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       # taz.de -- Römisches Milchbrötchen: Die Vorsehung liegt in der Schlagsahne
       
       > Süßes Gebäck in Rom kann Unfälle verursachen. Früher diente es eher der
       > Eheanbahnung. Das „Maritozzo“ ist vielseitig.
       
   IMG Bild: Maritozzo: Italienisches Gebäck mit Schlagsahne
       
       Vor einigen Monaten verursachte ich den ersten und einzigen Autounfall
       meines Lebens. Es war ein Vormittag am Bahnhof von Trastevere, ich hatte
       gerade eine Freundin abgeholt und ihr eben noch stolz erklärt, [1][wie
       hervorragend ich mittlerweile mit dem römischen Verkehr zurechtkäme], als
       das Auto mit dem ersten Tritt auf das Pedal einen Satz nach hinten machte,
       es laut knallte und wir zum Stehen kamen.
       
       Statt aus der Parklücke heraus war ich geradewegs in ein quer hinter mir
       parkendes Auto gefahren, dummerweise eines der Carabinieri, der Polizei.
       Als diese mich überraschend freundlich und unerklärlich amüsiert fragten,
       ob ich sie denn nicht gesehen habe, musste ich leider gestehen, dass meine
       Aufmerksamkeit in diesem Moment woanders gewesen war. Nicht bei meiner
       Freundin und unserem Gespräch, nicht bei der Freude über ihr Kommen,
       sondern bei einem Gebäck, dessen weiße Cremefüllung nun in meinem halben
       Gesicht verteilt war: einem Maritozzo.
       
       Das Maritozzo ist eine sehr simple, leicht skurrile, aber umso
       interessantere Erfindung der römischen Küche. Angeblich isst man es im
       Lazio schon seit der Antike. Es besteht aus einer Brioche, einem kleinen
       Milchbrötchen, und viel geschlagener Sahne. Wer ein bisschen Zeit zu
       verlieren hat, sollte sich eines Morgens auf den Weg machen, zu Roscioli
       unweit des Campo di Fiori, zu Regoliin Esquilino oder dem Tempel des
       Maritozzo, Il Maritozzaro, in der Via Ettore Rolli, in dem seit 1960 vor
       den Augen der Kundschaft ein Maritozzo nach dem anderen gefüllt wird.
       
       Der Zubereitung beizuwohnen hat etwas höchst Meditatives: Die Bäcker
       schneiden die länglichen Brioche-Brote dafür mit einem gekonnten Schnitt in
       der Mitte durch, tauchen mit einem großen Löffel in einen Sahnetopf und
       verteilen die flauschig weiße Creme mit langsamen Bewegungen in der Spalte.
       Sie gleiten mit dem Löffel mehrmals hin und her, bis sich ein kleiner, an
       den Seiten sehr glatter und im Zentrum zu einer Art schneebedecktem Kamm
       kulminierender Berg formt.
       
       ## Brot mit Sahne
       
       Das Ergebnis ist, zugegeben, mehr hübsch als köstlich, Brot mit Sahne gibt
       geschmacklich, wie man sich vielleicht vorstellen kann, nur bedingt viel
       her. Und doch kommt man um das Maritozzo in Rom kaum herum. Es ist dem
       Gebäck ein bisschen das, was die Carbonara der Pasta ist.
       
       Vielleicht liegt die Beliebtheit dieses einfachen dolce, das man zu jeder
       Tageszeit verspeisen kann, auch an seiner Geschichte. In der Antike wurden
       Maritozzi, damals noch in Form von Brot gemischt mit Honig und Rosinen, von
       Frauen angefertigt, damit die Männer sich Nachmittags, nach einem Tag auf
       dem Feld, mit etwas Süßem stärken können.
       
       Im Mittelalter war es während der Fastenzeit wohl das einzige Gebäck, das
       man guten Gewissens essen durfte, was ihm auch den sympathischen Spitznamen
       „Santo Maritozzo“, heiliger Maritozzo, einbrachte.
       
       ## Der Ring in der Sahne
       
       Im 19. Jahrhundert, so heißt es, fügte man der Tradition der sündenfreien
       Zwischenmahlzeit noch eine romantische Konnotation hinzu: Der Legende nach
       kommt der Name Maritozzo von „marito“, also Ehemann. Junge Männer brachten
       ihren Angebeteten im Moment des Antrags keine Blumen oder Pralinen, sondern
       eines dieser gefüllten Brote. Der Ring, und damit die Frage „Willst du?“,
       lag meist in der Sahne versteckt. Wer sich daran nicht vor Schreck
       verschluckte, durfte sich, so will man hoffen, freuen.
       
       Mittlerweile wird diese Version des Antrags eher selten praktiziert, dafür
       gibt es in Rom aber einen speziellen „Maritozzo Day“: Am ersten Samstag im
       Dezember wird in der gesamten Stadt das Gebäck in all seinen Formen
       zelebriert. Probieren Sie es, nur am besten an einem Tisch sitzend, an
       einer Theke stehend oder in einem Park. Überall, nur nicht am Steuer eines
       Mietwagens.
       
       13 Nov 2024
       
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