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       # taz.de -- Alltag in Gaza: Noch einmal duschen, bevor wir flüchten.
       
       > Unsere Autorin zögerte ihre Flucht hinaus, um Erinnerungen für später zu
       > sammeln: An ihr Zuhause, ihr Bett, ihre Kleider. Bis Granaten
       > einschlugen.
       
   IMG Bild: Vertriebene Palästinenser leben bis zur nächsten Vertreibung in einem Zelt in Chan Yunis im südlichen Gazastreifen
       
       Gaza taz | Vor sechzehn Jahren verloren wir unseren Vater durch einen
       Luftangriff der israelischen Besatzungstruppen. Sie brachten ihn zu uns
       nach Hause, eingewickelt in ein Leichentuch. Es zu lüften, wurde unserer
       Mutter verboten. Sie erzählte uns: Er habe sich verabschiedet, und sei nie
       wieder von der Arbeit heimgekehrt.
       
       Im ersten Winter des Krieges kamen die Fliehenden aus dem nördlichen
       Gazastreifen in meine Stadt im Süden. Wir suchten Kleidung, Decken und
       Pyjamas zusammen – alles, was wir brauchten, um zu helfen. In unserer
       Wohnung kamen Menschen unter, die wir nicht kannten.
       
       Sie blieben die Nacht über, schlugen am Morgen die Augen auf und machten
       sich auf die Suche nach einem Zelt. Wir blieben in unseren vier Wänden und
       dankten Gott. [1][Unser Haus schützte uns vor der Kälte] – meinen Onkel und
       seine Töchter, meine Cousins und meine Tante und all die anderen, die bei
       uns schliefen.
       
       Dann kamen die Truppen auch in unsere Stadt. Wir überlegten, was wir
       mitnehmen sollten: „Nicht zu viel packen. Die Operation in Rafah wird nicht
       lange dauern.“ „Wir sollten auch die Wintersachen mitnehmen. Wer weiß, wie
       lange wir dort sind.“ Wo ist „dort“? Wir wussten es nicht.
       
       ## Bis die Granaten einschlugen
       
       Wir stopften unsere Habseligkeiten in Mehlsäcke. Die Zeit reichte nicht
       aus, um sich von unserem Zuhause zu verabschieden: von meinem Bett und
       meinem Zimmer. Dem Kleid, das ich bei einer Poesielesung trug, schwarz mit
       einer hellen Rose an der Taille.
       
       Wir zögerten unsere Flucht aus dem Süden hinaus – obwohl wir wussten, dass
       die Verhandlungen nicht erfolgreich sein würden und dass der [2][Krieg]
       auch zu uns kommen würde. Wir zögerten unsere Abreise hinaus, um so viel
       Zeit wie möglich zu gewinnen, um Erinnerung zu schaffen.
       
       [3][Bis die Granaten in unserer Nähe einschlugen]. Dann luden wir, was wir
       zusammengepackt hatten, in einen Lastwagen. Wir weinten. Meine Mutter
       berührte die Wände unseres Hauses. Sie fotografierte unsere geräumige
       Küche, das schmale Wohnzimmer, unsere Schlafzimmer, den Balkon mit Blick
       auf die Nachbarschaft, all unsere Kleidung, die nicht in den Transporter
       passte. Dann sagte sie: „Dusch noch einmal, damit wir es in den kommenden
       Tagen nicht müssen.“ Dann gingen wir.
       
       Auf einem kleinen Stück Land auf einer verlassenen Hühnerfarm bauten wir
       unser Zelt auf und räumten den Inhalt des Lastwagens auf die Straße. Dann
       legten wir Teppiche auf den Boden des Zeltes und Matratzen. Nono, meine
       Katze, war unruhig. Zum ersten Mal hatte sie das Haus für einen anderen Ort
       als den Tierarzt verlassen müssen. Erst nach zwei Tagen begann Nono, sich
       im Zelt zu bewegen.
       
       Nach zwei Monaten kamen die Panzer auch in das Gebiet, in dem wir
       ausharrten. Wir packten unsere Sachen und gingen an einen anderen Ort, und
       dann an einen anderen und an noch einen anderen.
       
       Rooa Hassouna studierte an der English University in Gaza. Sie ist 23 Jahre
       alt, singt, schreibt Gedichte und nun auch einen Roman. Ihre Texte wurden
       in der palästinensischen Zeitung „Al-Ayyam“ veröffentlicht. 
       
       Internationale Journalist*innen können seit dem Beginn des Krieges
       nicht in den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im
       [4][„Gaza-Tagebuch“] holen wir Stimmen von vor Ort ein.
       
       29 Oct 2024
       
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       ## AUTOREN
       
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