzip folgt dabei dem des Traumas, dem Bilderverbot.
       
       Uambembe selbst sagt: „Es ist nicht richtig, Gewalt explizit zu zeigen.
       Gerade heutzutage stumpft uns das weiter ab, distanziert uns vom Leid
       anderer.“ Dabei spielt Uambembe auf die Medialisierung von Krieg an. Die
       Dauerpräsenz massakrierter Körper in Bildern, die schon die Theoretikerin
       Susan Sontag in ihrem Essay „Das Leid anderer betrachten“ kritisiert hatte.
       Bilder, die überproportional oft die Körper Schwarzer Menschen zeigen. Auch
       das ein Erbe des Kolonialismus.
       
       Die lauernde Präsenz des Krieges, seine gespenstische Anwesenheit in der
       Biografie der Künstlerin, zieht sich durch alle Arbeiten Uambembes. Das
       Kinderspiel, wie zum Beispiel in der 2021 entstandenen Installation „Pim
       Pum Pam“, wird dabei häufig zum erzählerischen Medium. Kriegstraumata
       werden vermittelbar. In „Pim Pum Pam“ sind es die Lieder, die Kinder beim
       Spielen singen, die zu Menetekeln werden. Ein naiv zusammengebasteltes
       Spielfeld aus Backsteinen und Metallstangen, das plötzlich zum Schlachtfeld
       wird: „Pim Pam Pum, each Bullet kills one“, heißt es da.
       
       Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges schrieb schon der
       [2][Psychoanalytiker Sigmund Freud] über das „Als-ob-Spiel“ und wie es
       unbewusst Kriegstraumata bewältigt – das Wiederholen im Spiel erlaubt die
       Annäherung ans Erlebte, der Spielrahmen bietet sichere Distanz.
       
       ## Die Schichten der Psyche
       
       Mit Freud ließe sich auch ein weiterer Aspekt von Uambembes vielgestaltiger
       Kunst betrachten. In „Das Unbehagen in der Kultur“ schildert der
       Psychoanalytiker einen Spaziergang durch Rom. Was er an der römischen
       Architektur erkennt: Geschichte gestaltet sich in „Schichten“ – genauso die
       menschliche Psyche. Eine architektonische Epoche legt sich über die andere,
       eine Erfahrung über die nächste, und verändert die Oberfläche.
       
       In Werkserien wie „Commander Nel’s Archive“ (2020) oder „Ghost of my
       Parents Past“ (2018/19) sind es Foto- und Lithografien archivarischer
       Bilder, die Uambembe neu beschichtet. Mit Zeichnungen, Beschriftungen oder
       Scherenschnitten des eigenen Körpers. Es sind Fotos aus Kolonialarchiven,
       schwarz-weiße Bilder, die Momente der Geschichte des Bürgerkriegs [3][in
       Angola] zeigen. Ein Krieg, der mit Unterbrechungen von 1975 bis 2002
       andauerte. Uambembe versucht sich einzuschreiben in diese Momente,
       „Interventionen in Geschichte“ nennt sie das. Man könnte auch sagen:
       [4][Eine postkoloniale Aneignung] der eigenen Geschichte, die immer auch
       eine der Fremdherrschaft, der Entfremdung ist.
       
       Uambembes Modus der Aneignung ist dabei nicht [5][– wie so oft in der
       Gegenwartskunst – identitätsstiftend]. Nicht Vereinnahmung der Geschichte,
       sondern ihre Störung. Uambembe will Geister wecken, die unerkannt in den
       Oberflächen der Geschichte, ihren Trägerobjekten stecken. Sie sind ihr
       künstlerisches Material. An ihnen entfacht sich eine Erinnerung und öffnet
       den Raum, in dem Geschichte neu betrachtet werden kann – als persönliche
       und als globale. Oder wie Uambembe sagt: „Ich will zeigen, wie sich die
       Weltpolitik der Vergangenheit im Privaten und in meiner Gegenwart
       eingeschrieben hat.“
       
       In Ausstellungen wie „On the site of the Okavango“, die jüngst in der
       Berliner Galerie Anton Janizewski zu sehen war, erzählt Helena Uambembe von
       gewaltsamen Grenzkonflikten in Angola und Namibia, von Militärcamps und
       Flussmärchen.
       
       ## Erinnern und wiederholen
       
       Uambembe tut das im Raum der Erinnerung, der für sie auch einer der
       Manipulation ist. Als „Reiteration“ hat der [6][Philosoph Jacques Derrida]
       den Prozess des Erinnerns beschrieben. Mit jeder Wiederholung eines
       Ereignisses schreibt sich darin eine neue Bedeutung ein. Reiterationen sind
       auch Uambembes Nachbauten von Räumen ihrer Kindheit. Wie das verfallene,
       von einem Maschendrahtzaun umgebende Haus aus ihrem Geburtsort Pomfret, das
       sie im letzten Jahr im MMK Frankfurt rekonstruierte. Oder wie die
       Installation „What you see is not what you remember“ (2022), die auf der
       Art Basel 2022 zu sehen war.
       
       In Basel gewann Uambembe den renommierten Baloise Art Prize. Eine
       Besonderheit. Selten schafft es junge Kunst, noch dazu politische, in
       Institutionen und auf dem Kunstmarkt gleichzeitig zu bestehen. In beiden
       Installationen, in Frankfurt und in Basel, sind es Details wie bemalte
       Untertassen oder geknickte Blumenhälse, die einen Riss in den erinnerten
       Raum ziehen. Was Uambembe darin zeigt: das Grauen des Traumas, der
       gezwungenen Wiederholung des Vergangenen.
       
       Uambembe aber geht es nicht um persönliche Betroffenheit. Ihr geht es um
       die Immersionskraft ihrer Kunst. „Ich will, dass meine Arbeiten amazing
       sind, mit allen Sinnen spielen“, sagt sie. Uambembe passt nicht in ein
       Kunstverständnis, das sich in den vergangenen Jahren verbreitet hat, und
       insbesondere bei Künstlern des Globalen Südens Betroffenheit zum Maßstab
       ihrer Kunst macht.
       
       ## Statt Paris gehtes nach München, Halle und Freiburg
       
       Den Traum, Künstlerin zu werden, hatte sie schon als Kind. Ihre Familie
       unterstützte sie – was in ihren Verhältnissen nicht selbstverständlich war,
       wie sie sagt. Die Eltern aber sahen, wie ernst ihre Tochter das Zeichnen
       nahm oder in der Bibliothek Kataloge von [7][Francisco de Goya] studierte.
       Sie ermöglichten ihr ein Studium in Pretoria, ein Kunstlehrer half nach.
       Dann kamen erste Performances, erste Gruppenausstellungen in Johannesburg
       und Cape Town. Preise, wie 2019 der in Südafrika durchaus bedeutende David
       Koloane Award, und schließlich Einzelausstellungen in Johannesburg,
       Frankfurt, Berlin.
       
       Helena Uambembe sitzt auf einem Bürostuhl in ihrem Berliner Atelier, wippt
       leicht hin und her. Ein Jahr lang hatte sie ein Stipendium des DAAD, hier
       in Deutschland. Eine Gruppenausstellung in Dortmund hatte sie
       hierhergebracht. [8][Der Ars Viva Preis] hat ihren Aufenthalt jetzt
       verlängert. „Ich habe eigentlich immer davon geträumt, nach Paris zu
       gehen“, sagt sie lachend. Fürs Nächste aber arbeitet sie an einer neuen
       Soundinstallation für das Haus der Kunst in München, 2025 stehen eine
       Ausstellung in Halle an und die Biennale in Freiburg.
       
       Uambembe, die Tochter des Soldaten, kennt die Verhältnisse hier in
       Deutschland. Sie sieht, wie rassistische Kräfte stärker werden. Ihre
       Zukunft als Künstlerin plant sie trotzdem hier; sie fordert sie ein. Mit
       einem hintersinnigen Lächeln, das fast so undurchschaubar ist wie eines
       ihrer Ornamente, sagt sie zum Abschied: „Ich freue mich drauf, ich bin
       bereit.“
       
       29 Oct 2024
       
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