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       # taz.de -- Ministerpräsident Haitis ausgetauscht: Bandenkriminalität und Machtkämpfe
       
       > Die Bandengewalt in Haiti eskaliert. Derweil verliert sich der
       > Präsidialrat Haitis in verletzten Eitelkeiten und schasst den
       > Ministerpräsidenten.
       
   IMG Bild: Neuer Ministerpräsident im Krisenstaat Haiti: Garry Conille nach der Amtseinführung des neuen Kabinetts am 11.11.2024
       
       Berlin taz | Es dürfte Gary Conilles letzter Brief an das haitianische Volk
       gewesen sein, den er am vergangenen Sonntag veröffentlichte: Er
       protestierte damit gegen seine Entlassung als Ministerpräsident. Zuvor
       hatte der haitianische Präsidialrat, derzeit geführt von Leslie Voltaire
       von Fanmi Lavalas, Conille aus dem Amt befördert. Die Begründung klingt
       reichlich seltsam. Er sei eine zu konfliktträchtige Persönlichkeit, hieß
       es.
       
       [1][Im Mai dieses Jahres war Conille zum Ministerpräsidenten ernannt
       worden.] Zuvor hatte die US-Regierung gemeinsam mit Mitgliedern der
       karibischen Gemeinschaft Cariocom einen Präsidialrat aus der Taufe gehoben,
       der eine Einigung aller politischen Parteien Haitis auf ein Programm
       schaffen sollte. Das Programm bestand darin, mit einer internationalen
       Polizeimission unter Führung Kenias und genehmigt von der UNO die
       bewaffneten Gangs und Milizen unter Kontrolle zu bringen und Wahlen
       durchzuführen.
       
       Conille hatte 2011 bereits einen Ministerposten inne. Er ist ein
       haitianischer Karrierediplomat, der hohe Posten im Kinderhilfswerk der
       Vereinten Nationen Unicef bekleidete und fließend Englisch spricht. Die
       Konflikte, die seiner Entlassung vorausgingen, haben wenig mit der
       haitianischen Realität zu tun. Es geht um Fragen des Protokolls, in denen
       sich Mitglieder des Präsidialrates nicht genügend in ihrer Rolle als
       Quasi-Präsidenten gewürdigt sahen.
       
       Zuletzt protestierte Leslie Voltaire, der derzeitige
       Präsidialratsvorsitzende, weil Conille oder seine Mitarbeiter ihn von einem
       Gespräch mit dem brasilianischen Präsidenten Lula ausgeschlossen hatten.
       
       ## Kein Vertrauen in den Präsidialrat
       
       Der neue, vom Präsidialamt ernannte Ministerpräsident heißt Alix Didier
       Fils-Aimé, ein lokaler Unternehmer, der eine Wäschereikette betreibt. Sein
       politisches Profil spiele keine Rolle, so der Direktor des haitianischen
       Menschenrechtsnetzwerkes RNDDH, Pierre Espérance, gegenüber der taz. All
       diese Rangeleien um Posten würden von der haitianischen Bevölkerung allein
       als Machtspiele wahr genommen.
       
       „Sie kämpfen um die Macht, weil sie um sich selbst und um ihre Einkünfte
       kämpfen“, so Espérance. Er wie viele andere Vertreter der haitianischen
       Zivilgesellschaft hätten überhaupt kein Vertrauen in auch nur einen
       Vertreter im Präsidialrat.
       
       [2][Unterdessen spitzt sich die Krise in Haiti immer weiter zu]. In den
       letzten vier Wochen sind 10.000 weitere Personen von den Gangs aus ihren
       Wohnorten vertrieben worden. Sie gehören zu den 700.000 Binnenvertriebenen
       bei einer Bevölkerung von circa 11 Millionen, die in Schulen auf Plätzen
       der Hauptstadtregion ohne Hoffnung auf Rückkehr und Hilfe ausharren.
       
       Vor wenigen Tagen haben Gangs einen Hubschrauber des World-Food-Programms
       beschossen. Es gab keine Opfer. Doch das Zeichen der bewaffneten Gruppen
       war klar: Nicht einmal die Nahrungsmittelhilfe, auf die ein großer Teil der
       Bevölkerung angewiesen ist, kann gefahrlos geliefert werden.
       
       ## Gangs weiten Macht aus
       
       Die Polizeimission, die seit einigen Monaten mit 400 kenianischen
       Polizisten im Land ist, hat bislang nichts dazu beigetragen hat, die
       Situation zu deeskalieren. Im vergangenen Monat weiteten die Gangs ihren
       Machtbereich aus. 88 Menschen sollen getötet worden seien, ganze Familien
       sollen in der bäuerlichen Kleinstadt Pont-Sondé in Zentralhaiti
       ausgelöscht worden seien. Tausende überlebende Bewohner*innen wurden
       vertrieben. [3][Die Gangs verfolgen dabei unterschiedliche Interessen.] Die
       einen sind im internationalen Drogenhandel aktiv, andere agieren als
       Milizen der haitianischen Elite, die zum Teil in ebendiesem Präsidialrat
       vertreten sind.
       
       Die Situation wird zusätzlich von denjenigen verschärft, die angeblich
       Haitis Situation befrieden wollen. Die Regierung Abinder in der
       angrenzenden Dominikanischen Republik realisiert mit Verve ihren Plan,
       10.000 Haitianer pro Woche nach Haiti abzuschieben. An der Grenze spielen
       sich katastrophale Szenen ab: Die Menschen werden auf den Straßen und an
       ihren Arbeitsplätzen festgenommen und an der Grenze ausgesetzt.
       Dominikanische Menschenrechtsorganisationen sagen, bis Ende des Jahres
       könnten so rund 130.000 Menschen abgeschoben werden.
       
       11 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Katja Maurer
       
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