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       # taz.de -- Die Wahrheit: Schwarzwälder Gourmetbürokratie
       
       > Das Einzige in diesem Land, was funktioniert, ist der
       > Regulierungswahnsinn. Darum wird er jetzt weltweit und flächendeckend
       > exportiert.
       
   IMG Bild: Diese Akten bergen mehr als den neuen Sonnenschirmherrschaftserlass an deutschen Küsten …
       
       „Die ist Pflicht“, sagt Aloysius Langhammer und reicht der Staatssekretärin
       ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte über die Ladentheke. Genüsslich macht
       sich Langhammer über sein eigenes Stück her. Auch Staatssekretärin Gutbrot
       lässt es sich schmecken, obwohl sie es sich eigentlich nicht schmecken
       lassen darf, denn das Verspeisen von Schwarzwälder Kirschtorte im Dienst
       verstößt, wie ihr siedend heiß einfällt, gegen Paragraf 17, Absatz 29,
       Punkt 132 der aktualisierten Verköstigungsverordnung für
       Staatssekretärinnen. „Sei’s drum“, denkt sie sich, „erlasse ich eben
       nachher eine aktualisierte Aktualisierung.“
       
       Wir befinden uns im tiefsten Schwarzwald, am Rande von Todtmoos-Au. Ein
       normal besonderer Dienstagnachmittag im Leben von Langhammer, der hier ein
       Bürokratiemanufaktur-Start-up leitet, hübsch gelegen an einem mit Tannen
       bestandenen Hügel. Im vorderen Teil sieht der Laden wie ein gewöhnlicher
       Kuckucksuhrenverkauf aus.
       
       Im hinteren wird das Holz geschnitzt, aus dem die deutsche Bürokratie
       gemacht ist: Da werden nagelneue Normen, raffinierte Regelungen und
       extravagante Erlasse am Fließband handgeklöppelt. Dass die Bundesregierung
       Gesetze vorlegt, um das ausufernde Bürokratiewesen einzudämmen, ist
       bekanntlich Alibi-Aktionismus. Denn in Wahrheit geschieht das Gegenteil:
       Die Bürokratie wird ausgebaut.
       
       Neuerdings fördert der Staat verdeckt arbeitende Bürokratiemanufakturen.
       Die Kontrolle darüber hat eine Off-Abteilung des
       Bürokratieabbauministeriums, einer Superbehörde, in deren Dienst
       Staatssekretärin Gutbrot steht. Wäre ja auch Wahnsinn, die Bürokratie
       abzubauen – wo sie doch das Einzige in diesem Land ist, das funktioniert!
       
       „Kommen Sie, ich gebe Ihnen einen Eindruck von unserer Arbeit, deswegen
       sind Sie ja da“, sagt Manufakturchef Langhammer, als beide ihre Torte
       verputzt haben. Er schiebt einen schweren Vorhang zur Seite und spaziert
       mit Gutbrot in den labyrinthischen Hinterzimmertrakt, der tief in den Hügel
       hineingebaut ist. Dann öffnet er die erstbeste Tür. Ein Büro. Ein Mann
       sitzt drin, brütend über einem Laptop. „Kollege Dr. Schargesheimer“,
       flüstert Langhammer, „er arbeitet an einer Fußnotenfußnote zum neuen
       Sonnenschirmherrschaftserlass an deutschen Küsten.“
       
       Die beiden gehen weiter, alle paar Schritte wieder eine Tür. Langhammer
       öffnet die nächste, erneut ein Büro. Gutbrot linst hinein. „Kollegin
       Haberdank“, erläutert Langhammer. „Sitzt an einer Erweiterung des
       Heilbädergesetzes. Ha! Die AfD wollte von uns ein Siegheilbädergesetz, aber
       das haben wir natürlich abgelehnt. Das reguläre Heilbädergesetz-PDF hat 270
       Seiten. Haberdank verdreifacht den Umfang – Sonderwunsch der Brasilianer.“
       
       „Der Brasilianer?“, fragt Gutbrot verblüfft. „Aber ja. Wir exportieren.
       Qualitätsbürokratie made in Germany. Echte Markenbürokratie. Sie ahnen ja
       nicht, wie groß der Run darauf ist.“ – „Das überrascht mich gar nicht“,
       erwidert die Staatssekretärin leicht pikiert und fügt an: „Es ist
       ausschließlich der Boombranche Bürokratie zu verdanken, dass wir die
       krisenhaften vergangenen Jahre einigermaßen überstanden haben. Das weckt
       natürlich Begehrlichkeiten – überall auf der Welt.“
       
       „Die XXL-Heilbäder kriegt Brasilien exklusiv“, bescheidet Langhammer stolz.
       „Aber unseren Bestseller – ein 29-bändiges Verordnungspaket, wie man
       Firmengründungen solange hinauszögert, dass die Insolvenz noch bevor es
       losgeht unausweichlich ist, exportieren wir bereits in 87 Länder.“ –
       „Jawoll. Nichts Schlimmeres, als wenn die Privatwirtschaft den Staat
       überflügelt.“ „Und das Allerbeste“, sekundiert Langhammer Gutbrot: „Dank
       unserer Offensive können wir wieder Exportweltmeister werden.
       Bürokratieexportweltmeister!“
       
       ## Bürokratieabbaubürokratie ist der heiße Scheiß
       
       Beide glucksen, brechen in Gelächter aus und gehen weiter, linksherum, und
       noch einmal linksherum, bis sie in einem Großraumbüro angelangt sind, in
       dem ein Dutzend Personen arbeitet. Das Schmuckstück der Manufaktur: Die
       Großraumbürokraten feilen an den Normen, wie der Bürokratieabbau
       vonstattenzugehen hat. Bürokratieabbaubürokratie ist die mächtigste,
       vertrackteste Form der Bürokratie. Etwas für Genießer. Oder, wie Langhammer
       schwärmt: „Gourmetbürokratie. Die Kirsche auf der … Uups, gleich fünf“,
       sagt er beim Blick auf die Uhr, zieht eine Seitentür auf, und schwupps,
       stehen die beiden wieder im Kuckucksuhrenvorraum.
       
       Im selben Moment geht die Ladentür auf, eine asiatische Gruppe tritt ein,
       begrüßt vom vielstimmigen Punkt-17-Uhr-Kuckuckuckuckuckuck. „Die Delegation
       eines japanischen Importeurs“, raunt Langhammer zu Gutbrot.
       
       „Fantastisch“, entfährt es der Staatssekretärin. Sie macht sich in einem
       Block hektisch Notizen und haucht: „Mein oberster Dienstherr, Dr. a. D. zu
       Guttenberg, wird entzückt sein.“ Der Leiter der Gruppe räuspert sich:
       „Betriebsbesichtigung, bitte.“ Dabei zwinkert und grinst er heftig, soll ja
       niemand meinen, sie seien wegen der Uhren da. Langhammer langt unter den
       Tresen und serviert erst mal allen Kirschschnaps. „Auf die Bürokratie. Wohl
       bekomm’s!“
       
       30 Oct 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frank Lorentz
       
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